Erich Hess ist ein politischer Senkrechtstarter: mit 24 wurde er in den Stadtrat gewählt, mit 29 in den Grossrat und mit 34 in den Nationalrat.
Jetzt hat der Berner SVPler einen weiteren Meilenstein geschafft: Mit der Wahl in den Grossrat ist er gleichzeitig auf Gemeindeebene (Stadtrat), Kantonsebene (Grossrat) und nationaler Ebene (Nationalrat) in der Legislative vertreten.
In einer ersten Stellungnahme nach der Wahl zeigte sich Hess erfreut über die Wahl. Gleichzeitig machte er klar, dass er alle drei Mandate ausüben wolle: «Das schulde ich den Wählern.»
Wie er in der Praxis seine Schuldigkeit gegenüber den Wählern tut, steht auf einem anderen Blatt. Als Unternehmer, medienaffiner Politiker, und mit drei politischen Mandaten ausgestattet, dürfte Hess mehr als ausgelastet sein.
Politikberater Mark Balsiger kann sich an keinen ähnlichen Fall erinnern: «Das dürfte wohl eine Premiere sein.» Auf die Frage, ob ein Dreifachmandat möglich sei, antwortet Balsiger kurz und knapp: «Selbstverständlich». Es könne in der Theorie gar von Vorteil sein, wenn man gleichzeitig auf allen drei Ebenen politisch tätig sei: «Man ist so an den Schnittstellen zwischen Gemeinde, Kanton und Bundesstaat. Ein politisches Leichtgewicht bleibt dabei allerdings wirkungslos.»
Im Alltag dürfte Hess jedoch schnell realisieren, dass die Belastung enorm hoch sei: «Die Arbeit in den jeweiligen Kommissionen ist sehr zeitintensiv, es wird viel gesessen und über kleinste Details gerungen.» Gerade im Nationalrat sei das Milizparlament ein Mythos, die zeitliche Belastung für ein Mandat betrage gemäss Erhebungen im Durchschnitt 70 Prozent.
Grob gerechnet kommt man mit den drei Mandaten auf ein Minimalpensum von 110 Prozent – je nachdem, in wie vielen Kommissionen man Einsitz nimmt.
Wie geht das mit der Rhetorik der SVP zusammen, die bei jeder Gelegenheit die «Berufsparlamentarier» in den anderen Parteien geisselt?
Für Werner Salzmann, SVP-Präsident des Kantons Bern, ist dies tatsächlich ein Problem: «Es ist nicht unser Ziel, dass SVP-Politiker zu hauptamtlichen Politikern werden. Wir begrüssen es, wenn unsere Leute mit einem Bein in der Wirtschaft stehen.» Im Fall Hess werde es sich dann zeigen müssen, wie es weitergeht.
Wieso intervenierte die SVP nicht früher? Salzmann sagt, dass es sich um einen demokratischen Entscheid gehandelt habe. «Die Wahlkreise entscheiden frei und demokratisch, wer welchen Listenplatz einnimmt. Da wollen wir als Kantonalpartei nicht dreinreden.»
Ganz untätig will Salzmann aber nicht bleiben: «Falls sich die jeweiligen Sessionsdaten überschneiden, so muss sich Hess halt entscheiden», sagt Salzmann.
Hess sagt dazu, falls es Überschneidungen gebe, sei der Nationalrat sicherlich seine Priorität.
Grunsätzlich sieht Hess aber kein Problem. Es sei auch bisher sehr gut gegangen mit dem Doppelmandat Stadt- und Nationalrat, man müsse sich halt zu organisieren wissen. «Während der Arbeit kann ich politische Aufgaben erledigen und umgekehrt.»
Ein Vollzeitpolitiker sei er sicher nicht. Der hemdsärmlige Lastwagenfahrer, als der sich Hess lange gerne gab, ist dabei Vergangenheit: Mittlerweile verdient der Berner sein Geld mit Immobilienunternehmen. Das Geld, das er mit seinen drei politischen Mandaten in Zukunft verdient – zwischen 130'000 und 170'000, inklusive Spesen – sei dabei Nebensache.
Anders die Grüne-Politikerin Aline Trede: Sie erklärte am Sonntagabend, auf den Grossratssitz zu verzichten, da sie als Ersatz für Christine Häsler in den Nationalrat nachrückt. Doppelmandate lehne sie ab, so Trede. Der frei werdende Sitz im Kantonsparlament geht somit an Daniel Klauser, den nächsten in der Liste.
Andere Politiker in der jüngeren Vergangenheit handhabten die Frage nach den Doppelmandaten ähnlich: SP-Politiker Fabian Molina etwa, der den zurückgetretenen Tim Guldimann in den Nationalrat ersetzt, gab im Februar bekannt, sein Kantonsratsmandat nicht weiter ausüben zu wollen. Und auch Irène Kälin, die im vergangenen Herbst für Jonas Fricker in den Nationalrat nachrückte, zog sich aus dem Kantonsrat zurück.
Ob er tatsächlich alle Mandate unter einen Hut bringe, werde sich in den nächsten Jahren zeigen, so Hess. Ausgeschlossen sei es aber nicht, dass er im einen oder anderen Bereich kürzertreten müsse.
Hoffentlich ist er nun so überbeschäftigt, dass ihm keine Zeit mehr bleibt, überall seinen "Seich" zu verzapfen.
Stellt sich mir trotzdem die Frage, was für Menschen es eine gute Idee finden, einen Typen wie Erich Hess zu wählen. Wir Menschen sind schon eine wunderliche Spezies.