Dies ist eine Liebesgeschichte. Und ein Stück Schweizer Musikgeschichte. Von einem, der gehen musste, und einer, die blieb. Und beschloss, den gemeinsamen Weg noch etwas weiter zu gehen. Um ein Stück Arbeit zu retten und sich selbst. Um sich vor dem Einschlag der Trauer in Sicherheit zu bringen und das zwischenmenschlich so dumpfe Corona-Jahr 2020 zu überleben.
Dies ist die Geschichte von Taranja Wu und Olifr M. Guz. Sie waren ein Paar in Leben und Arbeit. Wobei sie eigentlich Linda heisst und er Oliver, aber in der Musik sind sie Taranja und Olifr und ihr gemeinsames Projekt heisst NAKED in ENGLISH CLASS. Soeben ist das neue Album der beiden erschienen. Am 20. Januar, dem ersten Todestag von Guz.
Die Baslerin und der Schaffhauser lernten sich irgendwann, sagen wir vor ungefähr sieben Jahren kennen. Eines Tages machten sie über irgendwas zusammen Witze und steigerten sich derart in ein gemeinsames Gelächter hinein, dass die Sache mit der Liebe, die manchmal übers Zwerchfell geht, klar war. Eines weiteren Tages sangen sie zusammen «These Boots Are Made for Walking» und merkten, dass sie zu ihrem grössten Erstaunen auch gesanglich harmonierten.
2015 gründeten sie NAKED in ENGLISH CLASS. Ein Projekt zwischen Punk und Ballsaal, mit dreisten elektronischen Effekten und schamlos tanzbar. Ein bombastischer Sound, zehn parallel laufende Tonspuren mindestens und natürlich alles selbst eingespielt, denn da Guz nicht nur Musiker, sondern auch Produzent war, stand den beiden Tag und Nacht ein Studio zur Verfügung.
Und wie macht man das jetzt, ein Album mit einem Verstorbenen? Drei Songs waren bereits fertig, die hatten sie auch schon live gespielt, drei waren beinahe fertig, andere Ideen schrieb und produzierte Taranja zu Ende, fischte «ein paar Juwelen» aus dem Treibgut des gemeinsamen Experimentierens. Sie mietete ein kleines Studio in Schaffhausen, «die Räume waren vertraut, der Geruch, ich kannte die Nachbarn, ich verbachte dort Wochen, tauchte ab und sperrte alles aus, was nicht mit dieser speziellen Welt von Olifr und mir und unserer Musik zu tun hatte». Zuerst hielt sie es kaum aus, seine Stimme zu hören, dann ging es besser, dann war es nicht mehr ein totaler «Angriff». «Ich weiss nicht, was ich ohne die Musik getan hätte, ganz ehrlich».
Der Schock für die Schweizer Musikszene vor einem Jahr war irr. Die Vorstellung, dass Guz sterben musste, weil er im Spital lag und auf ein Spenderherz wartete, das einfach nicht kam, macht auch heute noch fassungslos.
«Im Herbst 2017 fuhren wir nach Island, ich hatte uns das zu unseren Geburtstagen geschenkt, und auf Island hatte er einen Herzstillstand. Als er die Reha hinter sich hatte, sagte das Unispital, dass sie mit einer medikamentösen Behandlung am Anschlag wären, dass ihm jetzt nur noch eine Herztransplantation helfen würde. Offenbar war davon früher schon mal die Rede gewesen, aber Oli war nicht bereit gewesen, sich darauf einzulassen. Nach Island war er es.»
Die Ansage war: Ein bis zwei Jahre warten. In dieser Zeit durfte er nicht reisen, konnte nicht auf Tour, war auf Abruf, innerhalb von ein bis zwei Stunden musste es für ihn möglich sein, im Unispital zu erscheinen. Seine international bekannte Band Die Aeronauten hatte ihre Tour zum Glück gerade hinter sich.
Im Sommer 2019 verschlechterte sich seine Gesundheit zusehends, im September brach er zusammen, wurde mit der Rega ins Spital geflogen und kam auf die «Dringlich»-Liste. Was im Normalfall zwischen zwei Tagen und vier Wochen bedeutet. Doch da war kein Herz. Und nach ein paar Monaten gab seines auf.
Weniges ist für Künstlerinnen und Künstler so schwierig wie über ihre Arbeit zu sprechen. Weil sie die Arbeit in erster Linie machen, weil sie komponieren, malen, schreiben, spielen, weil sie aufführen, performen, aktiv sind. Die Betrachtung, die Kontemplation, die Analyse ist Sache von Kritik oder Wissenschaft. Und keine Kritik ist nerdiger und ausschliessender als die der Musik. Weshalb es völlig hirnrissig ist, Texte über NAKED in ENGLISH CLASS zu lesen.
In Taranjas Worten waren sie und Guz Schatzsuchende. Nahmen Melodiefetzen oder Texte (etwa von David Lynch in «So Glad» oder von Hüsker Dü in «Do the Bee»), die es schon gab und schrägten sie so lange ab, bis etwas ganz Neues daraus entstand. Nahmen die Originale als Sparringpartner, um den eigenen kreativen Fluss in Gang zu bringen, suchten nach Twists und Widersprüchen. Pflanzten Störgeräusche in den freudvollen, energetischen Sound. Sind Auftritte mit dem neuen Album denkbar? Ja, mit Lukas Langenegger, dem Gitarristen der Aeronauten, der Guz' Part übernehmen würde. Wenn Corona das überhaupt jemals wieder zulassen wird.
Und wie geht es ihr jetzt mit dem vollendeten Album? Ist sie glücklich? Befreit? «Ich bin erleichtert und happy und stolz, und es ist schön, dass noch so viel von Oli drauf ist. Aber ich weiss, dass jetzt irgendwann die Leere kommt», sagt sie, «und dass es dann ganz leer und still wird in mir drin.» Für uns andere wird es dank Songs wie «Ramble and Roam» in den Ohren erst einmal laut und in Gedanken so voll, dunkel und bierfeucht wie bei einem richtigen Konzert.
In GUZ we trust!
Frau Wu wünsche ich viel Kraft & Zuversicht - es ist schön, dass die Musik weiter lebt!
Danke Guz
Danke Taranja