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«Ein Eimer mit 100 Löchern»: Heute wählt Weissrussland

A woman casts her ballot during a parliamentary election at a polling station in Minsk, Belarus September 11, 2016. REUTERS/Vasily Fedosenko
Stimmabgabe in einem Wahllokal in Minsk (11.09.2016)Bild: VASILY FEDOSENKO/REUTERS

«Ein Eimer mit 100 Löchern»: Heute wählt Weissrussland

11.09.2016, 10:5511.09.2016, 11:25
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Wie eine Festung ist das Gebäude der Wahlkommission in Weissrussland gesichert. Düster erhebt sich der Betonklotz in der Hauptstadt Minsk hinter der mächtigen Statue von Revolutionsführer Lenin. Nichts soll die Wahl eines neuen Parlaments stören.

Verläuft sie ruhig, hofft Präsident Alexander Lukaschenko für sein krisengeschütteltes Land auf Unterstützung durch die EU. Seit 22 Jahren regiert der Sowjetnostalgiker das Land mit harter Hand – in Europa ist kein Staatschef länger im Amt, Monarchen ausgenommen.

Vor sechs Jahren war der Platz vor der Wahlkommission Ort blutiger Zusammenstösse zwischen Polizei und Demonstranten. An diesem sonnigen Septembertag spielen Jugendliche dort Pokémon Go. «Abstimmung? Das interessiert keinen», sagt der 18-jährige Maxim.

Auch in einem nahen Café ist die Parlamentswahl für eine Gruppe junger Leute kein Thema – sie sprechen lieber über Fussball. An der Wand hängt ein Poster von Ex-Bundesligaprofi Alexander Hleb im Trikot des VfB Stuttgart. «Er ist Weissrusse, wir sind stolz auf ihn», sagt der 32-jährige Sergej.

Über die Abstimmung möchte der Schlosser nicht viele Worte verlieren. «Wahlen in Weissrussland sind wie ein Eimer mit 100 Löchern: Du kannst einige von ihnen stopfen, aber der Eimer bleibt doch undicht», sagt er in bitterem Ton. «Mal sehen, wie viel Prozent sich die Herren da oben geben.»

Wenig Hoffnung auf Änderungen

Zwar räumt die Opposition Lockerungen ein. Erstmals seien etwa Diskussionen im Fernsehen erlaubt worden. Regierungsgegner fürchten aber weiter massive Manipulationen. Lehrer und Soldaten seien gezwungen worden, für Lukaschenko zu stimmen, kritisieren sie.

110 regimetreue Abgeordnete sitzen derzeit im Parlament. Lukaschenkos Kritiker haben wenig Hoffnung, dass sich daran etwas ändert. Das Parlament gilt ohnehin als bedeutungslos.

Seit der Präsident 1994 die Macht übernahm, hat er alle demokratischen Institutionen ausgehebelt. In der abgelaufenen Legislaturperiode kamen drei Gesetzesvorschläge vom Parlament – im Vergleich zu 400 Gesetzen, die in Lukaschenkos Umfeld entstanden. Sie wurden mit mindestens 95 Prozent angenommen.

«Im Unterschied zu Russland gibt es bei uns noch nicht einmal eine Pseudo-Opposition», sagt Sergej. Wer den Präsidenten infrage stelle, bekomme es mit dem gefürchteten Geheimdienst zu tun, der wie zu Sowjetzeiten KGB heisst. Zudem vollstreckt Weissrussland als letzter Staat in Europa noch die Todesstrafe.

Fassadendemokratie

Zuletzt lockerte sich aber die Atmosphäre. Lukaschenko vermittelte im Ukraine-Konflikt und liess Gefangene frei, die EU hob daraufhin ihre Sanktionen gegen Minsk auf.

Zwar hat Lukaschenko sein Versprechen von 2010 nicht gehalten, dass der Durchschnittslohn in Weissrussland spätestens 2015 bei 1000 Dollar liegt – und nicht bei 200 Dollar wie heute. Aber auch seine Kritiker räumen ein, dass der Despot bescheidenes Wachstum nach Minsk gebracht hat.

Am Fluss Swislatsch ist ein Vergnügungsviertel mit Livemusik und Restaurants entstanden, im Stadtzentrum nehmen die Filialen von US-amerikanischen Fastfood-Ketten zu. KGB und KFC: In Lukaschenkos Fassadendemokratie existieren sie scheinbar ungestört nebeneinander.

Doch dem 62-Jährigen Präsidenten fällt das Durchregieren mittlerweile schwerer. 25 Jahre nach dem Ende der UdSSR kämpft Weissrussland mit einer Wirtschaftskrise.

Die meisten Betriebe sind veraltet und mit einer niedrigen Produktivität international nicht konkurrenzfähig. In Polens östlichem Nachbarland mit rund 9.5 Millionen Einwohnern herrscht Stillstand. Vor allem der Rubelverfall beim engen Partner Russland hat Europas letzte Planwirtschaft schwer getroffen.

Zusammenarbeit mit China

Auch deshalb sucht Lukaschenko nach anderen Allianzen – zum Beispiel mit China. Dutzende Millionen US-Dollar hat Peking schon investiert, am sichtbarsten wird das wohl beim Hi-Tech Park nahe Minsk.

Hier träumt Lukaschenko von einer Innovationswiege nach dem Vorbild des legendären Silicon Valley in den USA. Als Beispiel nennt das Regime gerne die Firma Wargaming, die das international erfolgreiche Computerspiel World of Tanks zunächst in Weissrussland entwickelte.

Allerdings beklagen die Chinesen massive Bürokratie, und die für Weissrussland wichtige Zusammenarbeit stockt. Von tiefgreifenden Reformen will Lukaschenko aber wenig wissen. (sda/dpa)

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