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13'500 Tonnen Kaffee, aber keinen Tropfen Milch – diese Waren hortet der Bund für den Krisenfall

Pflichtlagersortiment des Bundes.Bild: BWL
Notvorrat in der Schweiz

13'500 Tonnen Kaffee, aber keinen Tropfen Milch – diese Waren hortet der Bund für den Krisenfall

Armeechef André Blattmann rät der Bevölkerung, Notvorräte anzulegen. Dabei unterhalten Firmen im Auftrag des Bundes Pflichtlager mit Waren im Wert von fast fünf Milliarden Franken.
14.04.2014, 15:3015.04.2014, 08:26
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«Kluger Rat – Notvorrat». Für viele Menschen in der Schweiz ist dieser Slogan eine ferne Erinnerung an den Kalten Krieg. Umso mehr Aufsehen und Spott erregte die Aussage von Armeechef André Blattmann, er lagere für den Notfall Mineralwasser und Cheminéeholz im Keller. Paranoia oder Realitätssinn? Tatsache ist: Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) sorgt noch heute dafür, dass lebenswichtige Waren gehortet werden.

Die Vorratshaltung begann mit der Nahrungsmittelknappheit im Ersten Weltkrieg. Heute ist sie nicht mehr in erster Linie auf eine militärische Bedrohung ausgerichtet, sondern auf Konflikte im Ausland, Naturkatastrophen oder Ernteausfälle. Seit dem Kalten Krieg wurden die Pflichtlager abgebaut: Früher mussten Vorräte für ein Jahr vorhanden sein, nun sollen sie drei bis vier Monate überbrücken. Bei den Waren kam es zu Umschichtungen: Seife und Waschmittel gehören nicht mehr dazu, dafür werden mehr Medikamente gebunkert.

Entgegen vielen Klischees befindet sich die Ware nicht in Bunkern oder Kavernen. Die Pflichtlager werden im Auftrag des Bundes von den Firmen unterhalten, die die Waren produzieren oder importieren. Das grösste Pflichtlager für Nahrungsmittel befindet sich im Basler Rheinhafen, dem wichtigsten Güterumschlagplatz der Schweiz, das grösste Tanklager in der Aargauer Gemeinde Mellingen. Dort lagern rund 750 Millionen Liter Benzin, Heizöl und Diesel. Auch die beiden Grossverteiler Coop und Migros gehören zu den grössten Lagerhaltern der Schweiz.

Welche Waren aber unterstehen der Lagerpflicht? Eine Auswahl, basierend auf dem aktuellen «Bericht zur Vorratshaltung» des BWL:

425'000 Tonnen Getreide

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Für die menschliche Ernährung werden 155'000 Tonnen Weich- und Hartweizen an Lager gehalten. Der grosse Rest fällt auf weitere Getreidearten, die auch als Tierfutter verwendet werden können. Ausschliesslich für Tiere gedacht sind die 47'000 Tonnen «Proteinträger» – überwiegend Soja –, die für zwei Monate reichen sollen. Zum Pflichtlager gehören auch 13'200 Tonnen importierter Reis, nicht aber Kartoffelprodukte.

13'500 Tonnen Kaffee

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Viele können nicht ohne Kaffee leben – aber niemand braucht ihn zum Überleben. Trotzdem gibt es ein Pflichtlager für drei Monate – laut BWL-Bericht ist dies «aus volkswirtschaftlicher Sicht und mit Blick auf die Konsumgewohnheiten auch in Zukunft wichtig». Für Tee und Kakao gilt dies nicht mehr, sie wurden von der Lagerpflicht «befreit». Der oft kolportierte staatliche Zigarrettenvorrat gehört ins Reich der modernen Mythen. Auch Alkohol ist aus Gründen der Volksgesundheit kein Thema.

Zucker hingegen ist vorhanden – 69'000 Tonnen sind eingelagert. Wer Milch im Kaffee will, muss im Krisenfall selber dafür sorgen. Milchpulver untersteht eher überraschend und anders als etwa in Deutschland nicht der Lagerpflicht. Der Bund begründet dies mit der grossen Milchproduktion und den vorhandenen Lagerbeständen in der Schweiz.

1,7 Milliarden Liter Benzin

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Autofahrer müssen im Krisenfall nicht darben, zumindest nicht in den ersten viereinhalb Monaten. Um die Versorgung zu sichern, befinden sich in den Tanklagern fast 1,7 Milliarden Liter Benzin. Hinzu kommen rund 400 Millionen Liter Flugpetrol (reicht für drei Monate), knapp 900 Millionen Liter Diesel und fast zwei Milliarden Liter Heizöl. Diese Menge nimmt wie auch jene des Benzins wegen des sinkenden Verbrauchs tendenziell ab.

Erdgaslager in Untertagspeichern sind «aufgrund bisheriger Kenntnisse der geologischen Gegebenheiten in der Schweiz nicht möglich», schreibt das BWL. Als «Ersatz» werden rund 500 Millionen Liter Heizöl extra leicht gelagert.

Uran-Brennelemente

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«Freiwillig» werden genügend Brennelemente gelagert, um den Bedarf der Schweizer Atomkraftwerke für ein Jahr zu decken. Gesichert sind derzeit Nachladungen für drei Reaktoren. Ziel ist laut dem Bericht eine Ausdehnung auf alle fünf Reaktoren. Alternative Energien haben hingegen – noch – keinen Platz in der Pflichtlagerung des Bundes. Bei Bio-Ethanol und Holzpellets wird eine künftige Vorratshaltung immerhin geprüft.

27 Millionen Kapseln Tamiflu

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Der Bereich Medikamente hat wie erwähnt an Bedeutung gewonnen. Derzeit werden rund 12'000 Kilogramm Antibiotika für die Humanmedizin und 13'500 Kilo für den Veterinärbereich aufbewahrt. Auffallend ist die grosse Menge des umstrittenen Grippemittels Tamiflu. Rund 27 Millionen Kapseln und knapp 150'000 Packungen sollen die Versorgung von 25 Prozent der Bevölkerung (zwei Millionen Menschen) sicherstellen. Dies gilt als Worst-Case-Szenario im Fall einer Pandemie.

Die Schweiz ist das einzige Land weltweit mit einem Tamiflu-Pflichtlager. Es wird vom Pharmakonzern Roche in Eigenregie geführt. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) will die letzte Woche in einer Studie geäusserten Zweifel an der Wirksamkeit von Tamiflu zusammen mit Experten genau prüfen. Eine Änderung der Pflichtlagerhaltung ist jedoch kein Thema.

186'800 Atemschutzmasken

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Einige Güter unterstehen nicht der obligatorischen Lagerpflicht, sie werden auf freiwilliger Basis gehortet. Dazu gehören medizinische Produkte wie Atemschutzmasken (186'800 Stück), Blutbeutel (36'400) sowie Untersuchungs- und Operationshandschuhe (rund fünf Millionen). Auch Produkte aus dem Technologie- und Industrie-Bereich werden gelagert: Das betrifft in erster Linie Kunststoffe und Rohstoffe zur Produktion von Hefe.

Der Warenwert der obligatorischen und freiwilligen Pflichtlager beträgt fast fünf Milliarden Franken. Der grösste Anteil entfällt auf den Bereich Energie mit 4,3 Milliarden. Die jährlichen Lagerkosten beliefen sich 2010 auf 116 Millionen Franken oder 15 Franken pro Kopf der Bevölkerung. 15 Jahre zuvor waren es noch mehr als 300 Millionen. Der Rückgang ist eine Folge der reduzierten Menge und des gestrafften Sortiments. 

Die Kosten tragen wir alle – nicht über die Steuern, sondern als Konsumenten durch einen Zuschlag auf die Verkaufspreise. Beim Benzin etwa bezahlen wir weniger als einen halben Rappen zusätzlich pro Liter – «als eine Art Versicherungsprämie für Krisenfälle», wie das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung auf seiner Website betont.

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