SVP-Bundesratskandidat Thomas Aeschi sieht nicht aus wie einer, der sich die Finger gerne dreckig macht. Stets im Anzug gekleidet, widmet der 36-jährige Unternehmensberater und Harvard-Absolvent seine Zeit mit Vorliebe Wirtschafts- und Finanzfragen. Wer mit ihm spricht, erlebt einen freundlichen, fast schon charmanten jungen Mann. Ein typischer Vertreter der neuen SVP-Generation. Dass Aeschi auch anders kann, zeigte sich im vergangenen Sommer.
In einem Leserbrief mit dem Titel «Kein neues Asylzentrum» machte er eine vertrauliche Bauanfrage in seiner Heimatgemeinde Baar ZG publik. Er warnte, seine Partei wehre sich dagegen, dass «nun auch mitten im Baarer Dorfzentrum Dutzende von Asylanten untergebracht werden». Und er forderte den Gemeinderat auf, «sich wie andere Gemeinderäte aus dem Aargau oder Zürich aktiv gegen noch mehr Asylanten in unserer Gemeinde einzusetzen». Der Leserbrief löste in Baar ein kleineres politisches Erdbeben aus.
Die Bauanfrage stammte von einem ortsansässigen Unternehmen, das in Baar 36'000 Quadratmeter Land besitzt. Die Firma hatte den Gemeinderat angefragt, ob auf der Wiese eine temporäre Container-Siedlung für Asylsuchende gebaut werden könnte. Eine Information, die geheim bleiben sollte, da es sich nicht um ein offizielles Baugesuch handelte. Auf unbekanntem Weg landete sie bei Aeschi.
Erzürnt über den Maulwurf in der Verwaltung, erstattete der Gemeinderat Anzeige gegen unbekannt wegen Verdachts auf Amtsgeheimnisverletzung. Das Verfahren läuft. Bundesratskandidat Aeschi musste vor zwei Wochen selber als Zeuge im Strafverfahren aussagen.
Sein Leserbrief verfehlte seine Wirkung nicht. Einen Monat nach Publikation kam es in Baar bei einer Gemeindeversammlung zur Konfrontation zwischen Gemeinderat und Bevölkerung. Die Orts-SVP stellte die Exekutive in einer Interpellation zur Rede, jedoch ohne konkrete Antworten zu erhalten.
Aeschi blieb der Versammlung fern. Ein CVP-Lokalpolitiker unterstellte ihm laut Lokalpresse «erstaunliche Dreistigkeit»; ein Vertreter der FDP sagte, er schäme sich für das, was da geschehen sei. Gemeindepräsident Andreas Hotz betonte, Baar sehe sich aufgrund der Asylkrise in Europa zu humanitärem Verhalten verpflichtet. Man sei auch bereit, die Kosten dafür zu tragen.
Ob die Container-Siedlung jemals gebaut wird, ist offen, zumal in diesem Fall nicht Behörden, sondern ein privates Unternehmen hinter den Bauplänen steht, wie Vize-Gemeindepräsident Paul Langenegger gegenüber der «Nordwestschweiz» betont. Die Bauanfrage sei mittlerweile beantwortet. Über den Inhalt dürfe er nichts sagen. «Ob die Firma ihre Pläne weiterverfolgt, wissen wir nicht.»
Bundesratskandidat Aeschi gibt sich auf Anfrage betont wortkarg: In einem E-Mail an die «Nordwestschweiz» verweist er auf seine Aussagen im gestrigen Interview mit der «Zentralschweiz am Sonntag»: «Ich wurde vor zwei Wochen als Zeuge befragt, mehr darf ich dazu nicht sagen. Aber es geht um die Anschuldigung, dass jemand aus der Verwaltung Pläne über ein neues Asylzentrum im Zentrum von Baar öffentlich machte.»
Oliver Wandfluh, Präsident der SVP Baar, sagt, das Ziel von Aeschis Leserbrief sei gewesen, dass der Gemeinderat die Bevölkerung rechtzeitig über ein allfälliges Asylzentrum informiere und nicht wie in anderen Gemeinden vor vollendete Tatsachen stelle.
Sollte Thomas Aeschi in den Bundesrat gewählt werden, darf er sich trotz der Posse um das Asylzentrum auf einen feierlichen Empfang in seiner Wohngemeinde freuen. Die Vorbereitungen für den Fall einer Wahl laufen laut Gemeinde-Vizepräsident Langenegger bereits auf Hochtouren: «Das hat Aeschi verdient.»
(aargauerzeitung.ch)