Herr Strahm, bei der Mindestlohninitiative hat die Linke nicht einmal ihr Wählerpotenzial ausschöpfen können. Eine Blamage.
Rudolf Strahm: Das kann man so sagen. Auch wenn sich das Nein abzeichnete, ist der tiefe Ja-Anteil extrem peinlich. Die Gründe sind klar ersichtlich.
Nämlich?
Die Initianten sind mit angezogener Handbremse gefahren. Es scheint fast, als hätten sie gewerkschaftsintern ein Manual gehabt, was in der Kampagne alles nicht gesagt werden darf. So äusserten sie sich nie zur Tiefstlohn-Einwanderung oder zu flexiblen Anwendungsmöglichkeiten der Initiative. Und schliesslich sah man wenige SP-Exponenten, die sich für das Anliegen starkmachten. Das Thema wurde von Gewerkschaftern besetzt und die Kampagnenleitung war oberschwach.
Einmal mehr zeigt sich, dass linke Initiativen vor dem Volk kaum eine Chance haben. Weshalb?
So einfach das tönt: Die Schweiz ist ein konservatives Land. Genuin linke Anliegen, die eine Umverteilung des Wohlstands anstreben, sind schlicht nicht mehrheitsfähig. Viele Bürger scheinen SP und Grünen in Finanzfragen nicht zu vertrauen, da haben sie ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Soll die Linke denn grundsätzlich die Finger lassen von aufwendigen Initiativkämpfen?
Nein. Es gibt durchaus Themen – beispielsweise in der Gesundheits-, Umwelt- oder Steuerpolitik –, wo die Linke auch Mittewähler ansprechen kann, die letztlich den Ausschlag geben. Es ist aber so, dass ihre Gestaltungskraft insgesamt beschränkt ist. Ihre Stärke liegt im Verhindern und Blockieren von Gesetzen – sei es im Parlament oder mittels Referenden.
Was machen denn die Bürgerlichen besser? Sie bringen mit ihren Initiativen regelmässig Mehrheiten zustande.
Sie verstehen es, echte oder auch nur gefühlte Betroffenheit der Bürger zum Thema zu machen. Es sind Themen, an die sich die Linke aufgrund ihrer «Political Correctness» nicht heranwagt – etwa die Migrationsproblematik oder strafrechtliche Vorlagen. Bei solchen Fragen sind die linken Parteien in ihrem Korsett gefangen. Und sie haben natürlich weniger Geld zur Verfügung.
Was bedeutet das heutige Resultat für weitere linke Anliegen wie die Erbschaftssteuer oder die Abschaffung der Pauschalbesteuerung?
Steuergerechtigkeit ist nicht gleichbedeutend mit Umverteilung. Von dem her gebe ich zumindest der Pauschalbesteuerungsinitiative durchaus Chancen. Es ist zu hoffen, dass die Initianten aus den Fehlern lernen und die Kampagne auf die ausländischen Milliardäre am Genfer- und Zürichsee fokussieren.