Sind Freiwillige, die Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa unterstützen, Lebensretter oder Handlanger der Schlepper? Die Diskussion, die im Zusammenhang mit NGOs auf dem Mittelmeer schon seit geraumer Zeit hitzig geführt wird, erreicht nun auch die Schweiz.
Heute findet im Tessin der Prozess gegen die SP-Politikerin Lisa Bosia Mirra statt, der vorgeworfen wird, minderjährige Flüchtlinge in die Schweiz geschleust zu haben. Im April dieses Jahres wurde sie erstinstanzlich wegen Schlepperei verurteilt. Sie legte Rekurs ein – nun befindet das Bundesstrafgericht darüber.
Das Urteil, das in einer Woche erwartet wird, dürfte wegweisend sein. Es geht um die Frage: Gibt es legitime Gründe dafür, Fluchthilfe zu leisten?
Für die Staatsanwaltschaft lautet die Antwort Nein. Sie fordert für Bosia Mirra eine Geldstrafe und eine Busse von insgesamt 10'000 Franken. In der Anklageschrift heisst es, Bosia Mirra habe in mindestens neun Fällen Flüchtlingen geholfen, illegal in die Schweiz einzureisen. 24 Personen aus Eritrea und Syrien soll sie über die Grenze gebracht haben. Einige habe sie bei sich zu Hause untergebracht, anderen habe sie Zugbillette für die Weiterreise nach Deutschland bezahlt.
Lisa Bosia Mirra macht geltend, dass sie aus rein humanitären Gründen gehandelt habe – und deshalb freizusprechen sei. Ein breit aufgestelltes Komitee unterstützt sie dabei. Angeführt von zwei Journalisten und einem Anwalt hat die Gruppierung im Internet eine «Rechtsbeobachtungsstelle» eingerichtet. Folgende Dokumente sollen ihre Argumentation stützen:
Schon nach Bosia Mirras Festnahme vor Jahresfrist schlug sich Ex-Staatsanwalt Paolo Bernasconi, der als «Mafiajäger» Bekanntheit erlangt hatte, öffentlichkeitswirksam auf die Seite der SP-Frau. In den Medien bezeichnete er sie als «Mutter Teresa von Como» und verwies auf einen Fall aus den 70er-Jahren. Damals gestand ein protestantischer Pfarrer aus dem Tessin, 400 chilenischen Flüchtlingen bei der illegalen Einreise in die Schweiz geholfen zu haben. Die Tessiner Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren damals ein, weil der Geistliche aus humanitären Gründen geholfen habe.
Zu den Unterstützerinnen von Bosia Mirra zählt auch Juso-Chefin Tamara Funiciello. Sie feierte Bosia Mirra nach ihrer Festnahme als «Heldin» und forderte die Bevölkerung auf, es ihr gleich zu tun. Seither stehen die beiden Frauen in Kontakt. Wie Funiciello auf Anfrage sagt, hofft sie, dass die Tessiner Richter mit einem möglichst milden Urteil ein Zeichen setzen. Sie beruft sich auf Bertolt Brecht: «Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zu Pflicht.»
Es dürfe nicht sein, dass täglich Menschen im Mittelmeer ertrinken, während sich die Sicherheitspolitiker in Europa auf die Schulter klopften, weil die Flüchtlingszahlen sinken. Funiciello vergleicht Borio Mirra mit dem St. Galler Grenzbeamten Paul Grüninger, der im Zweiten Weltkrieg hunderte Flüchtlinge vor der Verfolgung durch die Nazis gerettet hatte. «Die Geschichte wird auch Lisa freisprechen», ist sie sich sicher.
Für Heinz Brand, SVP-Nationalrat und Präsident der Staatspolitischen Kommission, ist diese Argumentation bedenklich. «Wenn eine Politikerin dazu aufruft, das Gesetz zu brechen, deutet das auf eine bedenkliche Grundhaltung hin. Sie stellt damit direkt und grundsätzlich unseren Rechtsstaat infrage.»
Aus Brands Sicht gibt es keine Entschuldigung dafür, Migranten illegal über die Grenze zu bringen. «Es ist ja nicht so, dass diese Leute unmittelbar an Leib und Leben gefährdet wären. Ob sie sich in der Schweiz oder in Italien aufhalten, ist für ihr Wohlergehen unerheblich.» Um potenzielle Nachahmer abzuschrecken, sei es wichtig, dass die Richter solche Taten konsequent sanktionierten.
Ob der Wirbel um Bosia Mirras Festnahme in der Schweiz Nachahmer auf den Plan gerufen hat, lässt sich nur schwer überprüfen. Fakt ist: Dieses Jahr wurden von Januar bis Ende August bereits 24 Personen mit Schweizer Pass erwischt, die Flüchtlinge über die Grenze schmuggeln wollten – mehr als von jeder anderen Nationalität. Ob es sich um Personen handelte, die aus humanitären Motiven handelten oder um solche, die sich damit persönlich bereichern wollten, geht aus der Statistik nicht hervor.
Bekannt ist, dass es in anderen Ländern aktive Fluchthilfe-Szenen gibt. In Deutschland etwa geben sich linke Aktivisten auf einschlägigen Seiten und im Internet Tipps, wie die Grenzüberquerung am besten gelingt. So raten sie etwa, Sonnenblenden am Auto zu montieren, damit die Polizei Personen auf der Rückbank nicht erkennt. Auch Deutschlandfahnen für die Rückspiegel sollen sich demnach gut machen – als Tarnung.