Es sollte ein Junggesellenabschied werden, der noch lange in froher Erinnerung bleibt. Doch der Ausflug endete mit einem Schock.
Am Samstag feiert eine 18-köpfige Poltergesellschaft fröhlich auf einer Fahrt durch den Aargau. Sie haben es sich auf einem Zweiachser, einem alten landwirtschaftlichen Anhänger, richtig gemütlich eingerichtet: mit einem Festzelt, Festbänken, einer Musikanlage.
Feldschlösschen, Jägermeister, «Farmer»-Mineral. Die Kollegen, viele aus dem Umfeld einer Freiämter Guggenmusik, tragen Party-Strohhüte auf dem Kopf und Bierflaschen in der Hand. Bastmatten und Blumengirlanden sorgen für Beachparty-Ambiente, es wird gejohlt und gelacht. Oberhalb von Wohlen legt die Gruppe einen Zwischenhalt für den Hunger ein: Es wird grilliert.
Gezogen wird der Anhänger von einem schönen alten Bührer-Traktor. Er gehört einem jungen Landwirt aus der Region, der auch auf dem Fahrerbock sitzt.
Alte Maschinen faszinieren den 35-Jährigen, er ist Mitglied eines Freiämter Vereins, der sich der Restauration von Oldtimer-Traktoren verschrieben hat. Er ist technisch sehr versiert, im Umgang mit solchen Fahrzeugen geübt.
In seinem Bekanntenkreis gilt er als seriöser Typ, der sich immer gut überlegt, was er tut. Nebst der Arbeit auf seinem Hof ist er Mitglied eines Verwaltungsrats.
Doch an diesem Samstagabend, als er die rollende Festgemeinschaft nach dem Grill-Halt auf der steilen Hochwachtstrasse von Fischbach-Göslikon her hinab nach Wohlen fährt, bleibt ihm nicht mehr viel Zeit zum Nachdenken: Das Gespann nimmt bei 18 Prozent Gefälle schnell Fahrt auf – zu schnell.
Der Fahrer versucht verzweifelt, das Gefährt zu bremsen, das zeigen die schwarzen Bremsspuren der zwei Traktorräder. Der Anhänger älteren Jahrgangs hätte zwar eine Feststellbremse, doch diese wird entweder nicht wie üblich manuell von einem mitlaufenden Helfer bedient, spricht wegen Überalterung nicht an oder wirkt zu wenig stark.
Der Traktor verliert die Spur, prallt in eine Mauer, der Anhänger wird weggeschleudert, kippt hangabwärts auf die Strasse – samt Gesellschaft und Material. Die Folge: 18 Verletzte, drei davon schwerer.
Laut Elisabeth Strebel, Sprecherin der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, konnten 17 von ihnen das Spital inzwischen verlassen. Eine Person befinde sich nach wie vor in kritischem Zustand. Genauere Angaben zu seinem Gesundheitszustand könne sie zurzeit nicht machen.
Jetzt geht es darum, die Schuldfrage zu klären. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Lenker ein Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung und Verstössen gegen das Strassenverkehrsgesetz eingeleitet.
Elisabeth Strebel sagt: «Im Vordergrund steht dabei der Verdacht auf Nichtbeherrschung des Fahrzeugs. Auch, ob der Anhänger allenfalls überladen war, wird abgeklärt.» Man habe ein Gutachten bei einem Experten angefordert.
Bereits konnten einige der verunglückten Personen zum Unfall befragt werden, darunter auch der Lenker. «Seine schriftlichen Antworten müssen noch ausgewertet werden», sagt Strebel.
Klar ist: Der Traktorfahrer hatte wohl nichts getrunken. Ein Atemalkohol- und Drogenvortest am Unfallort fiel negativ aus. Die Ergebnisse des standardmässigen Urin- und Bluttestes werden in etwa einer Woche erwartet.
Unklar ist, ob die Poltergesellschaft die Route über die steile Hochwachtstrasse irrtümlich oder absichtlich gewählt hatte. Etwa um über wenig befahrene Nebenstrassen unbehelligt nach Wohlen zu gelangen. Dazu sagt Sprecherin Strebel: «Die genaue Route kennen wir noch nicht. Die Befragungen der verunglückten Personen müssen erst noch ausgewertet werden.»
Das Umfeld der Opfer steht zusammen und schützt sich vor der Öffentlichkeit. Nachdem am Montag online eine Zeitung ein Foto aus einem Facebook-Profil gezeigt hatte, wurden Profile von Betroffenen oder Websites, auf denen am Sonntag noch Informationen über Involvierte zu finden waren, sofort vorübergehend vom Netz genommen. Von der az Angefragte wollen sich nicht in der Zeitung äussern.
Doch der Tenor ist deutlich: Gegen den Fahrer werden keine Vorwürfe laut, auch nicht hinter vorgehaltener Hand. Man scheint sich einig zu sein: Solche – ohne Spezialbewilligung grundsätzlich verbotenen – Passagierfahrten mit einem Anhänger seien gang und gäbe. Etwa ans Turnfest, für Bluestfahrten oder während der Fasnacht.
Auch Polizeisprecher Daniel Saridis gibt gegenüber 20 Minuten unumwunden zu: «Solche Wagen sind an Polterabenden recht beliebt. Da wird unter Umständen auch mal ein Auge zugedrückt.»
Einer, der auch schon Erfahrungen mit Personentransporten auf einem landwirtschaftlichen Anhänger gemacht hat, ist Ralf Bucher. Der Geschäftsführer des Aargauer Bauernverbands sagt: «Der Unfall ist von grosser Tragik.»
Weil er die technischen Details nicht kenne, wolle er aus der Ferne keine Beurteilung vornehmen. Klar sei aber: «Personentransporte auf solchen Anhängern sind immer heikel, und trotzdem werden sie immer wieder gemacht und von der Polizei ein Stück weit toleriert.»
Umso grösser seien die Verantwortung und das Risiko des Fahrers. Das müsse diesem bei der Auswahl der Fahrzeuge bewusst sein. Wenn man gewisse Vorkehrungen treffe, sei das Risiko kalkulierbar. «Aber diese Vorkehrungen muss man halt treffen.» Traktor und Anhänger müssten für den Personentransport sehr gut ausgerüstet sein. Bei der in Wohlen verunglückten Komposition sei wohl «nicht der Optimalfall gewählt worden».
Ralf Bucher befürchtet nun, dass künftig rigoroser kontrolliert werden könnte und sagt: «Das wäre schade. Es wurden schon oft ausgehend vom Einzelfall Gesetze erlassen, die sich wenig später als inkompatibel mit der Praxis erwiesen.»
Es wurde ein Junggesellenabschied, der noch lange in Erinnerung bleiben wird. Leider in trauriger. (aargauerzeitung.ch)