Mit dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf stellt sich die grosse Frage: Welchen Nachfolger präsentiert die SVP? SP und Grüne heizen die Diskussion um die Zusammensetzung der Regierung zusätzlich an. Sie stellen klare Forderungen: Ein Bundesratskandidat muss sich zu den Bilateralen und den Menschenrechten bekennen. Das kann die SVP kaum bieten. Zaubert die Linke also – ähnlich wie bei der Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf im Jahr 2007 – noch einen Sprengkandidaten hervor? Der damalige Coup um die Abwahl von Christoph Blocher dient als Beispiel. Doch was war damals anders? Was ist dieses Jahr realistisch? Wir spielen den Ablauf anhand einer Sprengung einmal durch.
Christoph Blocher im Bundesrat: Die Idee, dass er sich durch die Regierungsverantwortung zähmen liesse, sich dem Kollegialitätsprinzip unterordne – sie scheiterte. In seinen vier Jahren als Bundesrat brüskierte er wiederholt die Kollegen. Der SVP-Doyen sprach auch als Bundesrat in der Rhetorik als Oppositioneller. Damit übertrat er für zahlreiche Linke und Mitte-Politiker Grenzen. Auch heute sieht die Mehrheit der Linken die SVP-Politik in Blocher-Manier als unvereinbar mit einem Bundesratssitz. «Die Philosophie der SVP ist Abschottung und Entsolidarisierung. Sie wollen mit Initiativen die Menschenrechte und den Rechtsstaat beschneiden. Dieser Angriff auf die Grundwerte der Schweiz passt nicht in eine Landesregierung», sagt Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen.
Wer den SVP-Übervater aus der Regierung werfen wollte, musste die Kräfteverhältnisse genau abschätzen. Die SP diskutierte bereits im Sommer 2007 Blochers Abwahl. Die Grünen lancierten mit Luc Recordon einen eigenen Kandidaten – aus taktischen Gründen. Er sollte die SP und CVP provozieren. Das Spiel ging auf. Dass der Coup gelang, geht massgeblich auf das Zusammenspiel von SP und CVP zurück. Hinsichtlich der Bundesratswahlen an diesem 9. Dezember gibt sich die Linke bedeckt: Einig sind sich SP und Grüne, was ihre Anforderungen an den Kandidaten sind. Seine Einstellungen zu den Bilateralen sind zentral.
Die Lunte fing 2007 im Kanton Freiburg Feuer. Der designierte SP-Präsident Christian Levrat und SP-Ständerat Alain Berset kündigten bereits im Wahlkampf an, Blocher nicht mehr zu wählen. Diesen Plan trieben die beiden Freunde im Herbst voran. Weitere Verbündete kamen hinzu: der frühere Parteipräsident Hans-Jürg Fehr, die Fraktionschefin Ursula Wyss. Wer brachte die notwendige Portion Dynamit mit, damit das Parlament Blocher abwählt? Verschiedene Namen sind im Nachhinein gefallen. Nach eigenen Angaben hat der Fraktionsvize der SP, Andrea Hämmerle, den Namen von Eveline Widmer-Schlumpf ins Spiel gebracht. Der Bündner ist der Verbindungsmann zwischen ihr und der SP-Spitze.
Auf Anfrage der «Nordwestschweiz» wollen Strategen der SP und Grünen nichts zu möglichen Sprengkandidaten für die diesjährige Wahl sagen. SP-Nationalrat Jean-François Steiert – auch er aus dem Kanton Freiburg – bestätigt aber: «Es laufen Gespräche mit möglichen Kandidaten aus dem bürgerlichen Lager. Wenn die moderate Rechte nicht selbst will, dann kann man sie nicht zu ihrem Glück zwingen.»
Sprengmeister brauchen für ihr Vorhaben nicht nur einen Plan, sondern Leitungen und Dynamit. Bei der Bundesratswahl 2007 waren diese gut positioniert: Über sämtliche Fraktionen stimmten Parlamentarier für die Bündner Finanzdirektorin der SVP. Eine Art Skizze hatten die beiden Freiburger Freunde Levrat und Berset in ihrem Buch «Changer d’ére» (Beginn einer neuen Ära) nur ein halbes Jahr zuvor veröffentlicht. Darin zeigten sie auf, wie in der Schweiz eine Mitte-Links-Koalition Blochers Politik beenden kann. Ein Anliegen, das für SP und Grüne bis heute aktuell ist.
Die Wahl Widmer-Schlumpfs war von langer Hand vorbereitet. Die Überraschung gelang trotzdem: Bereits im zweiten Wahlgang schaffte sie das absolute Mehr. Am Vormittag des 12. Dezembers 2007 verkündete der Nationalratspräsident André Bugnon (SVP): «Gewählt ist mit 125 Stimmen Frau Widmer-Schlumpf.» Jubelnd rissen die Mitglieder der einen Ratshälfte ihre Hände in die Höhe. Luc Recordon streckte die Hände in Form des Victory-Zeichens in die Luft. Er hatte sich zugunsten der Bündnerin zurückgezogen. Jubel auf der einen, versteinerte Minen auf der anderen Seite. Widmer-Schlumpf war gewählt, Blocher stapfte wütend aus dem Ratssaal. An diesem 9. Dezember sind die Wahlchancen für die SVP intakt, anerkennt der Vizepräsident der SP-Fraktion, Roger Nordmann. Er sagt: «Auf mich wirkt die Partei ähnlich machtberauscht wie nach den Wahlen 2003, als Blocher in den Bundesrat gewählt wurde.» Daran dürften sich einige stören. Die Bundesratswahl ist geheim – und entsprechend für Überraschungen gut.
Die Explosion war heftig: Die Bündner SVP-Sektion und damit Widmer-Schlumpf wurden aus der SVP geworfen, die BDP entstand. Kein Regierungsmitglied wurde mehr angefeindet und gehasst als Widmer-Schlumpf. Die Sprengmeister haben die Schweiz polarisiert. Für die einen sind sie Helden, für die anderen Intriganten. Acht Jahre wirbelte der Staub. Ob er sich legen würde, wenn die SVP im Dezember einen ihr genehmen Bundesrat bekäme?