Staubtrockene Erläuterungen von Initiativen sind das eine, Gesetzestexte das andere. Dem folgen Arenen, Talk und Kontroversen. Mit dem grandiosen Resultat, dass sich der Nebel verdichtet, statt sich zu lichten.
Stichwort Familien-Initiative: Was bringt sie eigentlich? Nicht theoretisch. Sondern im Alltag, woran jede Theorie zerschellt, wo jeder «Experte» einsilbig wird. Und Alltags-Märtyrer alle alleine kämpfen. Ganz gewiss der Mittelstand. Da kommt «Vater-ist-der-Beste» am Ende des Tages gerupft nach Hause und will am Boden des Kühlschranks noch etwas finden für einen humanen Feierabend. Ist das etwa zu viel verlangt?
Ermöglicht die Familien-Initiative künftig ein Extra-Bierchen, oder bleibts beim sattsam bekannten ’n Appel und ’n Ei? Neue Ohrringe für «Mutter-ist-die-Beste» wären längst angemessen. Kann sich die Familie den Floh der Tochter mit der Gitarre leisten? Und was ist dieses Jahr mit Skiferien? Entscheidend ist doch, um den deutschen Altkanzler Helmut Kohl zu zitieren: «Entscheidend ist, was hinten rauskommt.»
Wir wollten eine Familie genau das fragen: «Was kommt hinten raus?» Nach Abzug aller Kosten fürs Familienleben. Mit Blick auf die Familien-Initiative, über die wir am 8. März abstimmen. Das Volksbegehren verlangt, dass Kinder- und Ausbildungszulagen auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene künftig steuerfrei ausbezahlt werden.
Ideal dafür, dachten wir, wäre eine «Musterfamilie»: Mittelstand, langjährige Ehe, ein Sohn, eine Tochter, Schüler und Novizin in der Lehre, noch nicht ausgeflogen. Ein Kinderspiel, meinen Sie?
Such' mal eine «Musterfamilie»! Eine Minderheit inzwischen, neben der Vielzahl von Spezialfällen, neben allen denkbaren und undenkbaren Patchwork-Formen. Hier ein «Reichtum an Möglichkeiten des Zusammenlebens» für Gesellschaftsromantiker, dort «nacktes Chaos» für Traditionalisten. Ausserdem: Welche Schweizer Familie gäbe öffentlich schon Auskunft über ihre interne Kassenführung?
Sei ’s drum: Wir fanden eine Musterfamilie. In Zürich Altstetten. Und fühlten uns auf Anhieb gut aufgenommen. In einem Quartier mit schmalen Einfamilienhäuschen, voll kleiner Zimmer, einst gebaut von arbeitsplatztreuen Büezern, mittlerweile verkehrssaniert und ein homogenes Mittelstand-Viertel.
Eben das, sagt der Vater, sei ein Vorteil: «Die Ansprüche klaffen von Familie zu Familie nicht völlig auseinander. Die Kinder können nicht heimkommen und auf Gschpänli verweisen, die mit goldenem Löffel geboren waren. «Es ist wichtig», sagt er bildstark, «in einer Gegend zu leben, wo man gleich stinkt.»
Am Küchentisch, wo sie die meiste Zeit zusammensitzen, versammelt sich die Familie: Georg und Monika von Aarburg (beide Jahrgang 1959), mit ihren Kindern Aline (15) und Alex (13). Alex, der Gymnasiast, muss anschliessend ins Landhockey-Training. Aline ist eben nach Hause gekommen mit der guten Nachricht, eine Lehrstelle gefunden zu haben. Die freie Zeit zwischen Schule und Lehre ist exakt so bemessen, dass die Familie ihren Plan umsetzen kann, im Sommer ein letztes Mal gemeinsam auf Reise zu gehen: quer durch die USA. «Dafür», sagt Georg, «verzichteten wir auf Sportferien.»
Das alles sind Auslagen, aber auch Extraposten? Wie sie im Januar den Haushalt budgetierte, listete Monika von Aarburg auf. Welches Einkommen zur Verfügung steht, wollten sie dabei – gutschweizerisch – nicht ausposaunen. Monika sagt: «In Saus und Braus leben wir nicht, haben aber, ohne gleich Luxus zu beanspruchen, was das Leben angenehm macht. Solange keine Trennungen und Krankheiten zu verkraften sind, kann man sich ja einigermassen ausrechnen, womit man kutschieren muss.»
Georg von Aarburg arbeitet als selbstständiger Elektro-Ingenieur; der abgeschwächte Franken macht ihm aktuell Sorgen. Monika ist zu 40 Prozent in der Nachbarschaftshilfe tätig, eine Einrichtung der Stadt, strukturiert als Quartiervereine. Monika ist für die Familieninitiative: «Sie bringt uns, generell dem Mittelstand, eine spürbare Entlastung. Dabei leitet mich vor allem ein Gedanke: «Bei der Ausbildung der Kinder soll man nicht sparen. An die Steuerausfälle denke ich, wenn überhaupt, erst in zweiter Linie.»
Georg scheint noch unentschlossen. Er sagt: «Nach dem Gefühl können wir uns alles erlauben, leben aber nach dem Gebot, uns am Budget anzupassen. Danach richteten wir uns schon, ehe wir Kinder hatten.» – «Es war eine grosse Zäsur», sagt Monika: «Man bringt die Kinder nie mehr aus dem Kopf.»
Fünf Jahre blieb sie, die vorher zu hundert Prozent in einer PR-Agentur gearbeitet hatte, wegen der Kids zu Hause. Aus der Verwandtschaft bekamen sie Wiege, Wickelkommode, Kleider für die Kinder. Georgs altes Schülerpult wurde einfach auf neue Generation umgemalt.
Bekommt Aline, die Tochter, neue Ski, weiss sie bereits, dass sie später die Dinger möglichst intakt ihrem Bruder weitergeben muss. Ihr Handy mussten sich beide ersparen. Auf unsere Frage, ob sie genug Taschengeld kriegten, antworten die Kids wie aus der Kanone geschossen: «Neinnnn!»
Der Vater lacht. «Genau das haben wir früher auch gesagt.»