Knietief überflutete Strassen und Sturzbäche in den Subway-Stationen bei Regen, die Klimaanlage allzeit auf Höchststufe im Sommer, Autogehupe rund um die Uhr, von Abfall übersäte Strassen (Ratten und Kakerlaken lassen grüssen), zu wenig Grünflächen, keine öffentlichen Toiletten, geschweige denn Wasserspender – das alles ist in New York so sicher wie das Amen in der Kirche beziehungsweise das Kokain im Club.
Die Liste nervtötender Grossstadt-Eigenschaften lässt sich beliebig lange weiterführen. Was mir am meisten zu schaffen macht, ist aber die Armut und die Kluft zwischen Arm und Reich, die nicht zu übersehen ist. Jedes Mal, wenn ich unsere chinesische Nachbarin sehe, die ihren übergrossen Einkaufswagen bis oben hin gefüllt mit PET-Flaschen durch die Gegend schiebt, wähne ich mich in einem Dritte-Welt-Land. Wie viel sie wohl mit dem Einsammeln des Abfalls anderer verdient? Wahrscheinlich mehr als die älteren Menschen, die in den Supermärkten Einkäufe in Tüten packen und dafür nur Kleingeld erhalten.
Was mich an New York stört, sind aber (noch) ganz andere Dinge. Wer einmal länger hier gelebt hat, der kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus, dass hier überhaupt irgendetwas klappt. Die Arbeitsmoral (um nicht zu sagen Kompetenz) – oder das Fehlen ebenselbiger – macht mich selbst nach bald zwei Jahren immer wieder fassungslos.
Die Nachbarin macht Jagd auf PET-Flaschen, ich mache «Jagd» auf mein Gehalt. Ich kann es kaum mehr an einer Hand abzählen, wie oft mir ein Arbeitgeber schon einmal zu wenig Geld überwiesen hat. Ein «Fehler im System», ein Missverständnis … woran es auch liegen mag, ich traue mittlerweile niemandem mehr. Selbst bei der Rückerstattung der Steuern überwies mir die Stadt zu wenig und auch Hilfsorganisationen buchten gerne mal zu viel von meiner Kreditkarte ab. Dass nicht alles so reibungslos wie in der Schweiz laufen würde, dachte ich mir schon. Dass es aber dermassen laienhaft zu und her gehen würde, hatte ich nicht erwartet.
Apropos Geld: Die erste Erfahrung mit US-Banken machte ich, als ich ein Konto eröffnete. Das ging problemlos über die Bühne – dachte ich zumindest, bis mir meine Kreditkarte geschickt wurde. Darauf prangte in schöner Silberschrift mein Nachname: «Zmmerman». Dass die Amerikaner meinen ich sei jüdisch und darum nur ein «n» am Schluss schreiben, daran habe ich mich gewöhnt. Um das «i» in «Zimmer» zu vergessen, braucht es aber schon eine extra Portion Kreativität.
Kreativ war dann auch die Herangehensweise der Kundenberater, wie ich das Problem beheben solle. Am Telefon sagte man mir, ich müsse in die Bankfiliale. Dort angekommen, sagten diese mir wiederum ich müsse den Kundendienst anrufen. Nach ein paar solcher Schleifen, die zu rein gar nichts führten, gab ich schliesslich auf.
Eine andere Eigenheit der Amis, was das Geld angeht, ist ihr E-Banking beziehungsweise das Fehlen eines eben solchen Systems, das praktikabel ist. Will man jemandem Geld überweisen, zahlt man dafür nämlich eine Gebühr. So werfen viele noch immer mit Checks um sich, um Geldtransaktionen vorzunehmen. Und diese Checks sind wohlgemerkt auch nicht gratis.
Gut gibt es Apps wie Paypal oder Venmo, wo mit einem Klick Geld überwiesen werden kann, und man dafür nur die E-Mail-Adresse des anderen kennen muss. Diese Transaktionen können bei Venmo – weiss der Teufel warum – auch geliked und kommentiert werden und sie können entweder privat oder öffentlich angezeigt werden. Wählt man letztere Option, sehen wildfremde Menschen meine Zahlungen und umgekehrt. Eine vorzügliche Möglichkeit also, um Ex-Partner und potenzielle Dates zu stalken.
Aber zurück zu den Kundenberatern und Konsorten. Die Dienstleistungsmentalität in New York erinnert mich an diejenige, die ich 2010 während einer Reise nach Kuba kennengelernt habe: Richtig guten Service gibt es nur gegen Bares. In eigens geführten «Casa Particulares» waren die Gastgeber äussert freundlich und der Service top. In staatlich geführten Hotels oder Restaurants hingegen liess dieser zu wünschen übrig – was ich bei einem Monatsgehalt von rund zehn Franken und keinem Trinkgeld auch gut nachvollziehen kann.
Ähnlich verhält es sich in New York: In Restaurants und Bars, wo die Angestellten auf Trinkgeld angewiesen sind, sind sie meist sehr freundlich. Sobald man sich ausserhalb dieser Örtlichkeiten bewegt, sind die Leute grummlig was das Zeug hält und es kümmert sie herzlich wenig, ob sie dir behilflich sein können. Bei Stundengehältern von um die elf bis fünfzehn Franken kann ich ihnen dies wiederum aber auch nicht verübeln.
Ganz einfach: Heute eine Lesung von Alec Baldwin (die man sich leisten kann), morgen spontan ein Konzert von Karen Elson für zwölf Franken und tags darauf ein Überraschungsbesuch des Schauspielers und Regisseurs John Turturro («Romance & Cigarettes») beim Gratis-Filmfestival im Park. Zum Glück sind nicht nur die Subways zum Bersten voll, sondern auch das kulturelle Programm in dieser einzigartigen Stadt.