Hamburg - Vergangenen Sonntag schien der grosse Knall bevorzustehen. Starke Beben hatten den isländischen Vulkan Bárðarbunga erschüttert. Und plötzlich, vormittags um 11.18 Uhr, erblickten Wissenschaftler im Warnzentrum in Reykjavik das gefürchtete Signal auf ihrer Armatur.
Eine unruhige Zackenlinie kündete vom Trommeln Abertausender winziger Beben an der Oberfläche des Vulkans. «Magma scheint auf den Gletscher getroffen und explodiert zu sein», teilte die Behörde mit. Piloten wurde verboten, die Region im Zentrum Islands zu überfliegen. Es galt Alarmstufe Rot.
Ob es tatsächlich eine Eruption gab, bleibt allerdings unklar. Ein Hunderte Meter dicker Gletscher bedeckt den Vulkan, den mit zweitausend Metern zweithöchsten Berg Islands. 800 Grad heisse Lava hätte Eis tauen und Schmelzwasserfluten zu Tal schicken müssen. Strassen waren vorsorglich gesperrt worden. Doch grössere Fluten blieben aus. Womöglich war es also Fehlalarm.
Experten des Icelandic Met Office (IMO) jedoch rechnen weiterhin mit einer Eruption des Bárðarbunga; die Warnampel steht auf Orange, der zweithöchsten Stufe. Vergangene Nacht erschütterte ein ungewöhnlich schweres Beben der Stärke 5,7 die Eingeweide des Vulkans, es liess weite Teile Islands zittern. Alles scheint möglich: Ein starker Ausbruch ebenso wie das Einschlafen des Vulkans, der zu den grössten der Welt gehört.
In seinem Zentrum liegt ein zehn Kilometer breiter, 700 Meter tiefer Krater, der daran erinnert, dass der Vulkan zu extremen Explosionen fähig ist, die seinen Gipfel sprengen können. Einige Eruptionen des Bárðarbunga (sprich: Bardarbunga) gehören zu den heftigsten der isländischen Geschichte. 8500 Jahre alte versteinerte Lava etwa bedeckt eine Fläche so gross wie Berlin in der Umgebung, sie zeugt von einem gewaltigen Ausbruch.
So schlimm muss es nicht kommen. Doch es herrscht die Befürchtung, der Vulkan könnte immerhin Aschewolken nach Europa schicken wie zuletzt seine Nachbarn, der Eyjafjallajökull 2010 und der Grímsvötn 2011. Droht erneut eine Stilllegung des Flugverkehrs?
Das IMO hält drei Szenarien für wahrscheinlich:
Doch die Zeichen stehen auf Ausbruch: Seit Tagen verraten kleine Erdbeben, wohin sich Magma im Berg ausbreitet – das Magma lässt das Gestein knacken. Die Beben wandern nach Nordosten, das Magma kommt zeitweise mehr als 20 Zentimeter pro Sekunde voran.
GPS-Sensoren zeigen, dass der Strom im Untergrund den Vulkan ausbeult. Die Daten liessen vermuten, dass mittlerweile mehr als 350 Millionen Kubikmeter geschmolzenes Gestein durch den Fels drängten, berichtet das IMO - die Menge könnte mehr als 3500 olympische Schwimmbecken füllen.
«Ich habe in 32 Jahren in Island noch keinen solch kräftigen Magmaeinstrom gesehen», staunt der Vulkanforscher Dave McGarvie von der Open University in Edinburgh. Aus der Tiefe strömt Magma nach, allein während des vergangenen Tages seien 50 Millionen Kubikmeter hinzugekommen, also 50 Milliarden Liter.
Je höher das Magma steigt, desto weniger Gestein lastet auf ihm. Im Zuge der Entlastung lösen sich Gase, sie könnten die zähflüssige Glut nach oben reißen wie schäumenden Champagner.
Der Magmastrom scheint mittlerweile 40 Kilometer lang, berichtet das IMO. Die entscheidende Frage sei nun, ob die Zufuhr aus der Tiefe andauere, erläutert McGarvie. Erliege der Strom, sei wohl kein Ausbruch zu befürchten. Dränge jedoch mehr Magma aus dem Untergrund, scheine eine Eruption unvermeidlich.
Die aktuelle Mitteilung der IMO klingt wenig hoffnungsvoll: Für ein Abflauen der vulkanischen Aktivität gebe es keine Anzeichen.