Acht Schaufenster, verdreckt, mit Graffitis besprüht und zugeklebt mit Fotos von Mädchengesichtern. Esmeralda Castillo Rincón. 14 Jahre. Vermisst seit Mai 2009. Nancy Iveth Navarro Muñoz. 18 Jahre. Vermisst seit Juli 2011. Irgendjemand hat ihr Gesicht angemalt. Willkommen in der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez.
Juárez liegt im Norden Mexikos. Die Stadt schmiegt sich an die amerikanische Grenze, an ihren texanischen Nachbarn El Paso, der reicher ist, herausgeputzter und sich mit einem über 1000 Kilometer langen Zaun das schäbige und verbrecherische 1,5-Millionen-Juárez vom Leibe hält. Ein Zug verbindet die beiden Orte, er rauscht über die Paso-del-Norte-Brücke und er kennt vor allem eine Richtung: Die in die heile Welt.
Das Brummen und Scheppern, das von diesem Zug kommt, hat die Künstlerin aufgenommen und bringt damit ihre ausgestellten Scheiben wie Membrane zum Klingen. Das Geräusch ist da, die Ladenvitrinen sind da, die Vermisstenanzeigen und Steckbriefe der Mädchen sind da. Der Besucher steht mitten in Juárez.
Der Raum ist nur schwach beleuchtet, irgendwie unheimlich. Der Betrachter schaut nicht die vermissten Mädchen an, sie schauen ihn an. Vielleicht leben sie noch, vielleicht liegen sie aber auch schon irgendwo in einem Strassengraben, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Margolles thematisiert in ihrer neuen Arbeit «La búsqueda» (Die Suche) die Frauenmorde, die seit den 90er Jahren in Ciudad Juárez verübt werden. Lokale Frauenrechtsorganisationen beziffern die Zahl der zwischen 1993 und 2013 getöteten Frauen und Mädchen auf 700. Niemand weiss, wer diese Morde verübt, und auch die Motive bleiben bis heute im Dunkeln. Die Stadt versinkt in Gewalt: Drogenkriege, Menschen- und Organhandel, korrupte Polizisten und der Machismo. Und irgendwo in diesem Pfuhl sind die Mädchen auf den Schaufensterscheiben verschwunden.