Hoffen wir mal, dass keine Verschwörungstheoretiker «The Push» schauen werden. Das einstündige Netflix-Spektakel will uns nämlich lehren, dass die selbstverständlichsten Interaktionen unseren Verstand manipulieren können. So weit, dass wir bereit sind, zu morden.
Aber beginnen wir von vorne. Beim allmächtigen Vater dieser Sendung …
… Derren Brown sagt von sich selbst, er sei ein Magier – ein TV-Magier. Doch Karten-Tricks und fliegende Blumensträusse gehören nicht ins Trick-Repertoire des 43-jährigen Briten. Brown betreibt sowas wie philosophische Magie, arbeitet mit Psychotricks und Suggestion. Das interessiere die Leute heutzutage, erklärt er in den ersten 56 Sekunden seiner Sendung: «Ich stelle die uralte Frage danach, was es denn bedeutet, ein Mensch zu sein.»
Sein Erklärungsversuch auf jene Megafrage ist ein einstündiger Zusammenschnitt, wie er mit der Hilfe von 80 Schauspielern vier Menschen zu einem Mord verleiten will.
Wirklich sterben tut bei «The Push» niemand. Die wahren Opfer sind die vier unwissenden Auserwählten, die einen «Job» bei einer renommierten Jugendorganisation erhalten haben. Der Name des Vereins: «Push». Der Slogan: «Um jeden Preis.»
Man sieht: Manipulation findet hier auf allen Ebenen statt.
Die unterste all dieser Ebenen bildet ein Tablett voller Würstchen im Teig. Chris, der die meiste Präsenzzeit aller vier Kandidaten erhält, wird zu einer Benefiz-Gala von «Push» eingeladen. Seine IT-Firma darf für «Push» angeblich einen grossen Auftrag ausführen und deshalb soll er an diesem Event ein bisschen mit den reichen Leuten networken. Bevor die Reichen aber eintrudeln, plaudert Chris mit dem «Push»-Leiter Thomas. Solange, bis das erste Problem von noch ganz vielen auftaucht.
Die vegetarischen Wurstbrote wurden nicht geliefert. Geschäftsführer Thomas meint, das sei doch nicht so schlimm, packt Chris, das Opfer, väterlich an der Schulter und fordert ihn auf, die Hälfte der Häppchen mit einem grünen V-Fähnchen zu markieren. Voilà: da haben wir schon den ersten Moralverstoss.
Für alle die, die nicht gecheckt haben, dass dies Chris' erster Schritt ins Verderben war, meldet sich der TV-Magier Brown immer wieder mal aus seiner Kontrollzentrale und erklärt mit einem Headset auf dem Kopf Dinge wie: «Was hier gerade passiert, ist eine ‹Fuss in der Tür›-Situation.»
Durch Brown erfährt das Publikum, wie die menschliche Psyche angeblich tickt. Die Würstchen-Posse kommentiert er so:
Die «Gefallen» werden tatsächlich immer grösser. Auch absurder, dramatischer, ja manchmal fast komödiantisch(er). «The Push» wirkt zeitweise wie eine äusserst komplexe Folge von «Verstehen sie Spass?»; und im nächsten Moment, wie eine sehr schwache Episode von «Black Mirror». Aber Darren Browns Show ist weder eine Serie, noch ist sie Fiktion. «The Push» sei Reality-TV, konstatiert der Magier an mehreren Stellen. Zu Recht! In der Tat kriegen wir als Zuschauer die volle Ladung dieses Genres.
Fremdscham für Chris, wenn er sich als reicher Auktionär ausgibt und vor Hunderten eine stottrige Rede hält, Ekel als die Kandidaten eine mutmassliche Leiche verprügeln und Betroffenheit bis zur letzten Minute, begleitet von der urklassischen Reality-Frage:
«Glauben» ist ein super Stichwort. Denn was Derren Brown in «The Push» macht, ist wie ein bisschen Gott spielen. Er kreiert ein kleines Universum, in dem jede einzelne Person – bis auf eine, versteht sich – seine Stimme im Ohr hat. Mit 50 Augen in Form von versteckten HD-Kameras bestückt er sich. Aber Brown erfindet die Welt nicht gänzlich neu. Er bedient sich an machtvollen gesellschaftlichen Narrativen. Zum Beispiel der Norm der Wohltätigkeit. Dass seine Mord-Show an einer Benefiz-Gala spielt, hilft ihm, seine Kandidaten noch perfider zu manipulieren. Im Sinne von: Es ist ja für die Kinder. Für eine gute Sache.
Findet er das geil? Wissen wir nicht. Sagen tut er es auf jeden Fall nicht, er grinst bloss ab und zu in seiner Kontrollzentrale. Wenn etwa was besonders gut funktioniert, zum Beispiel wenn einer der Kandidaten dreiste Lügen erzählt uns sich selbst immer weiter in Browns Netz der Vereinnahmung webt.
Ganz am Schluss der Sendung ist der TV-Magier aber wieder ernst, so wie am Anfang. Er guckt frontal in die Kamera und appelliert an den Zuschauer, sodass jedem Verschwörungstheoretiker das Herz aufgeht:
Ob Darren Brown damit die grosse Frage vom Anfang, was es denn bedeute, ein Mensch zu sein, beantwortet? Aller höchstens bedingt. Ob wir nach «The Push» wissen, zu welch ekligen Dingen der Mensch fähig ist? Sicher. Aber wissen wir das nicht schon lange?