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Du willst nur das Beste? Voilà:
Ania (Lilith Stangenberg) ist IT-Fachfrau in einem rätselhaften Betrieb in der deutschen Stadt Halle. Eine triste Plattenbau-Existenz. Auf dem Weg zur Arbeit sieht sie einen Wolf und verliebt sich in ihn. Ent- und verführt das Tier. Lebt mit ihm. Lässt sich von ihm befreien. Verwildert.
Gedreht und geschrieben hat «Wild» Nicolette Krebitz, sie wurde in den 90ern als Schauspielerin und Berliner It-Girl berühmt. Ihr «Wild» ist grossartig: Da sehen wir Bilder, die wir schlicht noch nie gesehen haben, von Situationen, die es so im Kino vorher auch noch nie gegeben hat. Ein Trip, den man zunehmend atemlos mitmacht. Denn: Restlos alles, was wir da sehen, ist beim Dreh auch so geschehen.
Lilith Stangeberg drehte mit zwei Wölfen, einem für den Nahkontakt und einem etwas schöneren für die Bilder in der Totalen.
Lilith Stangenberg, als Sie zum Casting für
die Rolle der Ania gingen, war Ihnen da klar, dass Sie ganz direkt mit einem Raubtier spielen werden?
Auf der Einladung zum Casting stand: «Bitte nur kommen, wenn
man keine Angst vor Hunden hat.» Da ahnte ich, das wird ein echter Wolf und das
wird eine ansteckungsfähige Nähe. Ich war so versessen auf diese Rolle und so
verliebt in diese Geschichte, ich hab das Buch richtig aufgefressen. Ich kann
mich nicht erinnern, dass es in den letzten zehn Jahren im deutschen Film eine
vergleichbare Rolle gegeben hätte.
Schon gar nicht für
eine Frau. Man kann jetzt sagen, Leonardo DiCaprio macht in «The Revenant» was
Ähnliches. Aber nicht mit echten Tieren ...
Es gab ja keine Begegnung zwischen ihm und dem Bären! Ich
hab der Nicolette Krebitz vor dem Casting einen Brief geschrieben,
dann hab ich einfach alles gegeben, und es hat geklappt. Als ich die Wölfe dann
kurz vor Drehbeginn in Ungarn besucht habe, war ich vollkommen angstlos und
bereit.
Wie lange hatten Sie denn
Zeit, um die Wölfe kennen zu lernen?
Zwei, drei Tage, das musste reichen. Es ging um ganz simple
Dinge: Nebeneinander stehen, liegen, sitzen, laufen, mit ihm sprechen. Das
Wichtigste war, dass mein Hauptwolf keine Angst vor mir hat. Seine Angst gewinnen,
kann man sofort, einmal eine falsche Geste und er wird mir immer misstrauen.
Aber daran zu arbeiten, dass er Vertrauen hat, das war hart.
Wie muss man sich das
vorstellen?
Die Wölfe wurden in Gefangenschaft geboren, wie Zootiere, und sind Menschen gewöhnt. Aber die sind nicht zähmbar, die bleiben immer
wild, unberechenbar und gefährlich.
Eben. Es gab da so
einen Zwischenfall mit Fleisch in Ihrer Hosentasche ...
Das war meine Schuld. Ich hatte immer Fleisch dabei, um meinen Wolf zu locken. Der arbeitet ja nur, wenn er Hunger hat.
Klingt gefährlich!
Nee. Wie war das immer? «Etwas gesättigt, aber noch
Appetit». Ich war ja auch die ganze Zeit mit Leberwurst eingeschmiert, damit er mich ableckt. Ich hatte mir also ein Stück Fleisch in die Tasche gesteckt und
musste in Ohnmacht fallen. Natürlich hat er dann versucht, an das Fleisch zu
kommen. Ich hab zu spät reagiert, weil ich dachte, das kommt gut, da hat er
geschnappt. Aber das war nichts Grosses.
Wenn Sie mit einem
Schauspieler arbeiten, ist da ja immer noch eine professionelle Distanz
zwischen Ihnen, mit einem Tier ist das nicht möglich, oder?
Genau so ist es. Wenn man eine Liebesszene mit einem
Schauspieler dreht, ist da immer irgendwas zwischen einem, das Drehbuch oder
sonstwas. Eine Liebesszene mit einem Wolf ist einfach Realität. Er hat ja kein
Drehbuch gelesen.
Aber er macht
trotzdem, was im Drehbuch steht, weil man seine Instinkte so leiten kann?
Richtig. Es steht im Drehbuch ja auch nichts, was der Wolf
nicht selbst machen würde. Es ist schon seinem Verhalten entlang geschrieben.
Zum Beispiel, dass jeder Wolf in Gefangenschaft alles dafür tun würde, um sich
zu befreien. Das find ich auch so toll: Wir Menschen sperren uns ein in unseren
Wohnungen und Büros ...
... wo uns
offensichtlich wohler ist als in der Freiheit ...
... aber so ein Tier gibt nicht auf, bis es ausgebrochen
ist. Es will immer in die Freiheit. Ich finde, von diesem Drang könnten wir uns
ein bisschen mehr ins eigene Leben holen. Ich glaub ja, dass wir alle
eigentlich wild geboren sind.
Sie ganz sicher!
Nee, wir alle! Und die Erziehung ist dann unsere
Domestizierung. Wenn ich mich so umgucke, auch in meinem eigenen Leben, hab ich
das Gefühl, die Menschen wollen immer alles Andere domestizieren. Man will
immer alles kontrollieren, planen, sich absichern, gerade für die Zukunft. Aus
Angst vor dem Unbekannten. Aber gerade in diesem Undomestizierten, Wilden,
findet doch Leben statt!
Das haben Sie persönlich vom Wolf gelernt?
Ja! Ja, auf jeden Fall!
Ganz praktische Frage:
Ihr durftet jeden Tag nicht länger als drei Stunden mit den beiden Wölfen
drehen. Wo haben sie denn den Rest der Zeit verbracht?
Du darfst einen Wolf ja nicht aus seinem Rudel entfernen.
Sein Platz wird sonst einfach von einem andern eingenommen, und er findet nicht
mehr zurück. Und er kriegt richtigen Kummer. Deshalb ist das ganze Rudel aus
fünf Wölfen nach Halle angereist. Zusammen hatten sie eine ganz grosse Scheune
mit Auslauf für sich.
Vermissen Sie den
Wolf?
Sehr! Wenn ich zum Beispiel nicht einschlafen kann, stell ich
mir immer vor, ich lieg so beim Wolf. Ich weiss ja ganz genau, wie der
sich anfühlt, wie der riecht, wie der atmet und so, das vermiss ich total. Bis
heute ist es so, dass mich die Erinnerung an die Wölfe stärkt und meinen
Kompass wieder ausrichtet, wenn ich mal unsicher oder unklar bin.
Apropos riechen: Hat
das nicht ganz entsetzlich gerochen? Oder nimmt man das nicht mehr wahr, wenn
man sowieso immer mit Leberwurst beschmiert ist?
Ich finde, der Wolf riecht wohlig! Der ist ein ganz
reinliches Tier. Ich wollte den am Ende so richtig einatmen. Die Wohnung, die
hat manchmal gestunken. Ich bin ja Vegetarierin, seit ich sechs bin, aber das
hat mir alles nichts ausgemacht. Auch das Fleisch nicht.
In einer Szene erlegt
der Wolf eine Maus für Sie. Mussten Sie da in die echte Maus beissen?
Nein. Aber da muss ich auch sagen: Diese Seele haben wir auf
dem Gewissen.
Die Maus?
Das war eine Zoomaus. Die wäre sowieso an eine Schlange
verfüttert worden.
Und der getötete Hase?
Der war ein Roadkill, einer, den die Polizei tot von der
Autobahn gekratzt hatte.
Ich hab gelesen, nach
der Liebesszene mit dem Wolf seien Sie total euphorisch gewesen.
Die Szene war auf einen Abend disponiert, und da war der
Wolf satt. Der hat einfach nichts mehr gemacht. Der hatte wahrscheinlich zu
viel Rührei gegessen. Ich lag auf dem Bett, war mit Leberwurst eingeschmiert
und musste ihn immer rufen, aber das hat ihn nicht interessiert. Am nächsten
Morgen haben wir wieder probiert, ich habe gerufen, er kam nicht ...
Wie hiess der eigentlich?
Nelson. Und plötzlich kam er und hat meinen ganzen Kopf und
Hals und so abgeschleckt und die ganze Szene hat exakt wie im Drehbuch
stattgefunden. Und ich muss sagen: So eine Hingabe, so einen Kontrollverlust
hab ich bisher noch nicht erlebt. Das hat mich so beflügelt, dass ich danach
nur jauchzen konnte.
Und dann gab’s noch
eine andere Szene, da locken Sie den Wolf mit Menstruationsblut ...
Da ist es mir ähnlich ergangen. Eine radikale Hingabe
zusammen mit einem riesigen Kontrollverlust. Danach war ich stolz, dass ich das
geschafft hab vor der Kamera. Nicolette sagte: «Sowas hat man einfach noch nie
auf einer deutschen Leinwand gesehen!»
Nein, wirklich nicht. Ist
der Film in Deutschland eigentlich ab 18?
Ab 16. Ich glaube, jünger sollte man nicht sein. Nee.
Im Theater arbeiten
Sie ja immer mit sehr viel Text. Jetzt ist da fast kein Text. War das
schwierig?
Ich finde es wohltuend! Ohne dieses ganze Geschwafel. Gerade
im Kino. Wenn man sich die Filme am Ende der Stummfilmzeit anschaut, da waren
die so weit in der Bildsprache! Und dann kam plötzlich der Tonfilm, und du
sahst nur noch so abgefilmte Dialoge. Aber die haben keine Bilder mehr gesucht
und haben sich filmisch total zurück entwickelt. Ich habe gerade im Kino immer
eine grosse Sehnsucht danach, dass nicht so viel geredet wird und dass die
Bilder sprechen.
Neben den Wölfen gibt
es noch einen Mann in «Wild», Ihren ebenfalls sehr eigenwilligen Chef,
dargestellt von Georg Friedrich. Er spielt gerade im Schweizer Film «Aloys»
einen psychotischen Privatdetektiv. Wie haben Sie ihn in Erinnerung?
Der ist toll! Der erinnert mich so an Marlon Brando, von der
Erotik her und so.
Das muss ja hart
gewesen sein: Mit einem erotischen Wolf und Marlon Brando zu drehen.
Ich war im siebten Himmel!
Haben Sie an Zürich
ähnlich gute Erinnerungen? Sie haben ja hier drei Jahre lang am Schauspielhaus
gearbeitet.
Als ich heute hier ankam, war es, als würde ich einen
Liebhaber wieder treffen, den ich schon ganz lang nicht mehr gesehen habe. Ich
war ja damals auch das erste Mal weg von Zuhause, ich verbinde mit jeder Ecke
Geschichten, das hatte ich noch nie mit einer andern Stadt.
Auch nicht mit Halle?
Doch, mit Halle schon. Als hätte ich da was ganz Grosses
erlebt. Mit den Wölfen.
«Wild» läuft ab 28. April im Kino.