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ART ist nur ein anderes Wort für mARkT. Aber sicher nicht das schlechteste

Die Haas Brothers haben ein Boudoir mit Einsichten für erotisch Bedürftige kreiert.Bild: simone meier
Die Art Basel umarmt ihre Millionäre 

ART ist nur ein anderes Wort für mARkT. Aber sicher nicht das schlechteste

17.06.2014, 18:1723.06.2014, 09:41
Simone Meier
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Ach, die Art! Es liegt eine Aura über der Art, die einzigartig ist, denn im Grunde ist sie ja bloss eine Verkaufsmesse, eine Kunstverkaufsmesse allerdings, aber es ist hier alles so gross, so schön, so dekadent. An der Art fliesst der Champagner von der ersten bis zur letzten Minute des Messetages. An der Art kann es sein, dass man plötzlich 500 Franken Trinkgeld in die Hand gedrückt bekommt (ich weiss das, denn ich habe vor 20 Jahren an der Art gearbeitet und das Trinkgeld war meins). An der Art kann einem Brad Pitt über den Weg laufen (okay, dem bin ich persönlich noch nie begegnet). Oder Leonardo DiCaprio (dem auch nicht). Aber ich war an der Art Basel Miami Beach dabei, als Peaches mit einem Strandkonzert die Messe eröffnete und mit ihren Fans ins Meer rannte. Was will man mehr?

An der Art also wird der krude Akt der Millionenschieberei durch allerlei Massnahmen mit dem Duft der Erhabenheit geadelt. Wie jedes Jahr geschieht dies an der «Art Unlimited», also in jener Abteilung in der Halle 1, wo nur ganz wenige Galerien einzelne, monumentale Weke zeigen, sorgfältig ausgewählt, quasi als erlesenes Museum der Gegenwartskunst. Abseits des Markttreibens in der Halle 2, wo der Raum eng und die Auswahl beliebig ist. Selbst der grösste Feind der Institution Museum wird hier für einen Moment bekehrt, für ein kurzes Innehalten angesichts der schieren Kraft, die so einer Form gewordenen Vision zu eigen ist. 

Und noch so eine Einsicht beziehungsweise Aussicht auf dem Messeplatz.Bilder: simone meier
Impression von der «Art Unlimited»: «Continuel Mobile – Sphere rouge» von Julio Le Parc. 
Für erschöpfte Messebesucher: «Soft Work» von Sterling Ruby an der «Art Unlimited».

Heuer wird die Sache mit der hehren Kuratiererei, die den Kommerz relativieren soll, in Basel allerdings ganz auf die Spitze getrieben. Denn Klaus Biesenbach und Hans Ulrich Obrist, die beiden Überkuratoren unserer Tage, bei denen man nicht weiss, wer von ihnen sich grad wie Gott und wer nur wie Jesus fühlt, haben gemeinsam die «14 Rooms» geschaffen, wo es nun Performance-Kunst von 14 Künstlerinnen und Künstlern zu sehen gibt, also von Yoko Ono oder von Damien Hirst, die natürlich beide nicht da sind, aber Hirst hat ein paar performende Zwillinge nach Basel geschickt, ganz sicher als Hommage an Roger Federer.

Zwillinge sitzen vor Damien Hirsts Zwillingsbildern.
Zwillinge sitzen vor Damien Hirsts Zwillingsbildern.Bild: KEYSTONE

Auf jeden Fall, so heisst es, seien diese «14 Rooms» der allerletzte Schrei, und ich suche auf dem Twitter-Account von Klaus Biesenbach nach irgendeinem Hinweis, aber der macht grad Ferien in der Nähe des Aletschgletschers und twittert lieber über Schweizer Bergarchitektur.

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Dem Zwillingsmotiv ist auch in der Nebensektion Design Miami/Basel  in Halle 3 nicht zu entkommen, also dort, wo sich die Multimillionäre, die sich auf der andern Seite des Messeplatzes mit Kunst eindecken, gleich auch noch die Sessel kaufen, aus denen sie dann die Kunst betrachten können. Es gehe ihnen, sagen nämlich die knapp 30-jährigen Zwillinge Nikolai und Simon Haas um die gleichberechtigte Freiheit von Penis und Vagina, und das ist nun mal ein Statement, dem man so gar nicht widersprechen kann.

Die beiden Buben haben daraus eine Skulptur gebastelt, die sie «Advocates for the sexual outsiders» nennen. Ein Boudoir also, das man durch eine von Penisleuchtern gesäumte Vagina betritt und innendrin schaut man durch weitere skulpturale Röhrensysteme auf Sexvideos. Würde Fellini seinen «Casanova» heute drehen, es würde genau so aussehen. Kostenpunkt: 650'000 Franken.

In Sichtweite steht ein Ding, das Audi verbrochen hat, eine Art fluguntaugliches Insekt aus Autoteilen, eine autoerotische Skulpur also, und Audi hat am Morgen auch ein «Bavarian Breakfast» veranstaltet, wo es Weisswürste und Brezn und Bier und den einstigen Tatort-Kommissar Dominic Raacke gab, der allerdings nicht viel mehr als «Mehr Senf, bitte», gesagt haben soll. Und dies, obwohl Raacke doch Sohn einer Bildhauerin und eines Kunstprofessors ist.

Hier hat sich Audi eine autoerotische Skulptur ausgedacht.
Hier hat sich Audi eine autoerotische Skulptur ausgedacht.bild: simone meier

Die Multimillionäre also. Die potentesten hier in Basel kommen aus Russland, Asien und Arabien. Man sieht es ihnen ja nicht wirklich an, selbst die reichen Russinnen zügeln sich heuer und fallen überhaupt nicht auf, und wüsste man nicht, dass rote Hosen eigentlich nirgendwo auf der Welt ausser auf der Millionärsferieninsel Sylt getragen werden, man würde keinen einzigen unter ihnen erkennen, ich schwöre. Aber ihr heimlicher Reichtum ist unheimlich, man kann sich das gar nicht vorstellen.

Allein 2013 wurden weltweit 58 Milliarden Franken mit dem Handel von Kunst und Antiquitäten umgesetzt, das waren 8 Prozent mehr als 2012, und die Zielgruppe, das war am Montag der «Süddeutschen Zeitung» zu entnehmen, die ist nicht etwa vom Aussterben bedroht: 32 Millionen Millionäre nämlich leben aktuell auf diesem unserem Planeten. 

Ein paar von diesen Millionen gehören zum Beispiel dem einstigen Bauunternehmer Robert Geiss und seiner Frau Carmen, und neulich zeigten sie in ihrer Reality-Soap «Die Geissens – eine schrecklich glamouröse Familie» sehr schön, worum es in der Kunstwelt momentan wirklich geht, nämlich um Partizipation im Zirkus des Geldadels.

Die kleinste Geiss, Davina Shakira, wurde neulich nämlich zehn, und   Mutter Carmen schenkte ihr ein Bild und sagte, das sei von diesem Künstler (sein Name ist mir entfallen, ich hatte ihn vorher noch nie gehört), den man jetzt haben müsse, denn nur mit einem seiner Bilder im Portfolio «gehört man dazu». Besser beziehungsweise unreflektierter hätte man das gar nicht ausdrücken können. Und nur wer von Kunst rein gar nichts versteht oder bloss an das ganz grosse Geld, das sich mit Kunst machen lässt, ran will, der kauft sich kein Bild, sondern angelt sich gleich einen Kunsthändler, siehe Heidi Klum mit ihrem aktuellen Begleiter Vito Schnabel.

Steinreich und ordinär: So sind nicht nur die Geissens aus dem Privatfernsehen, sondern auch so manche Kunstsammler von heute. 
Steinreich und ordinär: So sind nicht nur die Geissens aus dem Privatfernsehen, sondern auch so manche Kunstsammler von heute. bild: rtl ll

Auch die von Warhol begründete Tradition, dass die Vervielfältigung eines Popidols in der Kunst, sowohl den Wert des Werk als auch des Idols schier ins Unendliche steigern könne, schreibt sich hartnäckig fort. Und amüsanterweise sind es ausgerechnet diejenigen, die heute selbst am meisten für Kunst auszugeben bereit sind, die von Künstlern am liebsten verewigt werden: Die Portraits von Musik-Mogul Jay-Z und seiner Gattin Beyoncé wollen gar nicht mehr aufhören, besonders an der Art Basel Miami Beach, wo die beiden seit Jahren zu Gast sind. Und auch Angelina Jolie, Gattin des kunstsüchtigen Brad Pitt findet sich allenthalben. 

Ob die «Hatz» von Neo Rauch eine neue Heimat bei Brad Pitt findet?
Ob die «Hatz» von Neo Rauch eine neue Heimat bei Brad Pitt findet?Bild: Art basel/ gallery david zwirner

Aber zum Glück meint es Brad Pitt ernst mit der Kunst und nicht frivol und kauft dann doch lieber wieder Neo Rauch, und Neo Rauch gibt es dieses Jahr am Stand 2.0/F5 bei der Galerie David Zwirner aus New York. Aber ob ihm diese erbsengrüne surreale Komposition mit dem Eiswürfel-Hockey auch gefällt? Ob er überhaupt kommt? Ob er etwa schon heimlich gekommen ist?

Und so fliessen sie denn dahin, die Stunden und zerfliessen bald einmal in Champagner, zum Beispiel an der Art Reception von Davidoff, aber sei's drum, grosse Firmen und steinreiche Leute können Dümmeres tun, als in Kunst zu investieren. Man kann denen, die in Basel einkaufen, auch nicht den Vorwurf machen, sie würden ihr Geld allesamt bloss wieder in einen anlagesicheren Munch oder Warhol stecken, denn gut die Hälfte aller Kunst, die hier feil geboten wird, ist nach 2010 entstanden. 

Die Klassik der Popmoderne, die dient hier nur noch dazu, die Gegenwart aufzuwerten, etwa bei der New Yorker Galerie Gagosian im Erdgeschoss der Halle 2, die nicht nur irgendeine, sondern die wichtigste Galerie der Welt ist. Zwischen Sommer 2011 und Sommer 2012 hat Gagosian beispielsweise ganze elf der zwanzig weltweit auf Auktionen am teuersten verkauften Künstler vertreten.

Der Ansturm bei Gagosian ist riesig, die Luft hier so schlecht wie nirgends, und alle wollen einen grünen, aufblasbaren Plastik-Hulk, der eine Schubkarre mit echten Blumen vor sich her schiebt, fotografieren. Dahinter: Hübsche, ignorierte Warhol-Totenköpfe. Aber vielleicht sind sie auch gar nicht von Warhol und der Hulk ist von Jeff Koons, angeschrieben ist hier ja nichts, und die App der Art, die auf den ersten Blick so bestechend wirkt, ist auch nicht wirklich vollständig. Aber ich erinnere mich an meinen Einsatz hier, vor 20 Jahren, als ich im Foyer Hunde hüten musste, weil die nun mal einfach viel zu gerne an eine Selbstskulptur von Jeff Koons aus Zucker pissten. Die Zeit zerfliesst und manchmal auch ein Kunstwerk.

Draussen, vor der Halle, hängt ein schönes weisses Netz, «ein Sinnbild für den Oligarchenbeifang», simst mir die Zürcher Fotografin und Künstlerin Play Hunter, die mir auch den Tipp mit der Haas-Vagina gegeben hat. Und es ist einmal mehr wie nach jedem Besuch auf der Art, irgendwie wars prickelnd und irgendwie zuviel, und darüber, ob eine Vagina mit der Vanitas, also der eitlen Vergänglichkeit, zu tun haben könnte, wollen wir jetzt hier gar nicht zu sinnieren anfangen.

bild: simone meier

Infos zur Art Basel und ausgewählte Nebenprogramme

303 Galerien aus 39 Ländern und 5 Kontinenten zeigen 2014 auf 31000 Quadratmetern Werke von über 4000 Künstlerinnen und Künstlern. Die Kosten für einen Stand im Erdgeschoss der Halle 2 schätzte die «New York Times» im vergangenen Jahr auf gut 40000 Franken. Es werden rund 70000 Besucher erwartet.

Die 45. Art Basel in den Messehallen 1 und 2 ist fürs Publikum vom Do, 19.6., bis So, 22.6., jeweils von 11 bis 19 Uhr geöffnet, der Eintritt kostet 45 Fr. für einen ganzen Tag und 25 Fr. ab 17 Uhr.

Wer einst Peter Lichts Sommerhymne «Sonnendeck» verfiel, der wird sich an der Liste in der alten Warteck-Brauerei daheim fühlen. Der Eintritt an die 1996 gegründete Alternativeranstaltung zur Art mit junger Kunst in jungen Galerien am Burgweg 15 (zwischen Wettsteinplatz und Tinguely-Museum), kostet 20 Fr. Die Liste ist ab sofort bis zum 21. Juni von 13 bis 21 Uhr geöffnet.

Nach dem letzten Cüpli an der Art gibts Kunst-Kino! Art Film heisst die von This Brunner und Marc Glöde kuratierte Reihe mit Kurzfilmen von und über Künstler im Stadtkino Basel an der Klostergasse 5 beim Theater. Bis zum 22.6. um 20 oder 22 Uhr.

Ebenfalls im Stadtkino veranstaltet die SRF-Sendung «Sternstunde Kunst» am Mittwoch, 18.6., um 17.30 Uhr die Vernissage ihres Langzeitprojekts «u40 – Junge Kunst in der Schweiz». Über Jahre begleitet die «Sternstunde» die Künstler Beni Bischof, Anja Rueegsegger, Claudia Comte, Maja Hürst und Julian Charrière auf ihrem weiten Weg von Passion, Projekt, Projektion, Wahrheitssuche und Realitätsveränderung, von Versagensangst und Erfolgserlebnis. Wer sich noch zur Vernissage anmelden will, kann dies über sternstunde-kunst@srf.ch tun. Das erste Häppchen im Netz über Julian Charrières Erlebnisse an der Art Basel Miami Beach jedenfalls ist höchst unterhaltend.

Die Swiss Art Awards werden bis zum 22.6. in der Halle 4 der Messe gezeigt. Preisträger 2014 und damit Gewinner von je 25000 Franken sind: Die Medienkunstgruppe Bitnik (Carmen Weisskopf und Domagoji Smolji), Vancessa Billy, Kim Seob Boninsegni, Claudia Comte (ja, die aus «u40»), Emilie Ding, Andreas Hochuli, Emanuel Rossetti, Jules Spinatsch, CKÖ (Daniel Lütolf und Sarah Widmer) und Emilie Bujès.
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