Viele lachen, wenige beschweren sich. Die Karikaturen von Phil Hubbe können schon mal anecken, aber das nimmt der Deutsche in Kauf. «Behinderte Cartoons» nennt er jene seiner Zeichnungen, in denen er Witze über Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten erzählt. Dabei hört er von Betroffenen häufig: «Du darfst das». Denn: Phil Hubbe leidet unter Multiple Sklerose (MS).
Am 1. und 2. Dezember tritt der Cartoonist an der Swiss Handicap, der Messe für Menschen mit und ohne Behinderung in Luzern, auf. Zuvor spricht er im Interview über Humor und wie er helfen kann, mit einer Krankheit klar zu kommen.
Phil Hubbe, Sie leiden an Multiple Sklerose (MS). Können sie über Ihre eigene Krankheit lachen?
PHIL HUBBE: Wenn nicht, hätte ich meinen Beruf verfehlt. Hier ist es die Grundvoraussetzung, dass man über sich selber lachen kann. Dazu gehören auch Krankheiten. Wer das nicht kann, kann kein guter Komiker oder Cartoonist sein.
Ihre gelungenste Zeichnung über Ihre eigene Krankheit?
Die MS Rainer (Bild unten). Es war einer meiner ersten behinderten Cartoons. Er ist auch der Lieblingswitz von vielen anderen Menschen mit Multiple Sklerose. So rief mich einmal eine Frau aus der Schweiz an und erzählte mir, dass ihr Ehemann dank der Karikatur zum ersten Mal seit fünf Jahren über seine Krankheit lachen konnte. Das sind Bestätigungen, die man gerne hört.
Können alle Betroffenen darüber lachen, oder gibt es auch jene, die Ihre Witze verletzt?
Es gibt auch negative Reaktionen. Es ist aber vor allem eine Frage des Humors. Meiner ist relativ schwarz und wer mit schwarzem Humor nichts anfangen kann, kann sich auch nicht an meinen Karikaturen erfreuen.
Es gibt also Beschwerden?
Manchmal. Aber vor allem von Nicht-Betroffenen. Sie sagen: Das macht man nicht, darf man nicht. Direkt-Betroffene beschweren sich dann, wenn sie die Wendung in ihrem Leben noch nicht verarbeitet haben. Negative Reaktionen sind aber die Ausnahme.
Wie erklären Sie sich das vorwiegend positive Echo?
Menschen mit einer Behinderung oder Krankheit wollen dazugehören, auch beim Humor. Man muss mit, aber auch über Behinderte lachen können. Sonst schliesst man sie aus. Oder, wie der Journalist und Komiker Herbert Feuerstein einmal gesagt hat: «Auch Behinderte haben das Recht verarscht zu werden.»
Was antworten Sie jenen, die sagen, man macht keine Witze über Menschen mit Behinderung?
Gegenfrage: Warum nicht? Man macht über alle möglichen Sachen Witze, auch über Ethnien. Meine Zeichnungen müssen nicht jedem sein Ding sein. Mann ist ja aber auch nicht gezwungen, sie anzuschauen oder meine Bücher kaufen.
Haben Sie durch Ihre MS-Erkrankung das Recht, diese Witze machen zu dürfen?
Entscheidend für mich ist, ob der Witz gut ist und nicht, wer ihn gemacht hat. Zudem: Wenn man sagt, dass nur Behinderte Witze über Behinderte machen dürfen, wäre dies eine weitere Art der Ausgrenzung. Es ist aber tatsächlich so, dass es viele Betroffene gibt, die mir sagen, «du darfst das».
Ihre Witze sind also durch Ihre Krankheit akzeptierter.
Ja. Wenn sich einer beschwert, sage ich im Notfall, «sorry, ich bin selbst betroffen». Auch wenn es ein wenig albern ist, sich zu entschuldigen.
Kann ein Witz zu weit gehen?
Für mich gibt es keine feste Grenze, sie verschiebt sich je nach Situation. Bei mir ist es so: Je schlechter es mir gesundheitlich geht, desto schwärzer ist mein Humor. Worüber ich am Anfang Mühe hatte Witze zu machen, war über tödliche Krankheiten, wie Krebs. Doch selbst für diesen Bereich habe ich Anfragen bekommen und mittlerweile begonnen, darüber zu zeichnen.
Wieso haben Sie sich am Anfang nicht an den Tod herangewagt?
Auch wenn es jetzt ein wenig makaber klingt: Tod ist immer noch etwas anderes, als wenn einfach ein Arm oder Bein ab ist. Darum war ich zu Beginn vorsichtig. Dasselbe mit psychischen Erkrankungen. Wie kann ich diese darstellen, ohne ins Fettnäpfchen zu treten? Ich war angewiesen auf die Reaktionen der Betroffenen und war dann überrascht, wie gut die Karikaturen aufgenommen wurden.
Sie haben vorhin gesagt, je schlechter es Ihnen geht, desto schwärzer Ihr Humor. Warum?
Das kann ich nicht so genau erklären. Aber wenn es einem schlecht geht, hat man das Bedürfnis Frust abzulassen. Und dies geht bei mir ganz gut, indem ich zeichne. Meine Zeichnerei ist für mich somit auch ein wenig Therapie, um meine Krankheit zu verarbeiten.
Haben Sie davor Angst, dass Sie wegen Ihrer Krankheit eines Tages nicht mehr zeichnen können?
Das war zu Beginn tatsächlich meine grösste Befürchtung. Es wäre für mich einfacher zu verarbeiten, auf den Rollstuhl angewiesen zu sein, als nicht mehr zeichnen zu können. Bei MS kann man ja nie vorhersagen, wie der Krankheitsverlauf sein wird. Aber ich habe die Krankheit mittlerweile seit 30 Jahren und da ist man schon ein wenig beruhigter.
Das war zu Beginn anders?
Als mein Arzt mir damals die Krankheit diagnostizierte, hat er mir davon abgeraten, auf die Zeichnerei zu setzen. Ich solle lieber Mathematik studieren.
Hatten Sie kurz überlegt, der ärztlichen Empfehlung zu folgen?
Ich wusste damals nicht viel über die Krankheit und im Ratgeber, den mir der Arzt abgab, waren vor allem die schweren Fälle dokumentiert. Klar, macht man sich dann seine Gedanken.
Dennoch haben Sie es gewagt.
Das ist das Schöne, wenn man jung ist. Man ist unbedarfter. Ich stürzte mich nach meinem abgebrochenen Mathematik-Studium ohne Ausbildung ins Berufsleben. Ob ich es heute noch gleich machen würde, mit dem Wissen, was MS bedeutet, weiss ich nicht. Aber fest steht: Ich habe meine Entscheidung nie bereut.
Jetzt zeichnen Sie seit zwei Jahrzehnte über Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten. Ist Ihnen das Thema noch nicht verleidet?
Eigentlich nicht. Wobei es manchmal schwer ist, noch einen neuen Ansatz zu finden. Zum Glück bekomme ich auch immer wieder Themen von Betroffenen zugetragen, die sagen, «über meine Krankheit hast du noch nicht gezeichnet».
Wie erklären Sie sich die hohe Nachfrage für Karikaturen über Behinderte?
Humor gehört in allen Lebensbereichen dazu. Und gerade für die Betroffenen ist es eine Möglichkeit, mit ihrer Krankheit oder Behinderung umzugehen. Und Nicht-Betroffenen zeigt es, dass Menschen mit Behinderung oder Krankheit nicht einfach in einer Ecke sitzen und trauern, sondern ganz normale Menschen sind. Zudem können Karikaturen auf Probleme aufmerksam machen.
Machen Sie ein Beispiel.
In einer meiner Karikaturen steht ein Rollstuhlfahrer vor der Tür, davor zwei Stufen. An der Tür steht geschrieben: Hunde müssen draussen bleibt. Der Hund, der neben dem Rollstuhlfahrer sitzt, sagt: «Du auch?» Das ist ein Beispiel, wie man ein Problem über die Schiene Humor zeigen kann.
Hat jede gute Zeichnung eine Botschaft?
Nein. Ich gehe auch nicht mit dem Vorsatz an den Cartoon, jetzt einen Missstand aufzudecken. Diese pädagogisch wertvolle Herangehensweise würde auch nicht funktionieren. Wichtig ist, dass die Leute die Zeichnung witzig finden. Wenn sie auch noch eine Botschaft hat, umso besser.
Welche Krankheit oder Behinderung lässt sich am besten in einem Cartoon verarbeiten?
Bei mir ist Multiple Sklerose ganz gut, weil ich mich hier auskenne und weiss, welche Typen Kranke es gibt. Ansonsten ist es generell einfacher eine physische Krankheit zu zeichnen als eine psychische. Beispiel: Eine Karikatur über einem Mann ohne Armee versteht jeder. Bei einer Krankheit, die man den Menschen nicht auf den ersten Blick ansieht, wird es für den Cartoonisten schwieriger.
Lachen Sie auch selber über Ihre Cartoons?
Ich sitze jetzt nicht lauthals lachend über meinen Zeichnungen. Aber man sollte schon selber darüber lachen können, zumindest Schmunzeln. Als Cartoonist ist man ja die erste Person, die testet, ob der Witz funktioniert oder eben nicht.
Wie inspirieren Sie sich?
Es gibt kein Rezept. Manchmal klappt es ganz gut, und ein anderes Mal sitzt man nur da und grübelt. Was ich seit einigen Jahren mache, ist, dass ich mir eine Auszeit gönne. Ich fahre eine Woche lang alleine an die Ostsee und arbeite nur an meinen behinderten Cartoons. Ich kriege frische Luft, neue Ideen, neue Gedanken.