Ernährung
Experten raten: Besser Bienen als Mehlwürmer essen

Die Coop-Burger bestehen mehrheitlich aus Gemüse. Und die verwendeten Insekten sind erst noch die falschen, kritisieren Experten.

Andreas Krebs
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Mehr als drei Monate nach der Legalisierung des Insektenverkaufs kommen nun die ersten Burger und Hackbällchen aus Mehlwürmern in die Regale.

Mehr als drei Monate nach der Legalisierung des Insektenverkaufs kommen nun die ersten Burger und Hackbällchen aus Mehlwürmern in die Regale.

Keystone

Nun sind sie endlich da, die längst angekündigten Mehlwurm-Burger. In ausgewählten Coop-Filialen stehen sie seit gestern in den Verkaufsregalen. Doch mehrheitlich bestehen die Burger gar nicht aus Insekten, sondern aus Reis, Gemüse und Gewürzen. Nur 31 Prozent des Inhalts sind wirklich Mehlwürmer.

Immerhin ist das ein relativ gesunder Mix rein natürlicher Zutaten. Und dazu, den Mehlwürmern sei Dank, nachhaltig, denkt der Konsument. Doch das stimmt nur bedingt. Zwar verbraucht die Zucht von Insekten generell weniger Futter, Wasser und Platz als die Aufzucht von Fisch, Huhn, Schwein oder Rind; zudem verursacht sie weniger Treibhausgase. Die Welternährungsorganisation FAO spricht deshalb vom «Fleisch der Zukunft».

Doch der Insektenzüchter Daniel Ambühl gibt zu bedenken, «dass Insekten nicht per se nachhaltig sind». Er ist der Meinung, dass das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) die falschen Insekten legalisiert habe. Denn Mehlwürmer – die seit dem 1. Mai neben Heimchen und Wanderheuschrecken zugelassen sind – werden mit Grundnahrungsmittel gefüttert. Hinzu kommt, dass sie für den Coop-Burger nicht in der Schweiz gezüchtet, sondern aus Belgien importiert werden.

Mehlwürmer fressen Getreide

Für die Firma Essento, die die Mehlwurm-Burger und -Bällchen für Coop produziert, ist der Import der Insekten aus Belgien eine Zwischenlösung. «Sobald in der Schweiz gezüchtete Insekten verfügbar sind, haben wir Interesse daran, diese zu verarbeiten», sagt Christian Bärtsch, Mitbegründer des Startups. Das könnte schon bald der Fall sein: Die Entomos AG könne ab Oktober «hunderte Kilogramm Lebensmittelinsekten ‹Made in Switzerland›» liefern, wie sie in einer Medienmitteilung vom 15. August schreibt. «Sobald möglich, soll unsere Zucht nach den Richtlinien der Bio Suisse zertifiziert werden», lässt sich Geschäftsführer Urs Fanger zitieren. Das bedeute dann «maximale Nachhaltigkeit».

Doch das stimmt eben nicht. Denn die Mehlwürmer werden relativ energieintensiv bei 28 bis 30 Grad Celsius gezüchtet und mit hochqualitativem Futtermittel gefüttert, das hauptsächlich aus Getreide besteht, so wie das in der gängigen Viehzucht auch gemacht wird. Selbst wenn die Mehlwürmer effiziente Futterverwerter sind, so könnte man mit dem direkten Verzehr des Getreides die Effizienz mehr als verdoppeln. Der effektivste und nachhaltigste Weg, die Ernährung der Weltbevölkerung auch in Zukunft sicherzustellen, wäre also eine pflanzliche Ernährung. Aber: Insekten kann man ähnlich teuer verkaufen wie Fleisch. Verkauft man das Getreide direkt, ist der Profit wesentlich kleiner.

Keine weiteren Anträge

Im Unterschied zur Schweiz sind Insekten in den meisten EU-Ländern nicht als Lebensmittel zugelassen; auf Gesetzesebene ist die getroffene Regelung EU-weit einzigartig. Jürg Grunder von der ZHAW Wädenswil, wo auch Ambühl lehrt, schätzt das «mutige Vorpreschen des BLV». «Natürlich kann man über die drei Insekten streiten», sagt er, «aber sie fungieren als Türöffner.» Die Bundesbehörden seien dem Thema gegenüber positiv eingestellt.

«Es ist durchaus möglich, dass wir künftig weitere Insektenarten als sogenannte neuartige Lebensmittel (‹Novel Food›) bewilligen», schreibt das BLV auf Anfrage. «Voraussetzung ist der Nachweis, dass der Verzehr sicher und nicht gesundheitsschädigend ist.» Doch bisher seien keine weiteren Bewilligungsanträge eingegangen.

Das dürfte auch nicht so schnell der Fall sein. Die Industrie setzt (zunächst) voll auf die drei bewilligten Insekten, Nachhaltigkeit hin oder her. Und der Forschung fehlen die Gelder. «Wir haben mehrere Projektanträge am Laufen, aber uns fehlen die finanziellen Mittel», sagt Grunder. Er sieht die öffentliche Hand sowie private Stiftungen in der Pflicht und betont: «Wir forschen nur zu Insekten, die nicht mit Grundnahrungsmitteln gefüttert werden. Es gilt neue, noch nicht genutzte Materialströme zu erschliessen.» Derzeit im Fokus stünden exotische Käferarten, die mit Laub und Holz gefüttert werden.

Erfahrungen gesammelt hat man auch mit dem weltweit wohl am häufigsten verzehrten Insekt, dem Eri-Seidenspinner, «ein ideales Vieh für urbane Bauern», wie Ambühl sagt. Die Raupen seien robust und einfach zu züchten, ganz ohne Hightech und schon bei 20 Grad Celsius. Sie liessen sich mit Kirschlorbeerblättern abspeisen. Das wäre eine vernünftige Verwendung dieser invasiven, gebietsfremden Pflanze, die in vielen Gärten als ökologisch wertloser Sichtschutz wuchere.

«Wenn wir die richtigen Insekten auswählen und diese richtig züchten, können sie zu einer massiven Verbesserung unseres ökologischen Fussbadrucks und zur Erfüllung der Klimaziele beitragen», ist Insektenzüchter Daniel Ambühl überzeugt. Als besonders geeignet erachtet Ambühl die Drohnenbrut unserer Honigbienen. Von den männlichen Bienenlarven werden in der Schweiz jährlich bis zu 100 Tonnen zur Varroa-Bekämpfung aus den Bienenstöcken geschnitten. Sie landen dann auf dem Müll. «In anderen Ländern», sagt Ambühl, gelten sie als Delikatesse». Der Insektenzüchter schlägt deshalb vor: Statt extra Mehlwürmer aus Belgien zu importieren, sollte die ohnehin anfallende Schweizer Bienenbrut aus zertifizierten Imkereien für Burger verwendet werden.