Das hatte sich Emmanuel Macron bestimmt anders vorgestellt. Während er sich gestern in einem Sitzungssaal mit Betriebsräten eines bedrohten Unternehmens zusammensetzte, tauchte vor der Fabrik plötzlich Marine Le Pen auf und stahl ihm die Show.
Medienwirksam liess sich die Kandidatin des Front National mit streikenden Arbeitern ablichten, die Selfies mit ihr knipsten. Angekündigt war der Auftritt nicht.
«Ich bin genau hier, wo ich sein muss, inmitten der Angestellten der Firma Whirlpool, die sich gegen diese schreckliche Globalisierung wehren.»
Macron hingegen, so Le Pen, verstecke sich in der Handelskammer und spreche nur mit zwei, drei ausgewählten Vertretern, die ihn sowieso nicht kritisieren würden. «Alle wissen, auf welcher Seite Macron ist, er ist auf der Seite der Unternehmen, ich bin auf der Seite der Arbeiter.»
«Whirlpool» hatte im Januar angekündigt, die Produktion von Wäschetrocknern aus Amiens nach Polen zu verlagern und das Werk mit derzeit 290 Arbeitern bis Juni 2018 zu schliessen.
Sie werde dafür sorgen, dass die Fabrik in Amiens nicht geschlossen werde, versprach gestern nun Le Pen.
📣 RT ! NON, une délocalisation n'est pas une « anecdote » !@BFMTV revient sur ma venue à #Amiens auprès des salariés de #Whirlpool : pic.twitter.com/IUSnLY1mRZ
— Marine Le Pen (@MLP_officiel) 26. April 2017
Das konnte Macron nicht auf sich sitzen lassen. Er begab sich ebenfalls zum Fabrikgelände. Doch die Situation vor Ort war für den 39-Jährigen alles andere als angenehm. Die Arbeiter empfingen ihn mit Pfiffen und skandierten «Marine Présidente».
Erschwerend kam hinzu, dass Macron zunächst gar nicht bis zu den Arbeitern vordringen konnte, da das Gedränge vor der Fabrik viel zu gross war. Per Megaphon versuchte er darauf, zu den Arbeitern zu sprechen, die Szene blieb chaotisch. Ganz im Gegensatz zum perfekt inszenierten Auftritt Le Pens.
"Alors, est-ce que vous m’entendez ?", crie Macron sous les sifflets des salariés à Whirlpool pic.twitter.com/8c4CcwcJJu
— BFMTV (@BFMTV) 26. April 2017
Später gelang es Macron dann aber doch noch, zu einer Gruppe von Arbeitern zu sprechen. Das rund 45-minütige Gespräch wurde live auf seiner Facebook-Seite übertragen.
Er könne die Fabrik nicht offen halten, sagte Macron ehrlich, doch er kämpfe dafür, dass sie unter guten Bedingungen für die Arbeiter geschlossen werde.
Mit «Beschimpfungen und falschen Versprechungen» löse man kein einziges Problem des Landes. Es müsse ein Käufer für die Fabrik gefunden werden.
«Die Grenzen dichtzumachen, ist keine Lösung», sagte Macron zu Le Pens Versprechen, die Wirtschaft des Landes gegen ausländische Einflüsse abzuschotten.
Obschon Macron in Amiens geboren wurde, zählt die Region zu Le Pens Hochburgen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, traditionelle Industriezweige wie zum Beispiel der Bergbau wurden geschlossen. Der De-Industrialisierte Norden und Osten Frankreichs wählten am vergangenen Sonntag Le Pen.
Macron, der eine Privatschule besuchte und in einer wohlhabenden Familie aufwuchs, hat hier einen schweren Stand. Der 39-Jährige versucht den Wählern nun klar zu machen, dass sein pro-europäischer und liberaler Kurs Frankreich auf lange Sicht zu Gute kommt. Marine Le Pen setzt hingegen auf Protektionismus.
Noch gilt Macron als haushoher Favorit für die Wahlen vom 7. Mai. Doch allzu sicher sollte er sich seines Erfolgs noch nicht sein. Gemäss einer Umfrage des Marktforschungsinstitut «Harris Interactive» haben 52 Prozent der Franzosen das Gefühl, er habe den Start in die zweite Wahlkampf-Runde vermasselt.
Kritisiert wird vor allem seine überheblich wirkende Wahlkampf-Party, die er am Sonntag nach dem ersten Etappensieg abhielt. In einer schicken Pariser Brasserie warf er sich bereits in Siegerpose – während den 290 Arbeitern der Firma «Whirlpool» gar nicht zum Feiern zumute war.
Oder hat sie auch erklärt, wie sie diese Arbeitsplätze retten kann?
Klar dient auch Herrn Macrons Engagement in erster Linie seinem Wahlkampf. Aber immerhin ist er ehrlich genug, zu erklären, dass diese Arbeitsplätze nicht zu retten sind.