Schweiz
Gesellschaft & Politik

Big Brother bei Mister Minit: In Zürich werden Mitarbeiter mit Kameras überwacht

Repariert ein Angestellter ein Schuh nach Gusto des Filialleiters nicht schnell genug, rufe dieser an und beschwere sich, erzählen Mitarbeiter.  
Repariert ein Angestellter ein Schuh nach Gusto des Filialleiters nicht schnell genug, rufe dieser an und beschwere sich, erzählen Mitarbeiter.  Symbolbild: wikipedia

Big Brother bei Mister Minit: Chef überwacht seine Angestellten mit Kameras

Der Schuh- und Schlüsseldienst Mister Minit betreibt in der Schweiz 80 Filialen. In einigen Zürcher Läden werden die Mitarbeiter per Videoüberwachung kontrolliert und unter Druck gesetzt. Das berichten Angestellte. Die Geschäftsleitung des Unternehmens dementiert die Vorwürfe.
10.08.2017, 09:1810.08.2017, 10:52
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Ein Sommernachmittag beim Schuh- und Schlüsseldienst Mister Minit in Zürich: Der Schuhmacher ist völlig aufgelöst, als er das Telefon aufhängt. Der Kundin an der Theke erklärt der Handwerker hastig, sein Vorgesetzter rufe ihn mehrmals pro Tag an, um ihm zu sagen, er solle schneller arbeiten und nicht so lang mit der Kundschaft sprechen. Der Filialleiter verfolge jeden seiner Arbeitsschritte über die Überwachungskamera.

Ein Augenschein in weiteren Zürcher Mister-Minit-Filialen zeigt: Auch dort beklagen sich die Mitarbeiter über die Big-Brother-Methode. Als die Journalistin mit dem Angestellten Danielo* sprechen will, schiebt er sie sofort in eine Ecke des Geschäfts, die ausserhalb des Aufnahmebereichs der Kamera ist. Er befürchtet, dass der Chef anruft und nach dem Grund des Gesprächs fragt. 

Danielo* erzählt, sein Chef greife auch sofort zum Telefon und übe Druck auf ihn aus, wenn er auf den Videoaufnahmen sehe, dass er eine Arbeit nicht auf Anhieb lösen könne. «Oder wenn er sieht, dass mehr als nur ein Kunde wartet. Dann muss ich ihm jeweils erklären, warum es nicht schneller ging.» 

Marc*, der in einer anderen Zürcher Filiale tätig ist, erzählt Ähnliches: «Es ist schlimm. Wir stehen konstant unter Druck, weil wir nie wissen, ob der Chef uns gerade beobachtet. Das zeigt die Kamera ja nicht an.» Der Filialleiter rufe auch ihn sofort an, wenn er auf den Aufnahmen etwas sehe, das ihm nicht passe. «Dann fragt er zum Beispiel: Warum musstest du so lange mit diesem Kunden sprechen?»

«Es ist schlimm. Wir stehen konstant unter Druck, weil wir nie wissen, ob der Chef uns gerade beobachtet.»
Mister-Minit-Angestellter

Die befragten Angestellten wollen anonym bleiben. Sie fürchten, ihren Job zu verlieren, sollte ihr Chef erfahren, dass sie mit einer Journalistin gesprochen haben. Die Männer sagen, sie hätten in ihrem Arbeitsvertrag eine Klausel unterschrieben, in der sie sich mit der Überwachungskamera einverstanden erklärten. Nur hätten sie damals gedacht, dass dies zu Sicherheitszwecken sei und nicht, dass die Kamera auch sie überwachen sollte. 

Die Geschäftsleitung widerspricht

Seitens der Geschäftsstelle des Schuh- und Schlüsseldienstes heisst es, eine Kamera gebe es in den Filialen aus Gründen des Diebstahlschutzes. Dominik Steiner, Assistent Managing Director, bestreitet, dass die Angestellten damit überwacht werden: «Die Videos werden nur in Verdachtsfällen von einer zuständigen Person in der Zentrale besichtigt.» Rückfragen dazu möchte er nicht beantworten. Auch möchte er keinen Kontakt zum verantwortlichen Filialleiter herstellen. Ob dieser ein Angestellter des Unternehmens ist oder in einem Franchiseverhältnis steht, bleibt ebenfalls unbeantwortet. 

«Die Videos werden nur in Verdachtsfällen von einer zuständigen Person in der Zentrale besichtigt.»
Dominik Steiner, Assistent Managing Director Mister Minit

Thomas Geiser, Professor für Privatrecht an der Universität St.Gallen sagt, grundsätzlich sei es nicht verboten, den Arbeitsplatz per Videokamera zu überwachen. Sobald es sicherheitsrelevante Argumente gebe, sei eine Kamera am Arbeitsplatz rechtlich legitim. In Banken beispielsweise würden die Schalter videoüberwacht. Aber die Angestellten haben immer die Möglichkeit, sich in einen nicht überwachten Bereich zurückzuziehen. «Bestimmungen wie der Datenschutz oder die Privatsphäre des Arbeitnehmers müssen eingehalten werden», sagt er.

Den geschilderten Fall von Mister Minit findet Geiser sehr heikel. Dass der Laden per Kamera überwacht werde, sei zwar grundsätzlich nachvollziehbar. Schliesslich sei der Angestellte allein im Büro und es befinde sich eine Kasse auf dem Tisch. Dass sich aber der Arbeitgeber per Telefon meldet, wenn sich der Angestellte in den nicht überwachten Bereich des Ladens begibt, sei problematisch. «Eine dauernde Verhaltensüberwachung ist nicht zulässig. Die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, muss gegeben sein», sagt Geiser. Auch könne ein dauernd aufgesetzter Druck zu ernsthaften gesundheitlichen Schäden führen. Das sei nicht rechtmässig.

Höhere Produktivität dank gutem Arbeitsklima

Empört über die Arbeitsbedingungen bei Mister Minit ist auch Ewald Ackermann vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund. «Wenn systematisch Druck auf den Angestellten ausgeübt wird, ist das nicht zulässig», sagt er. Arbeitgeber müssten ein Interesse daran haben, dass das Arbeitsklima gut sei. Dann sei nämlich auch die Produktivität höher. Dass der Arbeitgeber jedes Mal zum Telefon greift, wenn seiner Meinung nach nicht effizient genug gearbeitet wird, kann Ackermann nicht nachvollziehen: «Es gibt andere, bessere Wege, Kritik zu kommunizieren», sagt er.

«Wenn systematisch Druck auf den Angestellten ausgeübt wird, ist das nicht zulässig.»
Ewald Ackermann, Schweizerischer Gewerkschaftsbund

Mister Minit ist nicht das einzige Unternehmen, das wegen Videoüberwachung am Arbeitsplatz für Schlagzeilen sorgte. Ein bekanntes Beispiel ist der Fall Migrolino. Die SRF-Sendung «Kassensturz» hatte im Juni aufgedeckt, dass ein Filialleiter der Migros-Tochtergesellschaft überall Überwachungskameras installieren liess; auf der Verkaufsfläche, im Lagerraum und in den Büroräumlichkeiten. Der Mann überwachte seine Angestellten anhand einer App von seinem Smartphone aus.  

Ähnlich wie bei Mister Minit werden auch die Migrolino-Shops im Franchise-System geführt. Das heisst, dass der jeweilige Filialleiter das Geschäft auf eigene Rechnung betreibt und eigene Arbeitsverträge ausstellt. Deshalb ist man von Seiten Gewerkschaft bestrebt, Gesamtarbeitsverträge für Tankstellenshops zu etablieren. Das würde die Arbeitsbedingungen von Migrolino-Angestellten verbessern.

Ob eine Klage gegen den Arbeitgeber in einem Fall durchkäme, ist laut Arbeitsrechtler Geiser unklar. Zudem hegt er Zweifel, ob sie zum gewünschten Ziel führen würde. Das Arbeitsklima sei nach einem Gerichtsprozess oft vergiftet. Geiser rät, das Gespräch mit dem Chef zu suchen. Ist dieser uneinsichtig, kann sich der Arbeitnehmer weigern, unter dieser Kontrolle eine Leistung zu erbringen. Weiter kann auch das Arbeitsinspektorat verständigt werden.

*Namen der Redaktion bekannt. 

Ist dies die Überwachung der Zukunft?

Video: reuters

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15 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Makatitom
10.08.2017 12:33registriert Februar 2017
Liebe Zürcher, stürmt die Filiale, fragt den Angestellten wo die Kamera ist und zeigt dem überwachenden Filialleiter den Stinkefinger. Wenn er dann anruft, verlangt das Telefon und geigt dem Sofa-Profiteur eure Meinung.
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Lai Nair
10.08.2017 10:45registriert Dezember 2016
Und wie wäre es, wenn man mal die "Vorgesetzten" überwachen würde? Vielleicht käme dann doch das Eine oder Andere ans Licht, welches die unsauberen Machenschaften aufdecken würden.
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so wie so
10.08.2017 10:37registriert Juli 2015
Das ist im Verkauf leider kein Einzelfall. In meiner Studienzeit habe ich im Verkauf gearbeitet und heute habe ich beruflich äfters mit Geschädigten zu tun. Verkaufspersonal wird oft extrem unter Druck gesetzt und das Arbeitsklima ist schlecht. Ich musste z.B. Rechenschaft ablegen, wenn ich pro Tag häufiger als 2 mal auf das WC musste. Wir durften auf der Ladenfläche nichts trinken, durften uns nie setzen und wurden via Kamera von der Filialleiterin beobachtet. Das ist nun 14 Jahre her und ich hoffe, es ist heute nicht mehr so.
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