Als Niall O'Brien in Dublin gross wurde, da war er ein Skater, der seine Kumpels fotografierte und HipHop hörte. Er ging nach London, arbeitete als Assistent der Regisseurin Sam Taylor Wood, die heute gerade «Fifty Shades of Grey» verfilmt. Und machte mit einem andern Kumpel einen Kurzfilm über ein paar sehr junge Punks aus Camden Town. Er fragte die Punks, was sie denn gerne für Superheldenkräfte hätten, als Antwort begannen die Punks, einander genüsslich zu verprügeln.
Niall O'Brien, der damals selbst erst mitten in seinen Zwanzigern steckte, war gefangen. Von der Energie. Von der Gradlinigkeit, der Haltung, der Musik und der Tatsache, dass da junge Menschen waren, die ihre Zeit mit nichts anderem verbrachten als mit der Bewältigung von Langeweile. Und so wurde er zum Punk-Dokumentaristen und vom Filmer immer mehr zum Fotografen.
Von 2006 bis 2011 entstand seine Serie «Good Rats», er begleitete die Punks aus dem Südwesten Londons nach Brighton und nach Berlin und lebte immer wieder mit ihnen zusammen. Lange hielten ihn die jungen Männer für einen Pädophilen, erst als er ihnen seine Freundin vorstellte, mochten sie ihn. Mit den Punks lernte er den aggressiven Tim Ash kennen, der trotz seiner rosa Haare so böse wie keiner auf Anrufbeantworter spricht. Oder Xavier, ein obdachloses Kind aus Berlin, das samt Ratte von der Gruppe adoptiert wurde.
Niall O'Briens fotografischer Blick auf seine guten Ratten berührt, es ist ein lichter und ein weicher Blick, er offenbart viel Vertrautheit und Liebe zum Sujet. Er hat allerdings auch seine fotografische Tradition, es ist der Blick, mit dem gern viele Facetten von Jugendkultur eingefangen werden, Surfer, Skater, Jugendliche im verspielten Schwebezustand der Adoleszenz.
Die friedliche Morgenröte nach einer durchzechten Nacht. Die Telefonkonferenz auf der Wiese vor den Berliner Plattenbauten darüber, wo sich wohl das nächste Bier oder das nächste besetzte Haus für die Nacht finden lassen könnte. Die Unbeschwertheit, die plötzlich umkippt, etwa, als ein Punk-Bub plötzlich ein Punk-Mädchen schwängerte. Das Licht vor den Schatten des Erwachsenseins.
«Ich bin besessen von der Jugend», sagte Niall O'Brien in einem Interview mit dem «Art Journal», und man muss ihm sehr zu Gute halten, dass diese Besessenheit niemals voyeuristisch oder pornografisch wird. Es läge nahe bei seinem grossen Vorbild Larry Clark, dem Regisseur und Fotografen, für den Jugend vor allem erotisches Experimentieren und Hantieren bedeutet.
«Good Rats» umfasst mehrere Kapitel, darunter auch Filmstills aus «Superheroes», und ist ab dem 26. April in der neuen Galerie Sunday Inventory im Zürcher Kreis 4 ausgestellt. Die Galerie will sich ganz der grossformatigen, internationalen zeitgenössischen Fotografie verschreiben und bietet ab sofort auch einen umfassenden Online-Shop mit rund 300 Werken von 30 Fotografen.
Es finden sich da auf den ersten Blick verblüffend viele nackte Frauen und schwule Jungs. Gegen Letztere kann man allerdings nicht allzu viel einwenden, die schönsten unter ihnen spielen mit Blumen und stammen vom heissgeliebten Walter Pfeiffer. Ein grösserer Kontrast zu Niall O'Briens Punks ist schlicht nicht vorstellbar. Eine grössere Brüderschaft allerdings auch nicht. Zwei Fotografen sind verrückt nach Jugend. (sme)