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Der gefährliche Neutralitätstraum des Ueli Maurer

Der gefährliche Neutralitätstraum des Ueli Maurer

Ueli Maurer beim Eidgenössischen Feldschiessen 2013.Bild: KEYSTONE
Analyse
Verteidigungsminister Ueli Maurer beschwört die «klassische» Neutralität und das Massenheer. Ein taugliches Konzept für die Gegenwart sieht anders aus.
22.03.2014, 10:1523.03.2014, 07:01
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Ueli Maurer wurde 1950 geboren. Es war der Beginn eines Jahrzehnts, das von seiner Partei, der SVP, noch heute idealisiert wird. In dem die Kirche noch im Dorf stand, der Bauer den Boden beackerte und unsere wehrhafte Armee die Grenzen gegen den «BöFei» beschützte. Es war die grosse Zeit der geistigen Landesverteidigung und der «dauerhaften, bewaffneten Neutralität».

Wie sehr diese Mentalität den heutigen Bundesrat Ueli Maurer geprägt hat, zeigt das Interview in der aktuellen Ausgabe der «Weltwoche», das für grossen Wirbel sorgt. Darin kritisiert er seinen Kollegen Didier Burkhalter und dessen Rolle als derzeitiger Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Krim-Krise. 

Medien und Politiker attackieren Maurer für seinen «Verstoss gegen das Kollegialitätsprinzip», den das VBS auf seiner Website selber einräumt, vehement. Als «verwerflich», «peinlich» oder «hochmütig» werden seine Aussagen bezeichnet. Für SP-Präsident Christian Levrat bewegt sich der Verteidigungsminister gar an der «Grenze zum Hochverrat».

Wohltuend sachlich wirkt da die Einschätzung von Oswald Sigg im Interview mit watson. Der ehemalige VBS-Infochef und Bundesratssprecher kennt das Innenleben der Landesregierung genau und beurteilt Maurers Aussagen als pointiert, aber nicht problematisch. Das sollten sich jene Medien einprägen, die sich über Maurer echauffieren und handkehrum lamentieren, wenn wieder einmal ein Interview nachträglich bis zur Unkenntlichkeit verwässert wird.

Die Skulptur «Wehrbereitschaft», ein Symbol der geistigen Landesverteidigung.Bild: BUNDESBRIEFMUSEUM SCHWYZ

Die wahrhaft bedenklichen Aspekte des Gesprächs werden wie so oft übersehen. Maurers Antworten und fast mehr noch die Fragen der «Weltwoche» reflektieren jenes konservative 50er-Jahre-Verständnis von Neutralität, von einer Bruder-Klaus-Schweiz, die sich aus fremden Händeln heraushält und für den Ernstfall eine Armee hat, die innerhalb eines Tages mobilmachen kann.

«Die Schweiz ist nicht der harmlose Kleinstaat, der nur den Kopf einziehen muss, dann geschieht ihm schon nichts.»

Die Rückkehr des Ost-West-Konflikts lässt diese «klassische Neutralität» wieder attraktiv erscheinen. «Momentan ist der Wille, eine Neutralität ohne Wenn und Aber durchzuziehen, nicht gegeben», klagt Maurer im Interview. Dabei war die Neutralität der Schweiz stets mit Wenns und Abers behaftet. Im Kalten Krieg war die Eidgenossenschaft fest im Westen verankert. Ihre Verteidigung war nur begrenzt souverän, vielmehr profitierte sie vom nuklearen Schutzschirm der Nato.

«Ganz trennscharf war die Neutralität nie», räumt Ueli Maurer zumindest ein. In der heutigen, globalisierten Welt gilt das mehr denn je. Die Schweiz ist nicht der harmlose Kleinstaat, der nur den Kopf einziehen muss, dann geschieht ihm schon nichts. Sie hat Steuerhinterziehern aller Couleur Zuflucht geboten. Sie biedert sich um des Geschäfts willen schamlos bei autoritären Regimes an – China, Vietnam, den Golfstaaten und nicht zuletzt Russland.

Wie «neutral» ist die Schweiz? Die Führung der Grossbank Credit Suisse beim Hearing vor dem US-Senat.Bild: Getty Images North America
«Als globalisierte Wirtschaftsmacht ist die Schweiz in hohem Masse angreifbar.»

«Wäre die Schweiz überhaupt bereit, die eiskalte Stimmung auszuhalten, die dem Neutralen möglicherweise entgegenschlägt?» fragt die «Weltwoche». Man darf getrost mit Nein antworten, denkt man an die unterwürfigen Reaktionen auf den ausländischen Druck in Steuerfragen. Als globalisierte Wirtschaftsmacht ist die Schweiz in hohem Masse angreifbar, da kann sie noch so sehr versuchen, sich hinter ihrer Neutralität zu verkriechen.

Die heutige «aktive Neutralität» ist deshalb kein Spielzeug unverbesserlicher Internationalisten, sie ist die pragmatische Antwort auf eine zunehmend komplizierte Welt und die Rolle der Schweiz darin. Dazu gehören auch der OSZE-Vorsitz und die Vermittlung im Ukrainekonflikt. Das ist keineswegs der einfache, sondern der schwierige Weg. Wirklich aushalten muss sie dabei die eiskalte Art, mit der sie von einem Wladimir Putin vorgeführt wird.

Noch problematischer sind Maurers Ansichten zur Landesverteidigung. Unsere Armee müsse «jederzeit bereit und gut ausgerüstet sein und aufgeboten werden können». Das mag richtig sein angesichts der Tatsache, dass die Armee heute faktisch nur zu Bürozeiten einsatzfähig ist. Aber muss die Schweiz wirklich in der Lage sein, 35'000 Soldaten innerhalb von 72 Stunden zu mobilisieren?

Trotz des Säbelrasselns in Osteuropa bleibt das Risiko eines militärischen Angriffs gering. Weitaus realistischer ist die Gefahr einer virtuellen oder einer terroristischen Attacke.

«Cyberwar und Terrorismus sind globale Phänomene, die Armee muss entsprechend aufgestellt sein.»

Solche Bedrohungen kann die Schweiz nicht im Alleingang abwehren, sie ist auf den Austausch mit dem Ausland angewiesen. Dazu gehören Offiziere mit entsprechender Ausbildung. Der Verteidigungsminister aber deutet an, dass er die Armeeführung am liebsten von Leuten mit Auslanderfahrung «säubern» möchte: «Wir haben nach wie vor eine Generation von Kadern, die vorwiegend international ausgebildet sind.»

Im letzten Jahr wurde Südkorea (Bild) Ziel einer Cyberattacke.Bild: AP

Cyberwar und Terrorismus sind globale Phänomene, die Armee muss entsprechend aufgestellt sein. Massenheer und Gotthardreduit sind kein Konzept für das 21. Jahrhundert. Das heisst nicht, dass die Schweiz der Nato beitreten muss. Oder dass sie ihre Kapazitäten zur Verteidigung aus eigener Kraft vernachlässigen soll. Aber ohne internationale Vernetzung geht es nicht.

Man muss hoffen, dass der SVP-Verteidigungsminister auch in Zukunft von seinen sechs Kolleginnen und Kollegen in die Schranken gewiesen wird. Ausweinen kann er sich immer noch bei der «Weltwoche».

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