«Als Gemeindeammann mobilisiere ich nicht.» Das sagte SVP-Hardliner Andreas Glarner nach der Gemeindeversammlung vom 27. November in Oberwil-Lieli. Diese hatte mit 176 zu 149 Stimmen und gegen Glarners Willen entschieden, dass im Dorf künftig Asylbewerber einquartiert werden.
Der Gemeinderat hatte geplant, dem Kanton eine Ersatzzahlung von 290'000 Franken zu leisten und keine Flüchtlinge aufzunehmen. Doch die 24-jährige Studentin Johanna Gündel – unterstützt von der «IG für ein solidarisches Oberwil-Lieli» – setzte sich durch, der Posten wurde aus dem Budget gestrichen.
Gündel und ihre Mitstreiter hatten diesen Antrag zwei Wochen zuvor im «Wochenfalter», dem amtlichen Publikationsorgan der Gemeinde, angekündigt. Unterzeichnet war der Beitrag in der Dorfzeitung, die in alle Haushaltungen geht, von 50 Einwohnerinnen und Einwohnern.
Sie standen mit Namen zum Anliegen, dass Oberwil-Lieli sich «seiner Verantwortung nicht durch Ersatzzahlungen entziehen, sondern humanitär und sozial handeln» solle.
Dies im Gegensatz zu den Urhebern eines anonymen Flugblatts, das am 27. November, also am Tag der Gemeindeversammlung, dem «Wochenfalter» beilag. Unter dem Titel «Lupe auf die Asylpolitik» wurden die Einwohner aufgerufen, an der Versammlung teilzunehmen und «allfällige Begehrlichkeiten zurückzuweisen», wenn es um die Aufnahme von Asylbewerbern geht.
Unterzeichnet war das Flugblatt lediglich mit «Bürgerliche Kräfte Oberwil-Lieli». Dies kritisiert Martin Uebelhart, Personalberater und Publizist aus Oberwil-Lieli. In einem Leserkommentar auf www.aargauerzeitung.ch fordert er Andreas Glarner auf, «die interessierte Öffentlichkeit über die Urheberschaft des Flugblattes» aufzuklären.
Darin werde gegen Gutmenschen gewettert, die wie Uebelhart selber «den Antrag von Gündel unterzeichnet und mit vollem Namen für ihr Anliegen eingestanden sind». Besonders interessant ist nun, wer die Verteilung des anonymen Pamphlets als Amtsblatt-Beilage veranlasst hat.
Recherchen der «az» zeigen: Das anonymisierte Flugblatt liess Andreas Glarner persönlich drucken und dem «Wochenfalter» beilegen. Der SVP-Nationalrat hat also, entgegen seiner Aussage, im Vorfeld der Gemeindeversammlung sehr wohl mobilisiert.
Blättler bestätigt: «Ja, ich habe die Flugblätter im Auftrag von Andreas Glarner gedruckt.» Diese habe er dann zum Einstecken im «Wochenfalter» an Robert Brendlin geliefert. Dort wurden sie der Dorfzeitung beigelegt, die Rechnung in Höhe von 240 Franken hat laut dem verantwortlichen Redaktor die SVP Oberwil-Lieli bezahlt.
Mit den Recherchen der «az» konfrontiert, verteidigt sich Andreas Glarner: «An der Mitgliederversammlung vom 18. November haben wir in der SVP-Ortspartei die Gmeinds-Traktanden diskutiert und entschieden, ein Flugblatt zu machen.»
Er habe bei Gestaltung und Inhalt mitgewirkt, räumt Glarner ein. Doch weshalb wurde das Flugblatt anonym verbreitet und nicht mit einem Absender, zum Beispiel «SVP Oberwil-Lieli»? Glarner begründet: «An der Parteiversammlung waren auch Leute, die nicht SVP-Mitglied sind.»
Und die Zeit bis Annahmeschluss beim «Wochenfalter» habe nicht gereicht, um weitere bürgerliche Ortsparteien anzufragen. Glarner wehrt sich vehement gegen den Vorwurf, er verstecke seine eigenen Interessen als Gemeindeammann hinter einem anonymen Flugblatt. «Es ist doch legitim, dass ich als Mitglied der lokalen SVP einen Beschluss meiner Partei mittrage und umsetze.»
Im Flugblatt hiess es, in Oberwil-Lieli gebe es «eine grosse schweigende Mehrheit, die froh ist, dass der Gemeinderat verantwortungsbewusst handelt». Glarner und die örtliche SVP wollten diese mobilisieren, gegen die Aufnahme von Asylbewerbern zu stimmen.
Erfolgreich war die Aktion aber nicht, wie der Ausgang der Gemeindeversammlung zeigt. «Möglicherweise kam das Flugblatt zu spät, es war am selben Tag im Wochenfalter, als die Gmeind stattfand, da haben es wohl viele Leute nicht mehr gesehen», sagt Glarner im Nachhinein.
Das Flugblatt löste auch im Dorfblatt selber Kritik aus. In einem Leserbrief im «Wochenfalter» vom 4. Dezember schrieb Dorfbewohner Andreas Zingg: «Wer nicht mit Namen zu seinem Wort oder Text stehen kann, weil er/sie zu feige ist, soll es lassen, da mögen die Kräfte noch so bürgerlich sein.» Zingg ist auch der Meinung, die Medien sollten solche anonymen Beiträge weder abdrucken noch verteilen.
Rückblickend sagt «Wochenfalter»- Redaktor Brendlin dazu: «Ich habe mir nicht viel dabei gedacht und das Flugblatt auch nicht genauer angeschaut.» Im Nachhinein sei dies wohl ein Fehler gewesen, räumt der langjährige Radiojournalist ein. «Ein anonymes Flugblatt mit einem Abstimmungsaufruf, und das noch vom Gemeindeammann, das ist schon heikel», sagt Brendlin.
Publizist Martin Uebelhart sagt, er habe schon am Tag der Gemeindeversammlung vermutet, dass Glarner hinter dem anonymen Flugblatt stecke. «Aus meiner Sicht geht das gar nicht, dass sich ein Gemeindeammann an der Verbreitung von anonymen Parolen beteiligt.» Vielmehr wäre es Glarners Aufgabe, für eine faire politische Diskussion zu sorgen und die demokratische Meinungsbildung zu fördern.