Schwertkämpfe, Eiszombies, schwarze Magie, Ritterspielchen und ganz viel Sex – der Megaerfolg von «Game of Thrones» (GoT) hält seit 2011 nahezu die ganze westliche Welt im Fantasy-Wahn. Doch der Hype um die Machtspielereien auf dem Fantasiekontinent Westeros ist nicht nur mit dem einfachen Wunsch nach Realitätsflucht und durch die Obsession mit Brutalität zu erklären. Das Spektakel aus dem Hause HBO triggert sein Riesenpublikum auf verschiedensten Ebenen:
Jede Episode lehrt uns aufs Neue, dass wir keinen blassen Schimmer haben, was in der Serie eigentlich vor sich geht. Und dennoch lechzen wir seit einem Jahr nach mehr, wollen noch tiefer in eine Welt eintauchen, die wir nicht verstehen.
Wie das das Produzentenpaar David Benioff und Daniel Weiss hinkriegt? – Mit Psycho-Spielchen!
In Narnia oder auf Mittelerde werden Geschichten erzählt, die sowohl für Kinder, wie auch für Erwachsene nachvollziehbar sind. Nicht so in Westeros. Hier wird vergewaltigt, hintergangen und übermässig viel gemordet – das allein ist auf jeden Fall schon kein kindergerechter Inhalt. Doch der springende Punkt ist nicht die Brutalität, sondern die Komplexität: Unzählige Charaktere sind bei GoT in fast zwei Dutzend verschiedene Storylines verwickelt.
Unaufmerksamkeit ist bei GoT unverzeihlich, wenn nicht fatal. Wer den Überblick nicht verliert, ist angenehm von sich selbst überrascht, fühlt sich clever und bestärkt, dem komplexen Geschehen weiter zu folgen.
Die vielen Storylines ermöglichen dir nicht bloss ein intellektuelles Erhabenheitsgefühl, sondern eröffnen auch dramaturgische Möglichkeiten für die Autoren.
Abgekoppelt voneinander sind die einzelnen Geschichten nämlich recht einfach gestrickt: Ein reicher Junge soll der magische Nachfolger eines Baumes werden, eine Königsgattin murkst, verzweifelt durch ihre Unterdrückung als Frau, jeden Mitbuhler um den Thron rigoros ab und ein Bastard mit Minderwertigkeitskomplexen will alle Menschen vor bösen Eiskreaturen retten. «Magie, Epos und Intrige, hatten wir alles schon», mögen GoT-Hater nun vor sich hin gähnen. Doch ganz so einfach ist dass dann doch nicht.
Der Aufbau der Serie suggeriert, dass alles miteinander verworren ist. Die Parallelgeschichten kreuzen sich immer wieder und zwingen unsere Synapsen zum Aufspüren von logischen Zusammenhängen; Feinde verbünden sich, Storylines verschmelzen und politische Umstände bringen Charaktere dazu, sich komplett neu zu erfinden. Das macht fast schon ein bisschen paranoid – und super aufmerksam. Wann kommt der nächste Plottwist, wer wird als nächstes erstochen, was bedeutet «Valar Morghulis»?
Es gibt so viele Charaktere in der Welt von George R. R. Martin, dass man sich denken könnte, der Typ muss Psychotherapeut gewesen sein. Oder Sozialhelfer. Oder Lehrer. Jeder Charakter, der in die Fantasiewelt eintritt, wirkt wie eine Karikatur. Ein reicher Macho, ein tugendhafter Weltverbesserer, eine hinterhältige Neureiche, ein arroganter Intellektueller, ein schmieriger Säufer oder eine intrigante Furie.
Die Figuren reden geschwollen, handeln oft unüberlegt und sterben alle. Alle sterben. Und wenn sie sterben, fühlt man nichts oder nur ein bisschen was. Keine andere Serie kann sich solch ein rigides Gemorde von Hauptfiguren leisten. Doch bei GoT wird auch weiter geguckt, wenn der Lieblingsdarsteller dahinscheidet. Wobei richtige Lieblinge gibt es bei dieser Serie eigentlich keine. Bei GoT kann man sich mit niemandem so richtig, aber mit allen ein bisschen identifizieren.
Warum? Weil eben alle für sich karikierte Persönlichkeiten sind, die eine vollkommene Identifikation gar nicht erst zulassen: Daenerys ist cool, aber zu eigensinnig, Arya tut mutiger als sie ist, Tyrion ist lustig, aber verdammt sexistisch und arrogant. Obwohl das ja irgendwie billig ist, all die schon so oft gesehenen Typen und Typinnen zu rekonstruieren, schaffen es die Regisseure – gerade wegen des enorm grossen Figuren-Fundus' – doch eine Vielfältigkeit abzubilden.
Die überforderndste Frage, die man einem GoT-Fan stellen kann: «Ist das jetzt einer von den Guten oder einer von den Bösen?»
Game of Thrones sind knapp 59 Stunden moralisches Schleudertrauma. Es gibt keine Bösen und Guten. Moralische Fragen werden bei GoT so nebensächlich wie die Überlegung, ob es um zwei Uhr morgens schon zu spät ist, um eine weitere Folge zu beginnen. Bei GoT handeln Menschen, es regiert die Macht, das Ringen um die Existenz. Da gibt's keine Ethik, keinen Gott und vor allem keine Helden.
59 Stunden sind viel. Aber bei GoT passiert auch viel. Zu viel. So viel, dass keine Zeit bleibt, das Geschehene reflektieren zu können. Wir (und die Charaktere) sind ständig und immer mit sofortiger Wirkung mit den begangenen Taten konfrontiert. Das Tempo des Formats lässt an fast keiner Stelle zu, die amoralischen Handlungen zu rationalisieren, sodass wir uns schliesslich ganz auf unsere Emotionalität verlassen müssen.
Bei anderen Fantasy-Geschichten identifizieren wir uns mit der Brutalität, weil wir wissen, dass sie für das Gute eingesetzt wird. Bei GoT schleicht sich ein anderes Gefühl in die Brust: Irgendwann zwischen der zweiten und der dritten Staffel schaltet sich unsere Moral-Alarmglocke ganz aus und wir vertreten unbewusst die seltsame Haltung, dass die Gewalt in dieser Welt ihre Berechtigung hat. Oder so. Denn nichts ist böse, weil ja nichts gut ist.
Sprich über Politik und die Masse hält sich die Ohren zu. Nicht so bei Game of Thrones. Trotz ihres mittelalterlichen Settings schafft es die Serie zeitgenössische Themen der Geo-Politik aufzugreifen. Isolation und Angst vor dem Fremden, Klimawandel, Wohlstandsschere, und hypokritische Politiker sind nur einige der Themen, bei denen sich die Autoren vermutlich von der Gegenwart inspirieren liessen.
So werden Fragen nach der Perversion unseres eigenen Zeitgeists aufgeworfen. Gepaart damit, dass wir bei dem unmoralischen Gemetzel nur teilnahmslos zusehen, fragt man sich schnell: Ist unsere – in gut und böse eingeteilte – Welt eigentlich besser als diese Mittelalter-Fiktion?
Das Leben in Westeros ist in jeder Phase gemein, böse und ungerecht. Alle töten alle, die Mächtigen sind korrupt, Frauen werden vergewaltigt und über Behinderte wird sich lustig gemacht. Anders als in anderen Fantasy-Geschichten wird aber nicht einfach das Leben der schönen, tapferen Helden und den bösen, hinterhältigen Barbaren erzählt, sondern auch die Geschichte von Minderheiten gezeigt. Es kommen Schwule, Bi-Sexuelle, Prostituierten, Sklaven und Behinderte vor. Die Diversität wird bei GoT alles andere als zelebriert.
Es wird keine pathetische Geschichte vom schwulen Ritter oder vom kleinwüchsigen Weltverbesserer erzählt. Leute, die Minderheiten angehören, sind in der Welt der sieben Königslande die genau gleichen Arschlöcher, wie die Leute, die in der Norm leben. Doch sie werden nicht einfach ignoriert. Und das gibt es im Fantasy-Genre recht selten.
Weitergucken. Was sonst!
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