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Die Börse will wissen: Welche Firmen profitieren von schärferen Brandvorschriften? Heinz Baumgartner, Chef vom Fassadenhersteller Schweiter, gibt Antwort.
Die Börse kann sich Gefühle nicht leisten. Jede News wird nur darauf geprüft: Was bedeutet es für die Gewinne der kotierten Unternehmen? Auch die Brandkatastrophe im Londoner Grenfell Tower. Dieser Logik unterwarf sich diese Woche auch ein Bankenanalyst. Er ging der Frage nach, ob nach der Katastrophe mehr Produkte gefragt sein würden vom Industriekonzern Schweiter Technologies.
Schweiter-CEO Heinz Baumgartner dazu: «Diese Frage ist moralisch heikel, geradezu verwerflich.» Was in London geschehen sei, sei eine Tragödie, fertig. Schweiter sei aber bereit, zu helfen. «Natürlich muss man nun daraus Lehren ziehen.» Schweiter hat nichts an den Grenfell Tower geliefert, hat aber einiges zum Fall zu sagen als ein führender Zulieferer für Aussenfassaden.
Schweiter – Sitz in Zürich, über 100 Jahre Geschichte, 4350 Angestellte – wurde gross als Hersteller von Textilmaschinen. 2009 übernahm Schweiter dann die «3A Composites». Diese kauft Rohstoffe, wie Aluminium, Balsaholz oder Kunststoffe, und macht daraus ultraleichte Platten, mit denen etwa Windmühlen verkleidet werden oder Gebäude. Schweiter gehört zu den Topanbietern von aluminiumverstärkten Platten für Aussenfassaden, auch in Grossbritannien.
«Unmittelbar nach dem Brand zogen einige aus den Bildern von der brennenden Fassade wohl voreilige Schlüsse», sagt CEO Baumgartner. Es schien sich die Ansicht durchzusetzen, die Entflammbarkeit von Fassaden sei entscheidend für den Brandschutz. In der Forschung sei unbestritten, dass dies nicht stimme: «Mit Abstand am wichtigsten sind Vorsichtsmassnahmen wie Sprinkler, Meldeanlagen, Schutztüren oder genügend Treppenhäuser.»
Das Isolations-Material ist ebenso wichtig wie die Fassade. «Ein Bauherr kann für die Fassade auch Stein, Beton oder Glas wählen – alles nicht brennbare Rohstoffe. Aber das wird bei einem Brand wenig helfen, wenn zum Beispiel ein Gebäude isoliert wurde mit leicht entflammbarem Material», sagt Baumgartner. Daher müssten gerade für Hochhäuser vermehrt auch nicht-brennbare Isolationsstoffe verwendet werden. «Und die nationalen Behörden sollten dies einfordern und prüfen.»
Kritiker wollen nach der Katastrophe nun die Industrie in die Pflicht nehmen. Doch dafür wissen Fassaden-Zulieferer oft nicht genug über die Bauprojekte. «Bei einem Verkauf unserer Produkte über Distributionskanäle können wir nicht immer wissen, wofür unsere Fassaden-Platten verwendet werden. Wir haben auch keinen Einfluss darauf, was für die Isolation verwendet wird», sagt Baumgartner. Die Behörden müssten Vorarbeit leisten, wenn Zulieferer mehr Verantwortung übernehmen sollen. Etwa vorschreiben, dass diese die nötigen Informationen kriegen.
Natürlich halte Schweiter sich strikt an nationale Brandschutzvorschriften. «Wir setzen uns auch für Verschärfungen ein, wo es nötig zu sein scheint», sagt Baumgartner. Auffällig seien die grossen Unterschiede. «Jedes Land macht es anders. Und es sind nicht unbedingt die ärmeren Länder, die lascher regulieren.» Manches osteuropäische Land sei strenger als westeuropäische; in der Schweiz seien die Regeln «relativ streng». Am genauesten werde in Singapur hingeschaut.
Schweiter geht über die Vorschriften hinaus. «In Europa verkaufen wir für Hochhäuser seit etlichen Jahren nur noch nicht- oder schwer-entflammbare Platten. Produkte, wie sie im Grenfell Tower verbaut wurden, haben wir für solche Gebäude schon lange nicht mehr im Angebot.» Durch Wettbewerb allein wurde die Konkurrenz aber scheinbar nicht zum Nachziehen gezwungen. «Es ist im Bau nicht anders als in anderen Branchen: Die Kosten spielen eine Rolle», sagt Baumgartner.
Ein Bauherr kann versucht sein, ein billigeres Produkt zu nehmen. Entflammbare Fassaden sind eher billiger als nicht-brennbare, da die Herstellkosten höher sind. So kann der Kostendruck zu Abstrichen an der Sicherheit führen. Wettbewerb hilft dagegen nur bedingt. Es lassen sich ja höhere Gewinne erwirtschaften mit billigerem Material – solang nichts schiefgeht.
Baumgartner dagegen will keine Kompromisse machen: «Beim Thema Sicherheit darf der Profit keine Rolle spielen.» Dafür habe man ja die Vorschriften. «Sie verhindern einen Wettbewerb über den Preis und garantieren die Sicherheit.»
Die britischen Behörden haben viel zu klären. Wurden Regeln gebrochen, oder waren diese zu lasch? Hätten bessere Fassaden geholfen, oder lag es an der Isolation? Baumgartner sagt dazu nur: «Das Produkt, das ein Konkurrent von uns geliefert hat, entsprach den britischen Vorschriften, soweit ich weiss. Wir beteiligen uns aber nicht an Spekulationen.»
Es kann dauern bis zu schärferen Vorschriften für Fassaden. «Dann hätten wir einen kleinen Wettbewerbsvorteil, weil nur wenige Konkurrenten schwer entflammbare Fassadenplatten haben. Aber der Einfluss auf unser Geschäft wäre gering», sagt Baumgartner. Damit hätte auch die kühl rechnende Börse ihre Antwort.