Eine Frau – konkretes, aktuelles Beispiel: Uma Thurman – legt sich beim Schönheitschirurgen unters Messer. Hier etwas Fett weg, da etwas Fett dazu, die Nase ein bisschen konturieren, die Stirn leicht abglätten.
Eine andere Frau – Orlan, nennt sich die Dame – legt sich beim Schönheitschirurgen unters Messer. Hier etwas Fett weg, da etwas Fett hinzu, die Nase ein bisschen konturieren, die Stirn leicht abglätten.
Was ist der Unterschied?
Letzteres ist Kunst.
Anfangs der 90er Jahre startet Orlan ihr Kunstprojekt «The Reincarnation of Saint-Orlan». In neun Schritten will sie ihren eigenen Körper den Schönheitsidealen von bekannten Malern der Kunstgeschichte angleichen: Botticelli, Gérôme, Boucher und Da Vinci.
Die Operationen selber gestaltet Orlan als bizarre Performances. Der OP-Tisch wird zur Bühne, auf der Orlan Gedichte rezitiert, während Chirurgen mit Skalpellen und Spritzen an ihr herumhantieren. Alles ohne Anästhesie, versteht sich.
Im Hintergrund läuft psychedelische Musik. Kruzifixe, Plastikfrüchte und Grossaufnahmen der Körperteile, die ummodeliert werden sollen, sind im Raum verteilt – alles nach den strengen Spital-Richtlinien sterilisiert.
Die Aufnahmen aus dem OP sind nichts für Zartbesaitete: Die Haut wird vom Körper gelöst, behandschuhte Finger stochern unter der Hautoberfläche herum, Schnitte werden angesetzt, Blut spritzt auf den Boden, man fühlt sich unweigerlich an Splatter-Filme der übleren Sorte erinnert.
Die Bilder flimmern live im Centre Pompidou und in der Sandra Gering Gallery in New York über die Bildschirme und sorgen in konservativen Kreisen für einen handfesten Skandal.
Wer es sich ansehen will – Bitteschön. Gewarnt haben wir.
Das sind die Vorbilder von Orlans Projekt:
Die Inspiration zu ihrem Projekt «The Reincarnation of Saint-Orlan» kam Mireille Suzanne Francette Porte, wie Orlan mit bürgerlichem Namen heisst, im Jahr 1978. Damals musste sie wegen einer Fehlgeburt notfallsmässig operiert werden. Sie verzichtete auf Schmerzmittel und erlebte die Operation bei vollem Bewusstsein. «Ich spürte keine Schmerzen. Es interessierte mich schlicht, was mit meinem Körper passiert.»
Was waren die Motive für die Operationen von «The Reincarnation of Saint Orlan», die alle ohne jeglichen medizinischen Nutzen waren? «Ich wollte mit den Operationen nicht eine bessere Version von mir selbst kreieren oder mich schöner machen. Es ging mir darum, mich selbst neu zu erfinden, indem ich meinen Körper umformte.» (wst)