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Immer mehr Frauen sagen: Mutterschaft, nein danke

Dass Oscar-Preisträgerin Helen Mirren ohne Kinder ein glückliches Leben führt, ist offenbar kaum zu glauben: In Interviews muss die Britin immer wieder dazu Auskunft geben.
Dass Oscar-Preisträgerin Helen Mirren ohne Kinder ein glückliches Leben führt, ist offenbar kaum zu glauben: In Interviews muss die Britin immer wieder dazu Auskunft geben.Bild: /AP/KEYSTONE
«Eine Provokation»

Immer mehr Frauen sagen: Mutterschaft, nein danke

Dank dem medizinischen Fortschritt standen die Aussichten nie besser als heute, ein eigenes Kind in die Arme schliessen zu können. 
24.06.2014, 05:5024.06.2014, 22:05
Karen Schärer / Aargauer Zeitung
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Aargauer Zeitung

Kürzlich hat es die britische Schauspielerin Helen Mirren wieder getan. Die 69-Jährige hat in einem Interview bekräftigt, dass sie nie das Bedürfnis verspürt habe, Kinder zu bekommen. Und nein, sie habe die Kinderlosigkeit nie als Verlust empfunden. Wie jedes Mal, wenn sich die Oscar-Preisträgerin zum Thema äussert, wurden ihre Worte in verschiedenen Medien weiterverbreitet. Gleich ergeht es jüngeren kinderlosen Schauspielerinnen wie Cameron Diaz, Renée Zellweger oder Lena Dunham. 

Eigentlich wenig verwunderlich: In Zeiten, in denen jede kleine Wölbung unter dem Kleid einer prominenten Frau in der Klatschpresse als mögliche Schwangerschaft bejubelt wird und mit Bildern von neugeborenen Promikindern Millionendeals gemacht werden, ist das öffentliche Bekenntnis zum kinderlosen Glück für viele irritierend. 

Das erlebte auch die deutsche Journalistin Sonja Siegert auf Lesetour zu ihrem Buch «Ich will kein Kind». Co-Autorin Anja Uhling und sie selbst seien teilweise «massiv angefeindet» worden, sagt sie. «Für manche ist die gewollte Kinderlosigkeit eine ungeheure Provokation.» 

Gegenpol zur Familienorientierung 

Die Gesellschaft öffnet sich gegenüber vielfältigen Familienformen; die Politik beschliesst Massnahmen, damit Paare mit unerfülltem Kinderwunsch mit medizinischer Hilfe doch noch zu ihrem leiblichen Kind kommen, und es ist breit akzeptiert, dass die medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft und grosse Anstrengungen unternommen werden, um ein Kind zu bekommen. 

Menschen, die das Thema Kind aus ihrem Leben kategorisch ausschliessen, bilden einen extremen Gegenpol zu dieser Familienorientiertheit. Gewiss: Die 13 Personen, die Siegert und Uhling in ihrem Buch porträtierten, erfahren manchmal Akzeptanz, wenn es um ihre gewollte Kinderlosigkeit geht. Häufig aber fühlen sie sich unter Rechtfertigungsdruck, werden als egoistisch abgestempelt oder müssen sich gegen Unterstellungen und Vorwürfe wehren. «Diesen Rechtfertigungsdruck finden wir falsch», schreiben die Autorinnen. «Es sollte genauso normal sein, keine Kinder zu wollen, wie unbedingt Eltern werden zu wollen.» 

«Für manche ist die gewollte Kinderlosigkeit eine ungeheure Provokation.» 
Sonja Siegert, Autorin von «Ich will kein Kind»

Natürlich gab es schon immer kinderlose Frauen. Doch: In Zeiten vor der Verhütung seien diese eher bemitleidet worden, sagt Sonja Siegert. «Man nahm die Kinderlosigkeit nicht als selbstbestimmte Entscheidung wahr.» Erst mit der grossen Verbreitung der Pille in den 1960er-Jahren konnte die Frage nach dem Kinderwunsch überhaupt entstehen, wie die deutsche Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim festhält, die intensiv zur Kinderfrage und Familienformen geforscht hat. Seit es Möglichkeiten zur Verhütung gibt, «passieren» Kinder meist nicht mehr, sondern sie sind «Wunschkinder». 

Auch Cameron Diaz ist kinderlos glücklich.
Auch Cameron Diaz ist kinderlos glücklich.Bild: Instagram

Trotzdem ist die Wahlfreiheit, die mit dem leichten Zugang zu Verhütung begründet worden ist, keine echte Freiheit. Dies zeigt sich etwa, wenn Frauen ab 30 gefragt werden, wann sie sich denn Kinder wünschen. Wohlgemerkt: Gefragt wird nach dem «wann», nicht nach dem «ob». Männer müssen sich diesen Fragen weniger stellen. Dies habe damit zu tun, schreibt das Magazin Time in einem Beitrag zum Thema, dass Frauen aufgrund der Einschränkungen, die das gebärfähige Alter mit sich bringt, eher als kinderlose Frau «entlarvt» werden können. Männer hingegen können auch im Alter von 65 noch zum ersten Mal Vater werden. Hinzu kommt: Bei Frauen wird stärker von einem biologisch verankerten Kinderwunsch ausgegangen. «Kinderlosen Männern hingegen wird die Entscheidung eher als Privatsache zugebilligt», schreiben Siegert und Uhling. 

Für das Bundesamt für Statistik ist klar, dass viele Frauen auf Kinder verzichten, weil sie keine gute Möglichkeit sehen, Familie und Beruf zu vereinbaren. 

Viele Kinderlose in den Städten 

Erhebungen zeigen, dass die Zahl der Frauen steigt, die keine Kinder haben. In den USA wird eine von fünf Frauen nie Mutter. In den 1970er-Jahren war es erst eine von zehn Frauen, die nie Kinder bekam. Aus der Volkszählung im Jahr 2000 ist ersichtlich, dass auch in der Schweiz immer mehr Frauen keine Kinder haben. Wie gross der Anteil gewollt Kinderloser ist, lässt sich nicht festmachen. Das Bundesamt für Statistik hält aber fest: «Der steigende Trend zur Kinderlosigkeit in der schweizerischen Wohnbevölkerung ist nicht zu übersehen. Die höchsten Anteile kinderloser Frauen weisen die Städte auf, allen voran Zürich und Basel mit 38 Prozent beziehungsweise 35 Prozent bei der Altersgruppe der 35- bis 44-Jährigen.» 

Die Zunahme der Kinderlosigkeit sei selbst dann noch deutlich, wenn «ein geringer Anteil» der Frauen in der erwähnten Alterskategorie noch Kinder bekommen sollte, hält das Bundesamt fest. Bei der Gruppe der 45- bis 54-Jährigen (also Frauen, die nicht mehr im gebärfähigen Alter sind), sind schweizweit «nur» 18 Prozent nicht Mutter geworden. Bei den 35- bis 44-Jährigen sind es 23 Prozent. 

Für das Bundesamt für Statistik ist klar, dass viele Frauen auf Kinder verzichten, weil sie keine gute Möglichkeit sehen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Diese These stützt auch das deutsche Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in einer Publikation aus dem Jahr 2012. 

Jetzt auf

Überhöhtes Mutterideal schreckt ab 

Der Entscheid für oder gegen ein Kind hängt aber nicht nur mit dem Angebot und der Finanzierbarkeit von Kitaplätzen und Möglichkeiten zur Teilzeitarbeit zusammen. Auch die Werte einer Gesellschaft und die Haltung gegenüber arbeitenden Müttern haben einen Einfluss: Auch hierzulande ist für viele selbstverständlich, dass es die Aufgabe der Mutter ist, sich in den ersten Lebensjahren um ihr Kind zu kümmern. Das vernichtende Urteil «Rabenmutter» wird schnell gefällt. Diese Überhöhung des Mutterideals dürfte den Entscheid gegen Kinder begünstigen. 

Viele der Porträtierten im Buch «Ich will kein Kind» haben enge Beziehungen zu Kindern, wollten aber einfach nie ein eigenes. Heute wählen Frauen die Kinderlosigkeit oftmals selbstbestimmt. Doch noch sorgt dieser Lebensentwurf für Aufsehen. Anders lässt sich nicht erklären, dass es im Internet lange Listen von Autorinnen und Schauspielerinnen gibt, die keine Kinder wünschen. Und dass Äusserungen dazu nach wie vor ein grosses Echo finden. Helen Mirren wird wohl auch als 70-Jährige noch einige Male über ihr Leben als Frau ohne Kinder Auskunft geben müssen. 

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