«Nein, davon habe ich nichts gewusst», sagt Mouss und schaut mit betroffener Miene auf seine Hände. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Teller mit Reis, Hühnchen und Gemüse. Es ist Abendessenszeit in der «Autonomen Schule Zürich». Hierhin kommt Mouss regelmässig, weil der Deutschunterricht gratis ist und das Essen nur zwei Franken kostet.
Die Neuigkeit, die Mouss nun aber den Appetit verdirbt, ist, dass der Zürcher Kantonsrat vor Kurzem beschlossen hat, vorläufig aufgenommenen Personen keine Sozialhilfe mehr zu bezahlen. Die Kosten für vorläufig Aufgenommene seien in den letzten Jahren gestiegen und nur wenig Asylsuchende würden einen Job und den Weg aus der Sozialhilfe finden, lautet die Begründung. Darum sollen Personen, die einen sogenannten F-Ausweis besitzen, nur noch Asylfürsorge erhalten.
Einen solchen F-Ausweis besitzt auch Mouss. Der 36-Jährige kommt aus dem Kongo und gelangte vor vier Jahren in die Schweiz. Vor einem Jahr teilte ihm das Staatssekretariat für Migration mit, dass sein Asylgesuch zwar abgelehnt wird, er aber vorläufig hier bleiben darf. Ihn aus der Schweiz wegzuweisen, wäre derzeit nicht zumutbar.
Seither erhält Mouss Sozialhilfe. Die Krankenkassenprämien sowie die Miete für die Dreizimmerwohnung, in der er mit einem Kollegen lebt, ist automatisch über die Sozialhilfe finanziert. Daneben erhält Mouss einen sogenannten «Grundbedarf» von 718 Franken monatlich. Mit einem Blatt Papier und Stift rechnet er vor: «Nur schon für Lebensmittel gehen monatlich 320 Franken weg, obwohl ich immer in den billigsten Läden einkaufe.» Er schreibt auf, denkt nach, rechnet und zieht dann einen Strich unter das Total aller Ausgaben: Rund 735 Franken braucht Mouss pro Monat. Schon jetzt reicht ihm dafür das Geld also nicht.
Mit der Asylfürsorge statt der Sozialhilfe soll es jetzt noch weniger werden. Wie viel weniger, ist unklar. Bei der Rechtsberatungsstelle Freiplatzaktion Zürich geht man von etwa 20 Prozent aus, die vom Grundbedarf wegfallen.
«Was heisst das für mich?», fragt Mouss und rechnet nach. Als er das Resultat auf seinem Handy sieht, presst er die Lippen zusammen. 574.40 Franken. «Das ist ein Problem», sagt er dann. Sparen könne er vielleicht bei den Telefonkosten. Er setzt den rosa Leuchtstift an, streicht die 70 Franken durch und ersetzt sie durch 50 Franken. Er telefoniere zwei bis drei Mal in der Woche mit seinen Eltern, die noch im Kongo leben, sagt Mouss. Seine Mutter sei krank, und besuchen könne er sie ja nicht.
Sparen könnte er auch bei den Kleidern. Früher habe er öfters in Brockenhäusern oder bei der Caritas eingekauft. Aber diese Kleider gingen schnell kaputt. Ausserdem habe er lange Arme und müsse immer in speziellen Läden suchen, bis er etwas passendes finde. «Aber im Notfall müsste ich auf neue Kleidung verzichten», sagt er.
Das Ergebnis von Mouss Sparversuchen ist niederschmetternd. Am Ende kommt er auf 585 Franken, die er monatlich ausgeben würde. Das liegt immer noch über dem Betrag, den er mit der Asylfürsorge erhalten würde. «Es gibt einfach Dinge, die ich nicht wegstreichen kann», sagt Mouss. Das Billet, zum Beispiel. Das brauche er, um arbeiten zu können. Seit zwei Monaten kann er nämlich als Pflegepraktikant in einem Altersheim arbeiten. Lohn erhält er dort keinen, hingegen einen zusätzlichen Betrag von der Sozialhilfe, sozusagen als Belohnung für seine Integrationsbemühungen. Beim Wechsel auf die Asylfürsorge würden auch solche Beträge künftig wegfallen.
Samuel Häberli, Rechtsberater bei der Freiplatzaktion Zürich, sagt: «Von der Sozialhilfe zur Asylfürsorge ist eine massive Kürzung.» In anderen Kantonen ist es bereits die Praxis, dass vorläufig Aufgenommene nur Asylfürsorge erhalten. Nur in den Kantonen Basel-Stadt, Luzern, Bern und Genf können Personen mit einem F-Ausweis unter bestimmten Voraussetzungen Sozialhilfe beziehen. Darum hat der Kanton Zürich laut Häberli 2011 eine Vorreiterrolle übernommen, als er Personen mit einem F-Ausweis von der Asylfürsorge in die Sozialhilfe gehoben hat. Das geschah damals mit einer Referendumsabstimmung. «Mit dem Ja, hat der Kanton Zürich damals ein positives Signal gesendet. Jetzt machen wir einen Schritt zurück», sagt er.
Verschiedene Organisationen und Parteien haben angekündigt, gegen den Entscheid des Kantonsrates das Referendum zu ergreifen.