Mit ein paar Freunden gehe ich in Perth ins Casino, welches sich in einem luxuriösen Hotelkomplex abseits des Stadtzentrums befindet.
Ich gehe nicht sehr oft in Casinos. Das letzte Mal war vermutlich in Las Vegas.
Casinos sind eine eigene, verrückte Welt: rund um die Uhr geöffnet, immer die gleiche Musik, das gleiche Licht und die gleichen seltsamen Gestalten. Dies alles lässt die Spielenden Raum und Zeit vergessen und in diese Atmosphäre einsinken.
Am meisten mag ich den Kontrast an Leuten. Die einen laufen in nobelster Abendgarderobe rum, als kämen sie direkt von der Oper, und die anderen sehen aus, als wären sie einer RTL-Doku-Soap entflohen. Ich bin vermutlich etwas dazwischen.
Während des Glücksspiels entwickeln sich bei einigen Leuten je nach Glücks- oder Pechsträhne kleine abergläubische Rituale.
Bei mir natürlich nicht ...
Mit der kleinen Ausnahme, dass ich ausschliesslich Black Jack spiele, weil ich Roulette-Tischen nicht vertraue. Und auch dann nur, wenn das Spiel von einer Asiatin mittleren Alters geführt wird, ich am dritten Platz von rechts sitzen kann und mindestens ein betrunkener Russe mit viel Geld am Tisch sitzt – ganz normale Präferenzen eben.
Während ich und mein Freund Jake unser Geld verlieren, verschwinden meine Mitbewohner Chris und Josh für eine Weile und kehren ganz aufgeregt zurück.
Ich gehe mit ihnen mit. Wir verlassen den Casinobereich und laufen durch die Lobby in eine grosse Halle mit Lounges, einer Bar und einigen Restaurants. Überall hat es Gänge, die an einen neuen Ort führen.
An dieser Stelle muss ich bekräftigen, dass ich nicht zum ersten Mal ein schickes Hotel von innen gesehen habe. Zwar bin ich nie als Gast in so einem, aber manchmal mache ich mir einen Spass daraus, in der Lobby rumzustehen und die Welt der Superreichen zu beobachten, die sich mir (hoffentlich) nie erschliessen wird.
Doch dies ist was komplett anderes. Dieses Gebäude ist weit mehr als nur ein Luxushotel. Die Anlage scheint unendlich und bizarr, sowas habe ich noch nie erlebt.
Ich fühle mich in die Kindheit zurückversetzt, denn all meine liebsten Abenteuergeschichten kommen mir in den Sinn: Die Schatzinsel, Indiana Jones, Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, TKKG und so weiter. Nun bin ich mit Josh und Chris auf Entdeckungstour – wie die drei Fragezeichen!
Wir laufen einen Korridor nach dem nächsten entlang. Jeder ist seltsamer und unheimlicher als der vorherige. Der erste erinnert mich an «The Shining». «Jetzt kommt dann bald dieser Bengel auf seinem Dreirad um die Ecke», fährt es mir durch den Kopf.
Der nächste Gang ist auf beiden Seiten mit lauter Kerzen bestückt. An den Wänden befinden sich kleine Fenster. Jenseits des Glases sind Weinregale aufgestellt. Ein paar Fenster weiter hängen präparierte Schweinskadaver am Haken von der Decke. Es handelt sich dabei um den Kühlraum eines Restaurants ... Hoffentlich! Es sieht aus wie in einer gruseligen Erlebnisbahn im Europapark.
Wir sind nur wenige Minuten vom lebhaften Casino weg, doch hier ist alles wie ausgestorben. Keine Menschenseele ist weit und breit zu sehen oder zu hören. Weder Schickimicki-Gäste noch Serviceangestellte oder Sicherheitspersonal. Wir sind komplett alleine. Wir sollten schon lange umkehren, doch die Neugier zieht uns weiter in diesen surrealen Hotelkomplex hinein.
Foyer nach Foyer, Flur nach Flur, Korridor nach Korridor. Im nächsten Raum steht ein Baum, mitten in einer Halle, einfach so.
Im darauffolgenden Gang hat es unzählige riesige Holztüren auf beiden Seiten. Zu unserem Schrecken öffnet sich eine davon wie von Geisterhand ein wenig und schliesst sich dann polternd wieder. «Lass dies bitte nur der Durchzug sein», sagt Josh zu mir mit etwas verunsichertem Blick. Chris steckt mutig seinen Kopf durch den Türspalt. Dahinter befindet sich ein Raum voller nichts, was das Ganze nicht minder gruselig macht.
Wir eilen weiter auf eine dicht bewachsene Terrasse mit herrlicher Aussicht auf den Nachthimmel.
Nach einer kurzen Pause geht es weiter im Fünf-Sterne-Labyrinth. Einen weiteren Gang, eine weitere Halle.
Insgesamt sind wir etwa eine Stunde auf unserer Entdeckungstour, bis uns der Weg wieder zurück zur Zivilisation führt.
Ich habe bisher noch nie so viel Gefallen daran gefunden, wahllos durch Gänge zu wandern. An diesem Abend habe ich darin jedoch eine neue Leidenschaft entdeckt.
Ich rate euch, dies einfach mal auszuprobieren. Es ist erstaunlich, was für Orte sich in grossen Gebäudekomplexen verborgen liegen können. Um sie zu finden, sollte man manchmal vielleicht einfach weiter laufen als bis zum Punkt, an dem man sich normalerweise denken würde: «Das sieht nicht aus, als würde das noch irgendwo hinführen.»
PS: Es war nirgends ein Schild, eine Abschrankung oder sonst ein Hinweis, dass wir da nicht reindürfen. Es war einfach wirklich niemand da.