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Aargau

«Genügend gestraft» – Sohn ertrank in Reuss: Obergericht erlässt Vater die Strafe

«Genügend gestraft» – Sohn ertrank in Reuss: Obergericht erlässt Vater die Strafe

10.01.2018, 14:0410.01.2018, 14:16
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Der Ort der Tragödie an der Reuss bei Windisch.
Der Ort der Tragödie an der Reuss bei Windisch.Bild: AZ

Das Aargauer Obergericht hat einem Vater, dessen zweijähriger Sohn 2015 bei einem Spaziergang in die Reuss fiel und ertrank, die Strafe erlassen. Der Vater sei vom Tod seines Kindes schwer betroffen, befanden die drei Richter einstimmig.

Der 46-jährige Schweizer wurde gleichzeitig wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Das am Mittwoch eröffnete Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Bezirksgericht Brugg hatte den Mann im November 2016 wegen des gleichen Schuldspruchs zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten und zu einer Busse von 2000 Franken verurteilt.

Gegen die Strafe wehrte sich der Mann vor Obergericht. Sein Mandant sei schon «genügend gestraft, geprägt und gezeichnet», sagte der Verteidiger. Es handle sich «einfach um einen brutalen Unfall». Der Fall sei «eingebettet in einen Rosenkrieg». Der Vater und die Kindsmutter sind geschieden.

Das Strafgesetzbuch sieht einen Straferlass ausdrücklich vor, wenn der Täter durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat so schwer betroffen ist, dass eine Strafe unangemessen wäre.

Kurz aus den Augen verloren

Der tragische Fall ereignete sich an einem Samstagabend Ende April 2015. Der Mann war mit dem zweijährigen Sohn auf dem Heimweg von einer Feuerstelle.

Sie gingen auf einem gefährlichen Weg bei Windisch entlang der Reuss. Der Vater verlor den Buben kurz aus den Augen – und dieser verschwand im Fluss. Die beiden waren bereits früher an der gleichen Stelle unterwegs gewesen.

Erst drei Wochen später wurde die Leiche des Kindes in der Aare beim Wasserkraftwerk Döttingen-Beznau AG geborgen. Eine Obduktion ergab, dass das Kind ertrunken war.

Der Mann handelte gemäss Urteil des Obergerichts fahrlässig und sein Verschulden ist mittelschwer. Der Vater hätte an der gefährlichen, exponierten Stelle eine erhöhte Sorgfaltspflicht wahrnehmen müssen. Er hätte den Sohn an der Hand nehmen und beaufsichtigen müssen.

«Ich wollte ein guter Vater sein»

Der Vater, der mittlerweile arbeitslos ist und eine psychologische Therapie besucht, wurde von den Richtern ausführlich zu seiner Betroffenheit befragt. Der hagere Mann hatte Mühe, über das Geschehene und seine Gefühle offen zu reden. Er mache sich Vorwürfe und vermisse seinen Sohn, sagte er: «Ich wollte ein guter Vater sein, und ich hätte besser aufpassen müssen.»

Seine Aussagen zeigten auf, dass er unter der Strafuntersuchung und unter den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft leidet. Er war vorübergehend abgehört worden. Offenbar wurde ein Verbrechen nicht ausgeschlossen. «Man hat nur geschaut, mich als bösen Mann darzustellen», sagte er vor Obergericht.

Das Bezirksgericht Brugg unter Vorsitz der heutigen Aargauer Regierungsrätin Franziska Roth (SVP) hatte dem Vater unter anderem vorgeworfen, dass er nach drei Wochen wieder zu 60 Prozent arbeitete. Vor Obergericht wurde klar, dass das Careteam dem Mann jedoch genau dies empfohlen hatte, um wieder schrittweise in den Alltag zurückzufinden.

Schwere Betroffenheit angezweifelt

Der Staatsanwalt forderte vor Obergericht, dass neben dem Schuldspruch auch die bedingte Freiheitsstrafe bestätigt wird. Er zweifelte den grossen Schmerz des Vaters an. Der Vater sei weit weniger betroffen vom Tod des zweijährigen Knaben als die Mutter.

Deren Anwältin sagte, der Mann habe sich nach dem Verschwinden des Buben «seltsam verhalten». Es hatte rund 45 Minuten gedauert, bis er Alarm schlug.

Die drei Oberrichter kamen gemäss eigenen Angaben nach harter Diskussion zum Schluss, dass der Vater vom Tod des Buben bereits schwer betroffen sei. Die Betroffenheit sei jedoch «nicht so einfach herauszuhören». Der Mann wischte sich verschämt die Tränen aus den Augen. (sda)

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2 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Karl33
10.01.2018 14:14registriert April 2015
Wenn man sich diesen Bericht liest, fasst man sich schon an den Kopf. Von links bis rechts (SVP-Regierungsrätin Franziska Roth) scheint das Ereignis Anlass für eine Hatz auf den Vater geworden zu sein. Weil Mann Täter, Frau gut und Opfer.

"Der Vater sei weit weniger betroffen vom Tod des zweijährigen Knaben als die Mutter."
Und solche Aussagen grenzen dann an Sexismus. Unterstellungen, die wohl eher eine politische einseitige Agenda von Richterinnen, Expertinnen und sonstigen Involvierten ausdrücken als irgendwas was sonst.

Und das alles im Jahr 2017. Momol.
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