Ok, gut. Ich gebe es zu. Ich habe nicht direkt durchgehalten mit meinem Energydrink-Entzug. Aber ein Entzug ist ja auch nichts für die Ewigkeit. Man wird also entweder rückfällig oder ... was? Enthaltsam? Klingt nach einer lebenslangen Leistung. Und mich dünkt, das Leben an sich ist schon Leistung genug.
Darum heisst es auch Leistungsgesellschaft.
Und das hat so begonnen:
Ein abessinischer Hirte im schönen Königreich Kaffa – im Südwesten des heutigen Äthiopien – hat in einer der vielen Nächte des 14. Jahrhunderts bemerkt, dass einige seiner Ziegen partout nicht schlafen wollten. Sie hatten an einem Strauch mit weissen Blüten und roten Früchten herumgeknabbert und hüpften daraufhin herum wie die Halbwulligen.
Da wurde der Hirte wütend, wahrscheinlich tat er ob dem ganzen Tohuwabohu kein Auge zu. Und so ging er am nächsten Morgen mitsamt seiner Übermüdung zum nahe gelegenen Kloster, um sich bei den Mönchen zu beklagen. Einer der gottgeweihten Männer untersuchte daraufhin die Grasungsstelle und fand dort das ominöse Gewächs mit den kirschenartigen Früchten. Er machte daraus einen Aufguss und betete fortan die ganze Nacht hindurch.
Durch die Jahrzehnte hindurch verlagerte sich dann der Schwerpunkt vom Beten hin zum Arbeiten, schuld daran war die Reformation, die bedauerlicherweise damit begann, die Arbeit zu heiligen, die Jesus freilich sehr entschieden verabscheut hatte.
Das schien aber niemanden weiter zu kümmern, besonders Luther nicht, denn ihm hat der Beruf seine heutige Bedeutung zu verdanken. Er ist nicht mehr länger eine Berufung, sondern ein Handwerk, eine Fachtätigkeit, mit der Geld verdient wird.
Oder werden muss. Und zack haben wir Kapitalismus, haben wir den ökonomisch denkenden Menschen und diese vermaledeite Leistungsgesellschaft. Und damit alle noch ein bisschen mehr funktionieren, saufen alle diese trübe Tunke. Füllen ihre innere Leere, wo einst vielleicht eine Berufung hätte sein können, mit dieser braunen Brühe namens Kaffee.
Oder eben Energydrinks. Die sind allerdings gesellschaftlich verpönt. Ihre Daseinsberechtigung beschränkt sich auf das eher knappe Zeitfenster jugendlichen Proletentums.
Ich habe es ja immerhin geschafft, dieses viel verachtete Gesöff bis in meine 30-er Jahre hineinzuretten. Dann, in einem ebenso zeitlich beschränkten Anfall von Erwachsensein, aus einem tiefen Bedürfnis heraus, ernst genommen zu werden, habe ich den sprudelnden Energiespendern abgeschworen. Nur um dann, in einem schwächlichen Moment, der Sehnsucht nach dem Prickeln nachzugeben – und wieder damit anzufangen. Allerdings trinke ich jetzt die zuckerfreie Variante.
Immerhin.
Heute habe ich meinen Energydrink zuhause vergessen. Dabei stand er so griffbereit da, schön in Reih und Glied mit seinen Artgenossen, griffbereiter kann man überhaupt in keinem Kühlschrank der Welt stehen.
Mist.
Es ist also so weit. Mein Chef sagt: «Anna. Heute gibt's Kaffee.» Schliesslich muss man ja etwas Koffeinhaltiges trinken. Müdigkeit ist heute etwa so geschätzt wie einst Syphilis. Ihr wisst warum. Aber ich erwähne es noch einmal. Nur so zur Sicherheit.
Leistungsgesellschaft.
Mein Chef freut sich bübisch und reibt sich die Hände wie jemand, der mit dem Weltherrschaftsgedanken spielt und dabei seine Chancen ziemlich hoch einschätzt. Und ja. Heute hat er zumindest mir eine neue Welt aufgedrängt. Diejenige, der ich nie angehören wollte.
Die Kaffeewelt.
Ich hasse Kaffee. Ich finde, er schmeckt so ein bisschen wie eine an der Sonne verrottete Hyäne, die kurz vor ihrem Tod selbst noch ein klein wenig an einer an der Sonne verrotteten Hyäne genagt hat.
Ich weiss, bis zu 800 Aromen kann so ein Kaffee entfalten. Mir sind allesamt egal. Ich bin immun gegen die Bilder vom affektierten Nase-in-die-Tasse-halten-und-dazu-die-Augen-schliessen-und-mit-so-einem-unerträglichen-Schnaufgeräusch-den-göttlichen-Geruch-in-sich-einsaugen.
Ich glaube nicht an hübsche Kaffeewerbefrauen, die lächerliche und jedweder Hygienevorschrift trotzende Papierhütchen tragen und mit ihren nackten Händen verführerisch durch kiloweise herabfliessende Kaffeebohnen fahren, als hätten sie sie eigenhändig gepflückt.
«Schöntrinken musst du dir den Kafi jetzt», sagt mein Chef – und drückt auf die Taste mit der grossen Tasse drauf. Als wär nicht alles gleich scheusslich. Diese Wahl, die mir hier vorgegaukelt wird, ist an Perfidität kaum zu überbieten. Im Mittelalter haben sie wenigstens ehrlich gefoltert.
So richtig heiss schmeckt er gar nicht so schlimm.
Eventuell hab ich mir auch einfach den Mund verbrannt.
Obwohl.
Jetzt beginnt es, so richtig bitter zu schmecken.
Hat da etwa jemand die an der Sonne verrottete Hyäne noch mit einer Grapefruit eingerieben?
Ich gehöre jetzt also für einen Tag zu den Kaffeemenschen. Ob ich jetzt auch so einen blöden Kaffeewitz machen muss? Einer, der zeigt, wie einzigartig das morgendliche Verlangen nach Kaffee ist ...
(... in einer Leistungsgesellschaft?)
Im Übrigen glaube ich auch nicht an die weitverbreitete Legende, die besagt, Chuck Norris brauche keine Kaffemaschine. Weil er nämlich die Bohnen einfach in den Mund stecke und sie dann mit seinem Zorn koche.
Das ist Humbug!
Denn: Warum sollte er überhaupt Kaffee brauchen? Er ist Chuck Norris. Und der wird niemals müde. Wenn überhaupt wird die Müdigkeit Chuck Norris.
Meine Tasse ist leer.
Endlich.
P.S. An User The Origin Gra: Bitte sei nicht allzu enttäuscht von mir ...