Im Ankunftsbereich des Basler Euro-Airports stehen die Kameras bereit. Journalisten des australischen Senders ABC, der amerikanischen Agentur AP, eines chinesischen Mediums und dieser Zeitung beziehen Stellung. Ankommende Touristen und Geschäftsleute fragen sich: Wird eine Fussballmannschaft erwartet? Oder ein Filmstar?
Der Easyjet-Flug aus Bordeaux kommt elf Minuten früher an als geplant. David Goodall (104) wird von einem Flughafenmitarbeiter in einer Leuchtweste durch den Zoll geschoben und stoppt vor den Journalisten. Doch Goodall hat eine andere Sorge: «Ist mein Gepäck dabei?» Als ihm dies versichert wird, begrüsst er Henny Penny, die Hündin einer Begleiterin, und nimmt sie auf den Schoss. Dann erst stellt er sich den Fragen.
Goodall kneift seine milchigen Augen zusammen und dreht ein Ohr in die Richtung der Reporter, um sie trotz seiner Schwerhörigkeit zu verstehen. Über die Lautsprecheranlage werden die Passagiere aus Amsterdam gebeten, ihr Gepäck abzuholen. Goodall spricht gleichzeitig darüber, weshalb er seine letzte Reise angetreten hat. Warum er aus Australien über Frankreich in die Schweiz geflogen ist, um hier zu sterben.
Er klingt verbittert, wenn er sich über seinen Gesundheitszustand und den behindertenunfreundlichen Basler Flughafen beklagt. Zuversichtlich, wenn er über seine Mission, die Sterbehilfe-Legalisierung, und seine letzten drei bevorstehenden Tage spricht. Und amüsiert, als er darauf angesprochen wird, dass er an Auffahrt sterben werde. Das sei ihm nicht bewusst gewesen, sagt er, blinzelt und lacht.
Wenn Goodall seinen eigenen Zustand analysiert, spürt man die Distanziertheit eines Wissenschafters. Goodall ist in Australien ein bekannter Botaniker, der die Elsevier-Buchreihe «Ökosysteme der Welt» herausgegeben hat. Er redet über sich, als handle es sich um einen Fall im Biologiebuch. Der Mann, der 1914 in England geboren wurde und seit 1948 in Australien lebt, gibt dem Tod mit seinem britischen Humor eine gewisse Leichtigkeit.
Goodall hat sich entschieden, aus seinem Sterbewunsch eine Mediengeschichte zu machen. Zu seinem 104. Geburtstag Anfang April lud er den Staatssender ABC ein. Er blies die Kerzen auf der Torte aus und sagte in die Kamera: «Ich bedaure es sehr, dieses Alter erreicht zu haben. Ich will sterben.» Das sei nicht traurig. «Traurig ist», sagte er, «wenn man davon abgehalten wird.» Er sei nicht todkrank, aber seine Lebensqualität habe sich verschlechtert. Nach einem Sturz lag er zwei Tage in seiner Einzimmerwohnung, bis er entdeckt und ins Spital eingeliefert wurde. Danach versuchte er erfolglos, sich das Leben zu nehmen. Über die Organisation Exit International, die nichts mit dem Schweizer Verein Exit zu tun hat, stellte er den Kontakt zur Baselbieter Stiftung Eternal Spirit her.
Die Schweiz ist nicht das einzige Land, in dem Sterbehilfe legal ist. Auch in Holland, Belgien und Luxemburg dürfen Ärzte ihren Patienten unter bestimmten Voraussetzungen ein Sterbemittel zur Verfügung stellen. Doch die Schweiz ist das einzige Land, in dem die Dienstleistung auch Ausländern angeboten werden darf. Deshalb ist Goodall um den Globus geflogen.
Es ist eine Weltreise und trotzdem ein Kurztrip. Am Mittwoch flog er in Perth ab und verabschiedete sich von seiner Familie am Flughafen. Beim Zwischenstopp in Bordeaux traf er weitere Angehörige. Da er dreimal verheiratet war und vier Kinder in verschiedenen Ländern hat, ist seine Familie über die ganze Welt verteilt.
Am Montag landet er in Basel. Am Dienstag wird ein Arzt seinen Sterbewunsch abklären. Am Mittwoch lädt er zu einer Medienkonferenz. Am Donnerstag wird er im Sterbezimmer in Liestal eine Infusion mit Natrium-Pentobarbital aufdrehen. Nach dreissig Sekunden wird er einschlafen. Innert vier Minuten wird der Herzstillstand eintreten.
In Australien hat Goodall mit seiner Reise eine Sterbehilfedebatte ausgelöst. In der Schweiz ist Sterbetourismus zwar Alltag, und dennoch ist Goodall ein spezieller Fall. Sein assistierter Suizid entspricht wohl den Gesetzen, aber kaum den Richtlinien der Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Diese werden derzeit überarbeitet.
Im Februar lief die Vernehmlassungsfrist ab. Ende Jahr soll die definitive Fassung veröffentlicht werden. Die Regeln werden gelockert, doch Bedingung für Sterbehilfe bleibt eine tödliche Krankheit. Die Ärztegesellschaft lehnt den Altersfreitod ab. Darunter versteht man, dass ein Senior ab einem gewissen Alter, zum Beispiel 85, selber und ohne Diagnose den Entscheid fällen kann. Diese Debatte läuft derzeit bei Exit: An der nächsten GV wird über eine Anpassung der internen Regeln abgestimmt.
Goodall hat schon als 102-Jähriger gewusst, wie man Medienaufmerksamkeit herstellen und dadurch die Verhältnisse verändern kann. Seine Universität konnte es «aus Sicherheitsgründen» nicht mehr akzeptieren, dass der alte Mann weiterhin ein Büro hatte, und kündigte ihm den Raum. Er wandte sich an die Öffentlichkeit. Die Arbeit sei ihm wichtig: «Ich habe nicht viel anderes zu tun.» Er löste damit eine Debatte um alte Arbeitskräfte aus. Die Universität lenkte ein und stellte ihm wieder ein Zimmer zur Verfügung.
Im Basler Flughafen versuchen Goodalls Begleiter, ihn vor den Medien zu schützen. «Eine letzte Frage», sagen sie. Doch Goodall redet und redet und beantwortet eine letzte Frage nach der anderen. Lächelnd verabschiedet er sich, rollt davon und verschwindet im Lift. Ein Tourist will wissen: «War das der berühmte Australier?»