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Auf Autobahnen soll das Rechtsvorbeifahren erlaubt werden

Thierry Burkart (TCS und FDP) stösst vor – Evi Allemann (VCS und SP) stimmt zu.
Thierry Burkart (TCS und FDP) stösst vor – Evi Allemann (VCS und SP) stimmt zu.bild: Keystone / Mario Heller

Auf Autobahnen soll das Rechtsvorbeifahren erlaubt werden (aber Überholen nicht!)

Freie Fahrt auf der rechten Spur der Autobahn: Das Bundesamt für Strassen (Astra) will die Regeln lockern, um den Verkehrsfluss zu optimieren. 2018 führt es eine Anhörung zur Revision des Strassenverkehrsgesetzes durch. Und für einmal sind sich TCS und VCS einig.
16.09.2017, 07:5916.09.2017, 22:05
Andreas Maurer / Schweiz am Wochenende
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Bei der Autoprüfung lernt man nicht die ganze Wahrheit. Auf der Autobahn dürfe man nur in einem Fall rechts an anderen Fahrzeugen vorbeifahren: Wenn der Verkehr im Schritttempo in parallelen Kolonnen rollt. Doch der Strassenalltag ist komplizierter.

Jetzt auf

Vor einem Jahr passte das Bundesgericht seine Rechtsprechung an das steigende Verkehrsaufkommen an. Es behandelte den Fall eines Mannes, der mit 90 Stundenkilometern rechts an zwei Autos vorbeigefahren war, als diese ihr Tempo verlangsamt hatten. Dieses «passive» Vorbeifahren sei zwar möglicherweise eine Verkehrsregelverletzung, aber weder schweres Verschulden noch grobe Fahrlässigkeit, fanden die Richter.

Wider den «Handorgeleffekt»

Mit dem Urteil wollte das Gericht etwas gegen den «Handorgeleffekt» unternehmen: In Stosszeiten müssen Fahrer auf der rechten Spur regelmässig abbremsen, um nicht den langsameren Verkehr auf der linken Spur zu überholen und sich damit strafbar zu machen. Die neue Ausnahme gilt aber nur im Kolonnenverkehr. Auf der Strasse ist es schwierig abzuschätzen, ab wann dies der Fall ist.

Das Bundesamt für Strassen (Astra) will nun die Regeln lockern. 2018 führt es eine Anhörung zur Revision des Strassenverkehrsgesetzes durch. Astra-Sprecher Guido Bielmann sagt: «Wir werden dabei vorschlagen, das Rechtsvorbeifahren zu legalisieren. Damit möchten wir den Verkehrsfluss optimieren.» Das Rechtsüberholen bleibt aber verboten. Vor dem Vorbeifahren darf man also nicht die Spur wechseln.

TCS will europaweite Premiere

Thierry Burkart, Aargauer FDP-Nationalrat und TCS-Vizepräsident, wusste nicht, dass das Astra bei der Gesetzesrevision so weit gehen würde. Er will dasselbe Ziel mit einer Motion erreichen. Er sagt: «Auf der Sechsspurautobahn ärgere ich mich immer über die konstanten Mittefahrer. Weil mir ein Führerausweis-Entzug droht, vermeide ich es aber tunlichst, rechts vorbeizufahren.»

Er geht davon aus, dass sich die Verkehrskapazität mit der neuen Regelung um fünf bis zehn Prozent steigern liesse. Die Legalisierung wäre eine «europaweite Premiere». Der Autolobbyist rechnet nicht mit mehr Unfällen. Im Gegensatz zum Rechtsüberholen gefährde das Vorbeifahren die Verkehrssicherheit nicht.

ZUR EIDGENOESSISCHEN ABSTIMMUNG VOM 12. FEBRUAR 2017 UEBER DIE SCHAFFUNG EINES FONDS FUER DIE NATIONALSTRASSEN UND DEN AGGLOMERATIONSVERKEHR (NAF) STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGU ...
Die neue Regelung soll den Verkehrsfluss optimieren.Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Was ist vorbeifahren und was überholen?

Wie genau das Vorbeifahren vom Überholen abgegrenzt werden soll, lässt Burkart offen. Auch das Astra kommuniziert keinen konkreten Vorschlag. Man müsste wohl definieren, wann der letzte Spurwechsel stattgefunden haben darf und wie gross der Geschwindigkeitsunterschied sein darf.

Zuletzt befasste sich die Politik vor einem Jahr mit dem Thema, als die FDP sogar das Rechtsüberholen erlauben wollte. Der Widerstand war gross. Die Beratungs- stelle für Unfallverhütung (bfu) warnte vor mehr Verkehrstoten. In den USA, wo Rechtsüberholen erlaubt ist, liege die Zahl der Toten pro Kilometer wesentlich höher als in der Schweiz.

Heute taucht illegales Rechtsüberholen in der Schweizer Unfallstatistik selten auf. 2016 stellte die Polizei das Manöver nur bei 115 von insgesamt 55 000 Unfällen als Hauptursache fest. Bei keinem kam es zu Todesopfern.

Gegen das Rechtsvorbeifahren ist von der bfu hingegen keine Opposition zu erwarten. Sprecher Marc Bächler sagt zwar: «Etwas skeptisch sind wir schon.» Denn bislang habe man sich auf der Autobahn darauf verlassen können, nicht von rechts überholt zu werden. Dadurch sei der Spurwechsel vom linken auf den rechten Fahrstreifen sicherer. Die bfu ist aber bereit, über die Bedingungen für eine Lockerung zu verhandeln. Der Geschwindigkeitsunterschied zwischen den Fahrzeugen müsse gering sein.

Der VCS gibt grünes Licht

Die Avance des rechtsbürgerlichen TCS stösst diesmal sogar beim linken Verkehrsclub auf Gegenliebe. Evi Allemann, VCS-Präsidentin und Berner SP-Nationalrätin, kann sich vorstellen, die Motion von Kollege Burkart zu unterstützen. Rechtsüberholen und -vorbeifahren seien in der Vergangenheit tatsächlich nicht trennscharf abgegrenzt worden, sagt sie.

Diese Grauzone schaffe Unsicherheit. Das Bundesgericht habe bereits mehr Klarheit geschaffen. «Trägt der vorliegende Vorstoss zu einer weiteren Präzisierung bei, begrüsse ich das.» Wenn sich TCS und VCS ausnahmsweise einig sind, können künftige Generationen von Fahrschülern wohl tatsächlich eine neue Regel lernen.

Wie auch immer du fährst: Nimm keinen dieser Mitfahrer-Typen mit!

Video: watson/Lya Saxer
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112 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Kong
16.09.2017 09:16registriert Juli 2017
Bin oft mit dem Auto in den USA unterwegs. Ohne die Statistik konsultiert zu haben, kann ich nur subjektiv feststellen das es dort entspannter ist zum fahren. Daher glaube ich nicht das Rechtsüberholen dort zu mehr Unfällen führt. Eher der löchrige Asphalt und herumliegende Reifen/Abfall. In der CH wäre das eine echte Verbesserung, gerade für Pendler.
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N. Y. P. D.
16.09.2017 09:13registriert Oktober 2015
Mittefahrer !
Immer wenn ich Zeit habe und Spass haben will, kümmere ich mich um diese Spezies.
1. Rechts auf gleiche Höhe ranfahren. So können diese Mittefahrer auch rechts nicht mehr überholt werden.
2. Stau bildet sich
3. Blutdruck bei Stauteilnehmern erhöht sich.
4. Scheinwerfer und Hupe werden gegen Mittefahrer eingesetzt.
5. Mittefahrer will nach rechts.
6. Dummerweise lasse ich ihn nicht.
7. Mittefahrer kriegt Panik.
8. Mittefahrer wird geläutert und zukünftig zum Rechtsfahrer.

Naja, bei 8. bin ich mir nicht so sicher..
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Lümmel
16.09.2017 08:49registriert Mai 2016
Ich würde es mehr begrüssen wenn man notorische links und mitte Fahrer bestrafen würde wenn die rechte Spur völlig frei ist.
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