Kantonsspital Baden
Papierkram statt Patienten: Spitalärzte haben nur noch 90 Minuten für die Kranken

Wegen aufwendigen administrativen Aufgaben haben die Assistenzärzte in Baden nur gerade mal 94 Minuten pro Tag Zeit, die sie am Bett des Patienten verbringen können. Dieser Trend nehme sogar weiter zu, was das Problem für Ärzte zusätzlich verschärft.

Roman Huber
Drucken
Der Papierkram sorgt dafür, dass die Ärzte weniger Zeit am Bett ihrer Patienten verbringen können. Im Kantonsspital Baden (Bild) sind es 94 Minuten pro Patient.

Der Papierkram sorgt dafür, dass die Ärzte weniger Zeit am Bett ihrer Patienten verbringen können. Im Kantonsspital Baden (Bild) sind es 94 Minuten pro Patient.

Alex Spichale

Das ist die ernüchternde Erkenntnis aus Sicht des Patienten: Ein Assistenzarzt der Inneren Medizin verbringt am Kantonsspital Baden in seinem Alltag nur gerade 94 Minuten am Bett des Patienten.

Seine Kollegen oder Kolleginnen in Lausanne bringen es immerhin auf 114 Minuten. Bei Tätigkeiten, die direkt mit dem Patienten zusammenhängen, fällt der Unterschied mit knapp zwei Stunden in Baden und über drei Stunden in Lausanne noch frappanter aus.

Für die Kommunikation mit den Angehörigen, für die Beschaffung von Berichten und Material (z.B. Röntgenbilder) oder neuer Informationen sowie um Berichte für den nachbehandelnden Arzt zu schreiben oder Patientenakten nachzuführen, wendet der Assistenzarzt in Baden hingegen deutlich mehr Zeit auf als derjenige in Lausanne.

Dies zeigt eine Studie, bei der am Kantonsspital Baden sämtliche Tätigkeiten von 21 Assistenzärzten und -ärztinnen der Inneren Medizin während 43 Tagesschichten von morgens früh bis am späten Abend protokolliert und zeitlich auf die Sekunde genau erfasst wurden. Über die Studie berichtete am Mittwoch Radio SRF.

Situation soll verbessert werden

Die Erkenntnisse aus der Studie sollen zu Verbesserungen der Arbeitsabläufe führen, sagt Simon Frey, Assistenzarzt der Inneren Medizin am KSB, der in Baden die Studie leitete. Die Präsenz des Arztes am Krankenbett müsse erhöht, diejenige vor dem Computer reduziert werden, lautet sein Fazit. «Es handelt sich bei der Studie jedoch um provisorische Daten, die einer vertieften Analyse bedürfen», relativiert er.

Die Studie zeigt unter anderem, dass die «persönliche Zeit» für Kaffeetrinken oder Mittagslunch in Baden gut doppelt so lange ist wie in Lausanne. «Daraus darf man nicht etwa schliessen, dass es die Ärzte in Baden lockerer nehmen würden», sagt Frey schalkhaft. Vielmehr habe man hier die einstündige Mittagspause durchgesetzt.

Laut Frey ist ein Direktvergleich der beiden Spitäler auf dieser Basis nur bedingt möglich, weil es erhebliche Unterschiede gebe. Zwar würden Lausanne und Baden bereits mit medizinischen Praxisassistenten und -assistentinnen arbeiten, durch die sich die Überstunden der Assistenzärzte reduzieren liessen. Doch es bestünden Unterschiede zwischen den Spitälern, die systembedingt seien, auf kulturellen Gewohnheiten oder der lokalen Organisation basieren würden. So handle es sich in Lausanne um eine Universitätsklinik, in Baden um ein Kantonsspital.

«Notfall» nimmt Kontakt vorweg

Die unterschiedliche Präsenzzeit beim Patienten zwischen Baden und Lausanne gibt laut Simon Frey ein falsches Bild wieder. Der Grund liege nicht darin, dass der Patient in Baden einen Arzt weniger lang zu Gesicht bekomme, sondern darin, dass man anders organisiert sei. So sei in Baden der Inneren Medizin die Notfallaufnahme vorgelagert. «Rund 80 Prozent der Patienten gelangen über den Notfall zu uns, wo im Rahmen des Eintritts, beim Patientengespräch, dem Erstuntersuch, bei der Anamnese bereits ein intensiver Patientenkontakt stattfindet.»

Ausserdem würden im Gesamtablauf viele Tätigkeiten, wenn auch nicht im Direktkontakt zum Patienten, so doch zu dessen Nutzen stattfinden. Der Arbeitsaufwand vor dem Computer habe darum zugenommen, erklärt Frey. Die steigende Komplexität mancher Krankheitsfälle erfordere ausserdem vertiefte Abklärungen, die mehr Zeit in Anspruch nehmen würden. Auch mit der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der Medizinaltechnik speziell seien die Möglichkeiten umfangreicher geworden. «Wir müssen darum vermehrt die Praxisassistenten dafür einsetzen, wenn es um die Administration sowie um die Beschaffung von Informationen geht», erklärt Frey.

Dieselbe Studie hatte zuvor das Universitätsspital in Lausanne durchgeführt. Dazu wurde speziell ausgebildetes Personal mit medizinischem Hintergrund eingesetzt. Von Lausanne kam die Anfrage ans Kantonsspital in Baden, nach derselben Methodik ebenfalls eine Untersuchung zu machen. So erhielt die Medical-Day-Studie durch diese Kooperation den Übernamen «Rösti»-Studie. Die Resultate wurden im Mai an einem Ärztekongress erstmals offiziell präsentiert.