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Wie Instagram vom mangelnden Selbstbewusstsein profitiert.

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Auf Instagram propagieren Blogger grosses Selbstbewusstsein.Instagram
Kommentar

Ohne Stolz auf dein Bauchfett geht's nicht: Der Haken an der Body-Positivity-Bewegung

Instagram-Blogger verdienen an der Unsicherheit junger Leute. Aber nicht nur Schönheit – auch Selbstbewusstsein ist ein Verkaufsschlager.
03.02.2017, 15:3403.02.2017, 16:45
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In der «20 Minuten» vom Donnerstag erschien ein Artikel über das Instagram-Sternchen Morena Diaz (24). Der Aargauerin folgen über 43’000 Menschen aus der ganzen Welt. Hauptsächlich sind es junge Frauen, die sich von Morenas Selbstbewusstsein eine dicke Scheibe abschneiden wollen. Morena hat sich nämlich voll und ganz der Body Positivity verschrieben, die propagiert: Alle Körper sind schön, so mollig, runzelig, straff, alt oder knackig sie auch sein mögen!

Selbstbewusstsein statt Schönheit

Morenas Instagram-Blog läuft deshalb so gut, weil er eine vermeintliche Antwort für Frauen mit Selbstoptimierungswunsch liefert: Sie verkauft Selbstbewusstsein – ein rares Gut in Zeiten von perfekt retuschierten Körpern auf Social Media. Er ist ein Trostpflaster für diejenigen, die sich auf anderen Blogs selbst nicht wiederfinden können, weil da statt einem #thinspo ein #normalesOberschenkeli ist.

Auch nur ein Trend

Wie Schönheit, ist auch Selbstbewusstsein etwas, worauf andere neidisch sein können. Gerade Jugendliche, die naturgemäss nicht viel davon haben und noch weniger für ihre picklige Haut, den spriessenden Busen und den unproportionalen Körper übrig haben, beneiden diese Blogger darum, sich in ihrem Körper wohl zu fühlen.

Statt Schönheit wird nun Selbstbewusstsein zum Kapital, das Likes einbringt und dem Lifestyle-Blogger zu noch mehr Abonnenten verhilft. So wird die Body Positivity zum Lifestyle erhoben, bei dem der normale Körper zum Schönheitsideal gekrönt wird. Dabei fällt auf: «Normal» gibt es nicht mehr.

Auf der Suche nach einem «normalen» Körper

Retuschierte Bilder in Werbungen und Modemagazinen erzeugen eine Wirkung auf unser Unterbewusstsein, das fortan normal mit hässlich gleichsetzt. Ein Viertel aller Jugendlicher ist laut einer Studie mit seinem Körpergewicht unzufrieden. Höchstwahrscheinlich liegt Morenas Body-Mass-Index in einem Normalbereich, insofern besitzt die Bloggerin medizinisch betrachtet den perfekten Körper.

Dass dieser Körper von der Social-Media-Community als kurvig gefeiert wird, irritiert und sollte empören. Nicht nur als kurvig, sondern auch als fett wird sie immer wieder bezeichnet: Morenas letzter Blogeintrag richtet sich an einen Hater, der ihren Bauch als «Schwabbelbauch» bezeichnet hatte.

Morena wehrt sich im Netz gegen Bodyshaming.

Die Angst vor dem Hässlichsein

«Schwabbelbauch» oder andere abschätzige Bezeichnungen über das Äussere verletzen fast alle Frauen. Eine solche Beleidigung verfestigt nämlich eine Vorstellung, die Frauen eine zu lange Zeit eingeimpft wurde: Dass es nämlich die grösste Verfehlung überhaupt ist, nicht genug schön zu sein. Und so funktioniert Hässlichkeit als Totschlagargument: Vor allem Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, müssen diese Erfahrung tagtäglich machen.

Folgst du einem Fitness-Model auf Instagram?

In Kommentarspalten werden Politikerinnen, Journalistinnen und Bloggerinnen diskreditiert, in dem sie als hässlich bezeichnet werden. Den Frauen, die sich nicht auf einen Drink einladen lassen möchten, wird «hässlich» entgegengespuckt. Frauen, deren Körper auf dem Instagram-Bild einen Makel aufweist – hässlich. Körperbeschimpfung wird zum Kampfmittel. 

Hässlich zufrieden

Statt alles und jeden als schön zu bezeichnen, müsste vor allem gegen die «Hässlich»-Schreihälse etwas getan werden – online sowie offline. Denn sie sind das eigentliche Problem, dass junge Frauen das Selbstbewusstsein einer Tennessee Fainting Goat (ja, diese Ziegen fallen vor Schreck in Ohnmacht) haben. Statt «ich bin schön»-Mantras herunterzubeten und unsere Zeit mit dem Bestaunen von Instagram-Bloggern zu verbringen, könnten wir uns eines bewusst machen: Wir schulden es niemandem, schön zu sein.

Schönheit ist subjektiv

Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Dies lässt die Body Positivity ausser Acht. Jeder hat das recht, sich selbst schön zu finden. Niemand kann aber gezwungen werden, einen spezifischen Menschentypus ästhetisch oder gar attraktiv zu finden. Es gibt in diesem Sinne kein Recht auf Schönheit. Magst du deine Hautekzeme? Nun, das darfst du natürlich, aber du kannst es von niemandem anderen erwarten, diese zu feiern.

Und noch ein Post gegen Bodyshaming.

Nicht alle Menschen mögen Sommersprossen, nicht jeder unrasierte Achselhöhlen. Und wer keinen Gefallen an grünen Augen findet; sei’s drum! Aber: Wem nicht gefällt, was er sieht, für den gilt die alte Weisheit vom leben und leben lassen. Body Shaming ist nämlich keineswegs das Gegenteil der Body Positivity, sondern einfach ein Zeichen schlechter Kinderstube.

Die Body-Positivity-Bewegung hat einen kleinen Schönheitsfehler, denn sie setzt beim Symptom ein und reproduziert den Irrtum, dass wir schön – oder zumindest enorm selbstbewusst sein müssen, um vollkommen und glücklich zu sein. 

Ein von Doris (@lalyday) gepostetes Foto am

Was der perfekte Körper ist, hat sich im Laufe der Zeit verändert - eine neue Darstellung der Mode von damals .

Wirklich befreiend wäre eine Bewegung, in der sich Blogger auf eine Ebene mit den Usern begeben würden. Anstatt zu propagieren, auf jedes Speckröllchen stolz zu sein, könnten sie dann auch ein bisschen Menschlichkeit – samt Fehlern – zeigen: So, dass wir auch mal schwach, zerzaust, pickelig oder schüchtern sein dürfen, so, dass es uns auch mal an Selbstbewusstsein und Schönheit mangeln darf, ohne dass eine Instagram-Scheinwelt suggeriert, dass wir nicht normal sind.

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67 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Menel
03.02.2017 18:53registriert Februar 2015
Das Problem des Trends ist in meinen Augen, dass wieder der Körper ins Zentrum gesetzt wird. Haben all diese Menschen nichts anderes zu bieten? Ein inspirierendes Hobby, Gedanken, Fragen, Talente?
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Menel
03.02.2017 19:08registriert Februar 2015
Ich mache an der Stelle mal einen Lobgesang auf meine Tochter. Als ich in ihrem Alter war, habe ich sehr gelitten. Zu gross, zu kurvig, zu pickelig. Das hat unglaublich an meinem Selbstwert genagt.
Aber meine Tochter nimmt das echt cool. Ihr ist das egal. Sie will einfach nur Geige spielen und programmieren. Sie hat auch einen tollen Freundeskreis von Jungs und Mädels, denen das Aussehen nicht so wichtig ist.
Als sie mir einmal beim Schminken zu sah, meinte sie, sie werde sich nie schminken, sie mag sich so wie sie ist.

Ich hoffe, sie behält diese Einstellung ein Leben lang!
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Conker
03.02.2017 18:04registriert September 2015
Als Denkanstoss: Das Problem betrifft auch Männer. Ich rede aus Erfahrung: Essstörungen, extremes Training im Gym, Kalorienzählen, kein Mut, oben ohne ins Schwimmbad zu gehen..... Bin 32 und leide noch immer an den Nachwirkungen. Betrachtet mal die Männerkörper in Werbung und TV. Nur redet man ständig nur über die Frauen. ;-) Betrifft aber beide Geschlechter. :-) Leider wird man als Mann mit Essstörungen nicht ernst genommen, weil das ja "nur Frauen" passiert.
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