Der Engelberger Mario Vassalli, auf Lebzeiten gewählter Gentiluomo (Ehrenmann) des Papstes, ist beeindruckt. «Franziskus ist ein sehr menschlicher Papst, überhaupt nicht von oben herab», sagt er. «Bei einem Empfang sah er sofort, dass meine Frau eine Hand in einer Schiene hatte. Er ergriff die Hand und streichelte sie», erinnert sich Vassalli.
Diese Menschlichkeit des Heiligen Vaters bekommt derzeit auch die Schweizergarde zu spüren. Und, anders als ihm wohl lieb ist, auch der Glarner Daniel Anrig (42), seit sechs Jahren Kommandant der Garde. Diese Woche wurde bekannt, dass der vierfache Familienvater Anrig Ende Januar 2015 gehen muss. Der Papst hat ihn praktisch rausgeworfen, seinen Vertrag nicht verlängert. Römer Zeitungen berichteten, der Papst habe sich über die grosse Wohnung geärgert, die sich Anrig habe herrichten lassen. Dass er seine Gardisten sinnlos harter Disziplin unterzog.
Ein guter Kenner der Garde sagt zur Schweiz am Sonntag: «Dem Papst ist der militärische Drill, das betont militärische Auftreten der Garde unangenehm. Er will die Garde modernisieren, wie er auch den Geist im Vatikan modernisieren will. Weniger Institutionen, weniger Privilegien, weniger Förmlichkeit.»
Bei der Garde will der Papst mehr Menschlichkeit. Gardisten stellt er auch schon mal einen Stuhl hin, reicht ihnen ein Glas Wasser. Und der Papst greift durch. So will er gemäss übereinstimmender Aussage verschiedener Eingeweihter, dass auch einfache Gardisten heiraten dürfen. «Der Papst hat das verlangt», sagt ein Beobachter. Angeblich will er jetzt das durchsetzen, was er im Alleingang kann.
Heirat ist bei der Garde heute ein Kader-Privileg. Gardisten dürfen nur heiraten, wenn sie 25 sind, mindestens im Korporalsrang sind, drei Jahre Dienst geleistet und sich für drei weitere Jahre verpflichtet haben. Kommandant Anrig soll sich dieser Modernisierung widersetzt haben. Ein Grund, den die Garde vorbringt: Es gebe bei der Kaserne zu wenig Platz für Wohnungen für Gardisten mit ihren Frauen.
Der neue Papst will die Garde reformieren. Einige Beobachter fürchten gar, er schaffe sie womöglich bald ab, wenn sie sich nicht anpasse. Tatsächlich gibt es Entwicklungen, die in diese Richtung deuten. Seit Jahren liefert sich die Schweizergarde einen Machtkampf mit dem Gendarmeriekorps des Vatikans um die Gunst des Papstes. Und die Vatikanpolizei hat zuletzt an Bedeutung gewonnen.
Vor zwei Jahren kam es zu einem Eklat. Anrigs Gegenpart und Chef der Vatikanpolizei, Domenico Giani, wurde von der internationalen katholischen Vereinigung «Tu es petrus» für seine Verdienste um die Sicherheit des Papstes ausgezeichnet. In der Würdigung wird Giani als «Schutzengel des Papstes» bezeichnet. Das soll Anrig in den falschen Hals geraten sein. Er soll laut der italienischen Zeitung «La Stampa» in einem Brief protestiert haben, dass die Gendarmerie ausgezeichnet wurde und nicht die Garde, die seit fünf Jahrhunderten im treuen Dienst des Papstes stehe.
«Tu es petrus» hat Gewicht. Sie wurde 2005 nach der Wahl von Papst Benedikt XVI. gegründet. Einer ihrer Ehrenpräsidenten ist der Schweizer Kardinal Kurt Koch. Dass der Vatikan zum Ärger von Anrig zunehmend auf Giani und seine Truppe setzt, geht zudem aus einem anderen Entscheid hervor. Franziskus hat im Kampf gegen Geldwäscherei, Terrorfinanzierung und Proliferation ein Finanz-Sicherheitskomitee eingesetzt. Vertreten darin ist die Vatikan-Polizei durch Giani. Die Schweizergarde und ihr Kommandant fehlen. Auch das soll Anrig gewurmt haben.
Platzhirsch Giani – auch er soll übrigens seine Wohnung teuer renoviert haben – hat seine Truppe in den letzten Jahren professionalisiert und modernisiert. Er führte Ausbildungskurse unter anderem beim FBI ein. Bildete auch im Vatikan eine schnelle Eingreiftruppe, die den Papst vor Terror und anderen Gefahren schützen soll.
Die Garde droht dagegen zur blossen Folklore zu verkommen. Dem versuchte Anrig sich zu widersetzen. Er nahm Anläufe, sie zu professionalisieren. «Kommandant Anrig wollte das Korps im sicherheitspolizeilichen Bereich auf den neusten Stand bringen», sagt William Kloter, während dreieinhalb Jahren sein Sicherheitsoffizier. So führte Anrig Nahkampf- und Nahschutztrainings ein, ebenfalls Schulungen im Bereich Schutz und Rettung. Mit Erfolg, sagt Kloter: «Das Niveau und die Aufgabenliste des Korps sind heute nicht mehr vergleichbar mit denjenigen vor fünf Jahren.»
Den Hahnenkampf hat der Papst jetzt beendet. Ob das ein Vorentscheid gegen die Garde ist, weiss nur er selbst. Von der Schweizergarde und Anrig waren keine Stellungnahmen erhältlich.