Schweiz
Bern

Rot-Grün dominiert die Schweizer Städte – jetzt geht die FDP über die Bücher.

Die beiden FDPler Filippo Leutenegger, links, und Michael Baumer, freuen sich ueber ihr Resultat anlaesslich der Stadtratswahlen im Stadthaus in Zuerich, aufgenommen am Sonntag, 4. Maerz 2018. (KEYSTO ...
Einsame Bürgerliche in einer rot-grünen Stadt: Die Zürcher FDP-Stadträte Filippo Leutenegger (links) und Michael Baumer.Bild: KEYSTONE

«Nicht nur Linke fahren Velo» – frustrierte FDP sucht neue Strategie für rot-grüne Städte

Der linke Triumph in Zürich zeigt es erneut: Die grossen Schweizer Städte sind für die Freisinnigen ein hartes Pflaster. Die FDP Schweiz sucht jetzt «liberale Antworten», um die rot-grüne Dominanz zu brechen. Das dürfte schwierig werden, glaubt Politologe Michael Hermann.
06.03.2018, 16:2925.05.2018, 10:14
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Es war ein bitterer Wahlsonntag für die Bürgerlichen in Zürich: Mit «Top 5», einer Wahlallianz aus SVP, FDP und CVP, wollte man nach 28 Jahren Rot-Grün die Mehrheit in der Stadtregierung zurückerobern. Herausgekommen ist es anders: Die CVP verlor ihren Sitz an die Grünliberalen. Der neu gewählte FDP-Stadtrat Michael Baumer musste bis zum letzten Wahlkreis zittern, ob er das absolute Mehr schaffen würde. Im Parlament eroberten die linken Parteien SP, Grüne und AL die absolute Mehrheit.

Im Zürcher Stadthaus war am Sonntagabend zu spüren: Die Freisinnigen hatten sich mehr erhofft. Severin Pflüger, Präsident der Stadtpartei, spricht zwar davon, dass «die FDP nicht so schlecht angekommen ist». Als einzige bürgerliche Partei konnte sie beim Wähleranteil leicht zulegen. Trotzdem: Der Traum von einer bürgerlichen Wende scheint in noch weitere Ferne gerückt sein: «Unsere Machtposition in der Stadt Zürich ist auf einem historischen Tiefpunkt», räumt Pflüger angesichts der rot-grünen Übermacht ein.

Das will man nicht einfach so hinnehmen. Um im urbanen Raum nicht immer den Kürzeren ziehen zu müssen, treffen sich am Donnerstag Vertreter der FDP aus den acht grössten Schweizer Städten in Bern. Mit einem «Kick-off-Event» wird die Initiative «FDP Urban» lanciert. Ziel der FDP-Stadtparteien von Basel, Bern, Genf, Lausanne, Luzern, St.Gallen, Winterthur und Zürich: «Liberale Antworten» auf «gemeinsame städtische Herausforderungen» entwickeln.

Beat Habegger ist Vizepräsident der Stadtzürcher FDP und Leiter von «FDP Urban». Er ist davon überzeugt, dass die FDP in Schweizer Städten ein grösseres Wählerreservoir hat, als sie es derzeit ausschöpft: «Ich glaube, hier wohnen Leute, welche den Freiraum schätzen, den eine Stadt bietet.» Diese wollten keine Bevormundung und Überregulierung, wie sie unter Rot-Grün vorherrschten.

Weshalb die FDP mit ihrem Programm nicht gegen die rot-grünen Mehrheit ankommt, erklärt Habegger mit mehreren Faktoren. Einerseits geniesse die linke Politik in gewissen Themenfeldern tatsächlich grosse Unterstützung. So sei der gemeinnützige Wohnungsbau sehr populär. Dass auch private Investoren attraktiven und günstigen Wohnraum bauen könnten, gehe dabei vergessen: «Hier muss es uns besser gelingen, Alternativen aufzuzeigen», sagt Habegger selbstkritisch.

«Ich höre immer wieder das Klischee der Banken- und Bonzenpartei.»
Tom Berger, FDP Stadt Bern

Im Rahmen von «FDP Urban» wollen die freisinnigen Stadtparteien gemeinsam jene Ideen entwickeln, die als Alternativen zu rot-grünen Lösungen die Wähler überzeugen. Damit das gelingt, brauche es teilweise auch ein programmatisches Umdenken, meint Tom Berger. Der 31-Jährige kam über sein Engagement fürs Berner Nachtleben in die Politik und sitzt für die FDP im Stadtberner Parlament.

Derzeit spricht Berger auf der Strasse viele Wähler an. Am 25. März möchte er in den Grossen Rat des Kantons Bern gewählt werden. «Im Wahlkampf merke ich, dass die FDP stark über die nationale Politik wahrgenommen wird». Er höre immer wieder das Klischee der Banken- oder Bonzenpartei. «Dann muss ich erklären, dass wir als Partei eine progressive, urbane Politik machen.»

Die Äusserungen gewisser Vertreter der nationalen FDP seien nicht immer hilfreich: «Ich habe beispielsweise Mühe, wenn sich Freisinnige gegen die Gleichberechtigung von gleichgeschlechtlichen Paaren aussprechen». Auch im Bereich der Cannabis-Legalisierung wünscht sich Berger eine Öffnung. Das würde den Freisinnigen helfen, im urbanen Raum progressive Wähler anzusprechen.

Der Politologe Michael Hermann bestätigt Bergers Analyse. Der politische Diskurs sei stark von der nationalen Ebene geprägt: «Die Politik der FDP Schweiz färbt auf die Wahrnehmung in den Städten ab.» Es wäre allerdings ein Fehler, wenn die Freisinnigen ihre ganze Politik auf die urban-progressive Wählerschaft ausrichten würden. Mit einem solchen Kurswechsel verlöre die FDP im Rest der Schweiz mehr Wähler, als sie in den Städten hinzugewinnen könnte.

«Die Bevölkerung in den Städten unterstützt mit überwältigender Mehrheit eine starke öffentliche Hand.»
Michael Hermann, Politologe

Für einen gangbaren Weg hält Politologe Hermann hingegen eine Anpassung der Wahltaktik. Einerseits müsse die FDP in Städten wie Zürich auf «gesunde Distanz» zur SVP gehen, die für viele Wähler ein rotes Tuch sei. Und andererseits sei das Schlagwort der «bürgerlichen Wende» möglicherweise ein Fehler gewesen. Das habe eher geholfen, die linken Wähler zu mobilisieren. In den grossen Schweizer Städten herrsche derzeit der Eindruck, die Welt und die Schweiz seien stark nach rechts gerückt. Damit entstehe das subjektive Gefühl: «Unsere Stadt ist der letzte Ort, wo wir noch selber etwas zu sagen haben.»

Anstatt aggressiv eine bürgerliche Wende zu promoten, würde sich die FDP besser als Ergänzung, als Gegengewicht zu Rot-Grün verkaufen: «Mehr liberaler Geist, mehr Verständnis für die Wirtschaft wären die richtigen Stichworte.» Denn an ein baldiges Ende der rot-grünen Mehrheiten glaubt Hermann nicht.

Schliesslich unterstütze die Bevölkerung in den Städten mit überwältigender Mehrheit eine starke öffentliche Hand. Sie sei bei entsprechenden Gegenleistungen auch bereit, dafür Steuern zu bezahlen. Das gelte auch für Gutverdienende: «Politisch ist bei ihnen die Identifizierung mit urbanen Werten wichtiger als die Identifizierung mit der eigenen ökonomischen Schicht.» Reiche, denen tiefe Steuern besonders wichtig seien, würden hingegen tendenziell aus den Städten wegziehen.

Das habe aber nichts mit einer verwerflichen Klientelpolitik von Rot-Grün zu tun: «Der Kanton Zürich ist seit 1848 bürgerlich regiert, da spricht auch niemand von einer selbst herangezüchteten, konservativen Wählerschaft.» Um die progressiven Werte der städtischen Wählerschaft anzusprechen, müsse die FDP «urbane Typen» als Kandidaten aufbauen.

«Nicht nur Linke fahren Velo.»
Tom Berger, FDP Stadt Bern

Für den Zürcher FDP-Vertreter Beat Habegger spielt auch die «falsche Aussendarstellung» eine Rolle beim schweren Stand der Freisinnigen in den Städten. Die Partei bestehe «aus modernen, urbanen Menschen.» Er selber fahre jeden Tag Velo, so Habegger. Nur weil man sich für eine «selbstbestimmte Mobilität» und gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer einsetze, sei man kein Auto-Turbo.

Der Berner Tom Berger ist ebenfalls mit dem Zweirad unterwegs und besitzt kein Auto. Die FDP auf eine «Autofahrer- und Parkplatz-Partei» zu reduzieren, sei falsch. Doch gerade auch innerhalb der eigenen Partei müsse er noch viel Überzeugungsarbeit leisten, damit die Parteikollegen gewisse ideologische Scheuklappen in der Verkehrspolitik ablegten. Denn, so Berger: «Nicht nur Linke fahren Velo».

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51 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Grigor
06.03.2018 16:59registriert Februar 2014
Vielleicht sind sie einfach in der falschen Partei wenn alle anderen auf der falschen Linie sind bzw. falsche Positionen vertreten. Aber Nein, natürlich sind alles tolle und tolerante Leute bei der FDP und die Wähler haben es einfach nicht verstanden. Interessante Logik. So gewinnt man sicher die nächsten Wahlen.
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Joe Smith
06.03.2018 18:43registriert November 2017
«Dass auch private Investoren attraktiven und günstigen Wohnraum bauen könnten, gehe dabei vergessen.» Richtig, das *könnten* sie. Der Punkt ist halt, dass sie es nicht tun.
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Don Alejandro
06.03.2018 17:07registriert August 2015
"Nicht nur Linke fahren Velo" impliziert genau das, woran die FDP scheitert. In der konstanten Unterschätzung der politischen Wählerschaft. Es ging substanziell um einiges mehr, warum die Linke und nicht die FDP gewählt wurde.
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