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Wie viele Sozialhilfebezüger leben in Ihrer Gemeinde?

Armengenössige in der Schweiz

Wie viele Sozialhilfebezüger leben in Ihrer Gemeinde?

Die Gemeinde Hagenbuch (ZH) fürchtet, wegen steigender Sozialhilfekosten die Steuern erhöhen zu müssen. Warum das nicht schlimm ist und welche Gemeinden noch viel mehr für Sozialhilfe ausgeben.
17.09.2014, 11:5011.11.2020, 08:40
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Die Sozialhilfe ist allerorts in den Schlagzeilen. Biel investiert 80 Prozent der Steuergelder ins Sozialwesen, die SVP will den Gemeinden erlauben, pro Bezüger nur noch 600 Franken auszurichten und die Zürcher Gemeinde Hagenbuch beklagt, sie müsse wegen einer eritreischen Flüchtlingsfamilie gar die Steuern erhöhen.

Auch wenn es derzeit so scheinen mag, ist Hagenbuch unter den Gemeinden mit der höchsten Sozialausgabenlast nur auf Platz 779. Am meisten Sozialhilfebezüger haben die Gemeinden Biel (BE), La Chaux-de-Fonds (NE), Eppenberg-Wöschnau (SO), Peseux (NE) und Brügg (BE), gleich neben Biel.

In folgender Karte können Sie nachsehen, wie hoch die Sozialhilfequote in Ihrer und allen anderen Schweizer Gemeinden ist. Einfach den gewünschten Landesteil heranzoomen, auf die gewünschte Gemeinde klicken oder mit der Maus darüberfahren.

Ausländer, Industrie, günstige Wohnungen

Aus der Karte wird ersichtlich, dass rund um den Jura besonders viele besonders stark belastete Gemeinden liegen. Ausser dem solothurnischen Eppenberg-Wöschnau (mit einer sehr kleinen Fallzahl von 33 Sozialhilfebezügern) liegen denn auch vier der Top-5-Gemeinden in Sachen Sozialhilfequote am Jurasüdfuss. Diese Gegend zeichnet sich insgesamt durch einen Arbeitsmarkt aus, der niedrigqualifizierte und ausländische Arbeitnehmende anzieht, die bei Konjunkturbaissen eher den Job verlieren und den Wiedereinstieg nicht mehr schaffen.

Zu diesem Schluss kommt auch eine Studie, die die Berner Regierung 2012 in Auftrag gab, um die Situation von Spitzenreiter Biel zu analysieren. Der Bericht erklärt die stark erhöhte Sozialhilfequote in Biel damit, dass in der Stadt überdurchschnittlich viele Ausländer afrikanischer Nationalitäten wohnen, überdurchschnittlich viele Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene beherbergt werden, viel günstiger Wohnraum vorhanden ist und der Arbeitsmarkt überdurchschnittlich industrielastig und damit krisenanfälliger ist.

Alle Gemeinden zahlen mit

Sozialhilfe-Spitzenreiter Biel und die umliegenden Gemeinden Nidau, Brügg und Pieterlen kommen für ihre Sozialhilfebezüger jedoch nicht zur Gänze selber auf. Was die Gemeinde Biel aus dem Kantonalberner Lastenausgleich erhält, übersteigt die Ausgaben für die Sozialhilfe im Gemeindebudget. Der Kanton Bern und die übrigen Gemeinden finanzieren die Sozialhilfe Biels also quer. Im Gegenzug nimmt Biel überdurchschnittlich viele Asylsuchende auf, was neben den obengenannten weiteren Faktoren zu einer erhöhten Sozialhilfequote führt.

Auch der Zürcher Fall Hagenbuch zeigt, dass die Skandalisierung von Einzelfällen, die die finanziell zuständigen Gemeinden scheinbar krass überlasten, einseitig ist. So rechnet der «Blick» aus, dass die eritreische Flüchtlingsfamilie im Jahr rund 700'000 Franken koste. Dies, weil fast sämtliche Familienmitglieder quasi rund um die Uhr betreut werden müssen und vier Kinder in Heimen platziert wurden.

Der Kanton gibt's, der Kanton nimmt's

Was der «Blick» nicht schreibt: Hagenbuch erhält aus dem Kantonalzürcher Finanzausgleich für die Gemeinden 2014 rund 1,8 Millionen Franken. Das Budget von Hagenbuch beträgt rund sechs Millionen, wie Gemeindepräsidentin Therese Schläpfer gegenüber watson bestätigt. Das heisst, dass Hagenbuch sein Budget zu knapp einem Drittel aus dem Finanzausgleich bestreitet. Und dass die 700'000 Franken Kosten, die die von der kantonalen Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) angeordneten Massnahmen für die Eritreer generieren, nicht einmal die Hälfte dessen ausmachen, was die reichen Zürcher Gemeinden im Finanzausgleich an Hagenbuch abgeben.

Steuererhöhung halb so schlimm

Auch die von der Gemeindepräsidentin angekündigte Steuererhöhung um fünf Prozent, die wegen der Eritreer allenfalls nötig sei, relativiert sich bei genauerem Hinsehen. Seit 2009 hat die politische Gemeinde Hagenbuch ihren Steuerfuss um 10 auf 81 Prozent gesenkt. Wenn nun der Steuerfuss um fünf Prozent erhöht werden müsste, dann würden die Hagenbucher wieder gleich viel Steuern bezahlen wie noch 2011. Momentan kommen die Hagenbucher mit Gemeinde- und Sekundarschulsteuer auf einen Gemeindesteuerfuss von 105 Prozent.* Zum Vergleich: In der Stadt Zürich sind es ohne Kirchensteuer 119 Prozent.

Bild

* In der ursprünglichen Fassung des Artikels hiess es, dass Hagenbuch mit «Gemeinde- und Staatsteuer» auf einen Steuerfuss von 105 Prozent komme. Richtig muss es heissen mit «Gemeinde- und Sekundarschulsteuer». Der Staatsteuerfuss liegt in Hagenbuch natürlich wie im ganzen Kanton bei 100 Prozent.

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39 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Forrest Gump
17.09.2014 13:34registriert Februar 2014
Schockierend sind nicht die Fr. 700'000 Kosten für die Gemeinde Hagenbuch (die natürlich in dieser Höhe hinterfragt werden können). Sondern ist die Tatsache, dass eine Gemeinde mit einem Steuerfuss von 81% Finanzausgleich erhält. Die Gemeinde lebt offensichtlich über ihren Verhältnissen und hätte auch bei anderen unvorhersehbaren Ausgaben die Steuern erhöhen müssen. In diesem Fall an die Öffentlichkeit zu gehen und die Familie so an den Pranger zu stellen ist eine absolute Frechheit und passt zur Partei der Gemeindepräsidentin und zum so genannten "Journalismus" vom Blick.
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nimmersatt
17.09.2014 12:52registriert Februar 2014
Was noch interessant waere einmal graphisch vorgelegt zu bekommen, waere die anteilsmässige zusammensetzung der Sozialhilfeempfänger: vorallem die ausgesteuerten Arbeitslosen und die mittellosen Betagten
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Real Ist
17.09.2014 13:05registriert Februar 2014
dafür sparen wir an den schulen, unterhalt, investitionen ect....
wie viel brauch es noch bis auch die linken merke., dass wir uns das nicht mehr leisten können?
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