Anfang der Siebziger ging ein Ruck durch die Modewelt. Plötzlich war da dieses Label Comme des Garçons. Mode für alle – unabhängig von Alter und Geschlecht. Schwarz/Weiss, architektonisch, oft untragbar ...
Dessen Gründerin, Rei Kawakubo studierte Kunst und Literatur. 1964 begann sie, in der Werbeabteilung eines Chemiekonzerns zu arbeiten. Nur schon die Kombination ihrer Weiblichkeit mit der an den Tag gelegten Unabhängigkeit galt in der damaligen Gesellschaft als Tabubruch.
Sie brachte sich nebenher Design bei und machte sich nur drei Jahre später selbstständig. 1969 entstehen ihre ersten Kollektionen und 1973 gründete sie ihr Unternehmen: «Comme des Garçons» – wie die Jungs: Ausdruck ihres Missfallens mit den damaligen Modetrends und den darin zum Ausdruck kommenden Rollenbildern.
Von Anfang an gegen den Strom schwimmend, entwickelte sie das Shop-Konzept des Minimalismus und liess sich einen leeren, weiss gekachelten Raum errichten, in dem es immer nur eine kleine Auswahl ihrer Kleidungsstücke zu kaufen gab.
Ihre Kollektionen beinhalteten Jacken mit drei Ärmeln und Rollkragenpullover, die das halbe Gesicht verdeckten. Die Ästhetik fand Beachtung in der Kunstszene und bei schicken Bohemiens. Letztlich beeinflusste sie die gesamte Modeszene.
Kawakubo’s Kleider unterscheiden nicht zwischen Tag und Abend. Sie sind nicht schmeichelhaft. Sie machen dich nicht schlanker. Sie passen nicht perfekt, bieten dir keinen Trost oder Bestätigung. Aber wenn der Rhythmus stimmt, tun sie all das gleichzeitig. Kawakubo macht nicht einfach Mode. Sie schafft Ideen, suggeriert Gefühle.
Comme-des-Garçons ist gleichzeitig konservativ: Schwarz/Weiss, und radikal: Asymmetrisch und unfertig.
Und auch später, als sich langsam etwas Farbe in die Kollektionen schlich, versteckte sich hinter der scheinbaren Normalität stets auch subtile Subversivität.
Rei Kawakubo und ihre Mode wurden damals von ewig Unangepassten und der Avantgarde mit offenen Armen empfangen.
Heute trägt jeder ihre Shirts. Sie kollaborierte mit H&M und gestaltet einen Turnschuh für Nike. Man könnte meinen, dieser Kniefall vor den Mechanismen der Privatwirtschaft würde Rückschlüsse zulassen auf ihre Motivation. Vorbei seien die Zeiten der puren Anarchie und der Suche nach der Auflösung konventioneller Modesprache.
Andererseits läuft aktuell eine Retrospektive ihrer Modekunst im Metropolitan Museum of Art in New York. Und in Zusammenarbeit mit einem britischen Detailhändler machte sie ihre gesamte Parfüm-Kollektion der letzen 23 Jahre zugänglich.
Manche dieser Düfte waren seit Jahrzehnten vergriffen, wurden nur noch in Fanforen unter Hand weitergereicht.
Sie umfassen Kreationen mit Namen wie Soda, Garage oder Teer und beschäftigen sich mit der Frage was und warum wir uns auf den Körper sprühen.
Das riecht nach ‹gegrillter Zigarette in Verbindung mit Grossstadtgasen und Bergamotte› oder ‹Kerosin, das sich über längere Zeit in einen kalten Betonboden einfrass›.
In einem Gespräch mit dem Magazin «Interview» erklärt Rei Kawakubo ihren Antrieb:
Sie gibt zu, dass sie mittlerweile auch die Grösse ihres Unternehmens berücksichtigen muss. Dass Mitarbeitern Lohn zu zahlen ist, Geld verdient werden muss. Doch hindert sie das in keinster Weise daran, ihrer inneren Vision stets treu zu bleiben. Letztlich sind das alles nur unterschiedliche Kanäle, ihre Botschaft zu transportieren. Alles kann nebeneinander funktionieren. Denn purer Punk lässt sich nur über eine Idee definieren. Über die dahinterliegende Energie. Und nicht über eine bestimmte Ästhetik oder engstirnige Ablehnung.
Rei Kawakubo lässt sich durch die Entwicklungen unserer Gesellschaft und die Notwendigkeiten, die durch die Führung eines grossen Unternehmens entstehen, nicht einengen. Im Gegenteil. Sie nutzt die Freiheit der globalisierten, intermedialen Gegenwart und bewegt sich ohne Scheu. Nur weil viele Teenager sich gerne mit ihren T-Shirts zeigen, heisst das noch lange nicht, dass sie sich dem Mainstream beugen muss. Und so bleibt das Label Comme des Garçons weiterhin ein sicherer Hafen für all diejenigen, denen das heutige Modeangebot zu gleichförmig und konventionell geworden ist.
Einmal Punk, immer Punk.
Denn Punk hat keine Form, Punk ist eine Idee. Und Rei Kawakubo hat noch einige Ideen in petto.