Kandidiert sie noch einmal? Oder tritt sie zurück? BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hüllte sich am Tag eins nach den Parlamentswahlen in Schweigen. Sie arbeitete laut ihrer Sprecherin «ganz normal» in ihrem Büro im Bernerhof, dem Sitz des Finanzdepartementes. Wann sie ihren Entscheid kommuniziert, ist nicht bekannt: Vielleicht schon an der Bundesratssitzung von morgen Mittwoch, vielleicht erst an der BDP-Delegiertenversammlung vom 31. Oktober.
Klar ist: Kandidiert Widmer-Schlumpf erneut, ist das Risiko einer Abwahl gross. Gefahr droht vor allem aus den eigenen Reihen: Zahlreiche CVP-Parlamentarier haben angekündigt, die Bündnerin am 9. Dezember nicht mehr zu unterstützen. Dieses Mal kann sie einen grösseren Abfluss an Stimmen anders als bei den Bundesratswahlen vor vier Jahren kaum verkraften.
Die Rechnung ist simpel: 2011 hatten die Mitte- und Links-Parteien mehr als drei Dutzend Stimmen Vorsprung auf SVP und FDP. Dieser wird nach dem Rechtsrutsch im Nationalrat und dem Abschluss der zweiten Wahlgänge für den Ständerat voraussichtlich auf weniger als ein Dutzend Stimmen geschrumpft sein.
Die neue Ausgangslage ist so knapp, dass jede einzelne Stimme entscheidend wird, insbesondere jene der Abweichler. Hier sind SVP und FDP im Vorteil: Sie holten 2011 deutlich mehr Stimmen auf ihre Seite, als sie Fraktionsmitglieder hatten. SP, Grüne, Grünliberale, CVP und BDP hingegen blieben elf Stimmen unter ihrer Mitgliederzahl.
Bestätigt sich diese Tendenz am 9. Dezember, sieht es schlecht aus für Widmer-Schlumpf. Im Hinblick auf die Bundesratswahlen sind aufgrund dieser Ausgangslage mehrere Szenarien denkbar:
Aus BDP-Kreisen hörte man es in den letzten Monaten oft: Eveline Widmer-Schlumpf tritt nur wieder an, wenn sie mit einer gewissen Sicherheit wiedergewählt wird. Eine solche Garantie hat sie nun nicht. Im Gegenteil: Das Risiko einer Abwahl ist erheblich. Sollte sie zurücktreten, hat die SVP beste Chancen auf einen zweiten Vertreter.
Wahrscheinlichkeit: 40 Prozent
Gegen einen Rücktritt spricht Widmer-Schlumpfs Kampfeswille: 2007 nahm sie die Wahl in den Bundesrat trotz des massiven Drucks der SVP an. Kommt es zu einer Kampfwahl zwischen ihr und einem SVP-Kandidaten, ist aufgrund der knappen Mehrheitsverhältnisse alles möglich – auch eine Niederlage der Amtsinhaberin.
Wahrscheinlichkeit: 25 Prozent
Für den Fall einer erneuten Kandidatur arbeiten die Spitzen der Mitteparteien hinter den Kulissen mit Hochdruck an einem Rettungsplan für Widmer-Schlumpf.
Ein BDP-Vertreter fordert im Gespräch mit der «Nordwestschweiz» die Bildung einer grossen Mitte-Fraktion zusammen mit der CVP und den Grünliberalen: Diese wäre trotz der Verluste vom Wahlsonntag auf Anhieb zweitstärkste Kraft im Bundeshaus – noch vor den Sozialdemokraten. Damit wäre die Legitimation für einen zweiten Sitz im Bundesrat gegeben. Die Grünliberalen erteilten dem Vorhaben jedoch bereits gestern Nachmittag eine Absage. Auch bei Widmer-Schlumpfs BDP gibt es Skeptiker: Der Aargauer Nationalrat Bernhard Guhl sagt, er halte wenig davon, nur zur Sicherung eines Bundesratssitzes eine Fraktionsgemeinschaft einzugehen.
Die Mitteparteien sprechen deshalb auch über weniger verbindliche Formen der Zusammenarbeit, zum Beispiel gemeinsame Legislaturziele, um die Wiederwahl zu sichern.
Wahrscheinlichkeit: 20 Prozent
Gedankenspiele haben in den Wochen vor den Bundesratswahlen Hochkonjunktur. Als vorstellbares Szenario gilt daher auch die Bestätigung der BDP-Bundesrätin im Amt, verbunden mit der Wahl eines SVP-Bundesrates – auf Kosten eines FDP-Magistraten. Der würde vermutlich Johann Schneider-Ammann heissen.
Wahrscheinlichkeit: 10 Prozent
Kampflos dürften die Mitteparteien ihre Doppelvertretung im Bundesrat nicht hergeben. Für den Fall eines Rücktritts ist die Kandidatur eines CVP-Vertreters wahrscheinlich. Am Wochenende brachte die «SonntagsZeitung» die Namen des scheidenden Ständerates Urs Schwaller (FR), Ständerat Konrad Graber (LU) und Fraktionschef Filippo Lombardi (TI) als mögliche Kandidaten ins Spiel. Ihre Wahlchancen sind jedoch gering.
Wahrscheinlichkeit: 5 Prozent
(trs)