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Schweizer Flugunfall-Ermittler: «Ohne die Blackbox zu öffnen, ist eine Manipulation der Daten fast nicht denkbar»

Die Blackbox der MH17 soll Licht ins Dunkel bringen.
Die Blackbox der MH17 soll Licht ins Dunkel bringen.Bild: AP NTSB
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Schweizer Flugunfall-Ermittler: «Ohne die Blackbox zu öffnen, ist eine Manipulation der Daten fast nicht denkbar»

23.07.2014, 10:1423.07.2014, 20:48
Kian Ramezani
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Am Dienstagmorgen übergaben die prorussischen Rebellen in Donezk malaysischen Behördenvertretern die beiden Flugschreiber der abgeschossenen MH17. Sie sollen nun von Experten in Grossbritannien ausgewertet werden. In den Tagen seit dem Absturz gab es widersprüchliche Angaben über den Verbleib der Flugschreiber. Die ukrainische Regierung in Kiew verdächtigt die Rebellen, die Zeit genutzt zu haben, um die Daten auf der Blackbox zu manipulieren. Doch ist das überhaupt möglich? watson sprach mit Christian Gerber, Untersuchungsleiter im Bereich Aviatik bei der Schweizerischen Unfalluntersuchungsstelle (SUST).

Wem «gehören» die Flugschreiber von MH17 streng juristisch?
Christian Gerber: Die Flugschreiber gehören dem Betreiber, in diesem Fall der Malaysia Airlines – bis zu einem Unfall, beziehungsweise einem schweren Vorfall. Dann erhalten die mit der Unfalluntersuchung betrauten Behörden den Zugriff. Die Flugschreiber sind einzig zum Zweck der Unfalluntersuchung oder der Untersuchung von schweren Vorfällen eingebaut.

Macht es einen Unterschied für die Untersuchung, ob der Absturz auf einen Unfall oder einen Terrorakt zurückgeht?
Ja, der Zweck einer Untersuchung gemäss der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) ist es, durch Lehren, die man aus dem Ablauf eines Vorfalls ziehen kann, weitere Unfälle oder schwere Vorfälle zu verhindern. Eine solche Untersuchung dient nicht dazu, herauszufinden, wer wieviel schuld trägt, sondern was passiert ist und warum. Anders bei einem Terrorakt: Dabei geht es um die Untersuchung einer kriminellen Tat.

Wer entscheidet, wer die Flugschreiber auswertet?
Im Falle einer ICAO-Unfalluntersuchung wäre der Staat für die Untersuchung zuständig, auf dessen Territorium die Trümmer zu Boden gehen. 

Ein malaysischer Experte nimmt in Donezk die beiden Flugschreiber der MH17 entgegen (22.07.2014).
Ein malaysischer Experte nimmt in Donezk die beiden Flugschreiber der MH17 entgegen (22.07.2014).Bild: MAXIM ZMEYEV/REUTERS

Heisst das, die prorussischen Rebellen hätten die Flugschreiber theoretisch den Behörden in Kiew, und nicht Malaysia Airlines übergeben müssen?
Das ist richtig. Im Falle eines Flugunfalls wäre die ukrainische Unfalluntersuchungsstelle zuständig. Gemäss ICAO werden andere Staaten zur Mithilfe eingeladen oder sind berechtigt, bei der Untersuchung mitzuhelfen. Im Fall eines Terroraktes ist hingegen die lokale staatliche Behörde zuständig. In der Schweiz wären dies Bundespolizei und Bundesanwaltschaft.

Wie öffnet man einen Flugschreiber, um die Daten auszuwerten?
Mit normalem Werkzeug. Meist sind die entsprechenden Schrauben mit einem Siegel versehen. Allerdings braucht ein mechanisch unbeschädigter Flugschreiber nicht geöffnet zu werden, um die Daten auszulesen.

Das Innere eines typischen Flugschreibers.
Das Innere eines typischen Flugschreibers.Bild: Wikimedia Commons

Ist eine Manipulation der Daten möglich?
Die Daten sind in einem Speicher abgelegt. Theoretisch kann man diese durch geänderte Daten ersetzen. Dies erfordert aber sehr viel spezialisiertes Fachwissen und ist schwierig zu bewerkstelligen. Anders sieht es beim Stimmenrecorder (Cockpit-Voice-Recorder) aus: Die Aufnahme kann einfach gelöscht werden.

Staatliche Akteure wie die Ukraine und Russland würden über dieses Fachwissen verfügen.
Das kann ich nicht beurteilen, will es aber nicht ausschliessen.

Wäre es theoretisch mit dem nötigen Fachwissen möglich, die Daten des MH17-Flugschreibers zu manipulieren, ohne dass die Untersuchungsbehörden das anschliessend bemerken?
Ohne den Flugschreiber zu öffnen, ist ein Überschreiben der Daten mit modifizierten Daten fast nicht denkbar. Allerdings könnten die vorhandenen Daten mit leeren Informationen überschrieben werden. Das würde man zwar bemerken, aber die Originaldaten wären weg.

Ein ukrainischer Katastrophenschutzmitarbeiter findet am Freitag nach dem Abschuss der MH17 einen der beiden Flugschreiber (18.07.2014).
Ein ukrainischer Katastrophenschutzmitarbeiter findet am Freitag nach dem Abschuss der MH17 einen der beiden Flugschreiber (18.07.2014).Bild: REUTERS TV/REUTERS

Es ist unklar, wo die Flugschreiber in den vergangenen fünf Tagen waren. Gibt es bei der Flugunfall-Untersuchung auch das Konzept der «Chain of Custody» wie bei den Chemiewaffen-Inspektoren?
Bei einem «normalen» Flugunfall ist die erste Regel, dass das ganze Gelände hermetisch abgeriegelt wird. Als nächstes kommen die Untersuchungsbeauftragten und suchen und behändigen die Flugschreiber. Sie sind nachher verantwortlich, dass diese in ein entsprechend ausgerüstetes Labor kommen und die Auswertung der Daten erfolgt. 

Wie werden die Daten ausgelesen?
Die Flugschreiber werden mit Strom versorgt und mit einer entsprechenden Software wird der Speicher ausgelesen. Ausserdem müssen die Daten entschlüsselt werden. 

Wäre ein Treffer einer Rakete auf dem Stimmenrecorder zu hören?
Das ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.

Die Cockpit-Aufnahmen der 1998 abgestürzten SR111 wurden später veröffentlicht. Ist das auch bei MH17 denkbar?
Das ist nicht zu hoffen, die Aufnahmen sind gemäss ICAO absolut vertraulich. Das sollten nur die Untersuchungsbeauftragten hören. Dies zum Schutz der Besatzungen.

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