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Im TalkTäglich flogen die Fetzen. Die Aargauer Nationalräte Luzi Stamm
(SVP) und Cédric Wermuth (SP) debattierten am Montag über eine zweiten Sitz im Bundesrat für SVP, die Siegerin bei den Wahlen vom 18.
Oktober. Dabei fuhr der Sozialdemokrat grobes Geschütz auf: Wermuth
bezeichnete die SVP als «Versammlung von Antidemokraten und
Menschenfeinden». Sie gehen in die Richtung eines totalitären
Staats und greife die Menschenrechte an.
Mit seiner harten
Haltung bewegt sich Cédric Wermuth auf der Linie seiner Partei. Nach
dem Rücktritt von Eveline Widmer-Schlumpf hatte die SP in einer
Mitteilung möglichen Bewerberinnen und Bewerbern um die Nachfolge
den Tarif durchgegeben: Zu Anhörungen eingeladen werde nur, wer wie
die abtretende Bundesrätin konkordanzfähig sei und sich «unmissverständlich» zu den Bilateralen, zur europäischen
Menschenrechtskonvention und zum Grundrecht auf Asyl bekenne.
Die meisten SVP-Papabili dürften durch diesen Raster fallen. Einzelne hätten das Format, sagte Cédric Wermuth im «TalkTäglich», trotzdem werde seine Hand keinen dieser Namen auf den Zettel schreiben. SVP-Nationalrat Luzi Stamm bezeichnete die Attacken als «grenzwertig». Mit 30 Prozent Wähleranteil habe seine Partei das Recht auf zwei Sitze, so Stamm. Er verwies darauf, dass die SVP die beiden SP-Bundesräte Alain Berset und Simonetta Sommaruga gewählt habe.
Früher war das
keineswegs selbstverständlich. Lange hatten sich die Bürgerlichen
gegen eine Aufnahme der Sozialdemokraten in die Landesregierung
gewehrt und ihr später wiederholt Bundesräte aufgezwungen, die von
der Partei nicht offiziell nominiert worden waren. Cédric Wermuth und seine
Partei scheinen diesen Teil ihrer Geschichte auszublenden. «Jene
SP-Verantwortlichen, die die SVP vor die Tür setzen wollen, denken
ahistorisch und bürgerfern», schrieb der frühere SP-Nationalrat
und Preisüberwacher Rudolf Strahm im Tages-Anzeiger.
Die 1888 gegründete
SP Schweiz musste mehr als 30 Jahre warten, bis sie ihrem
Wähleranteil entsprechend im Nationalrat vertreten war. Erst mit der
Einführung der Proporzwahl 1919 war es so weit. Und mehr als 50
Jahre dauerte es, bis die Sozialdemokraten den ersten Bundesratssitz
erhielten. Während der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre waren sie
zur stärksten Partei geworden, doch erst als sie 1935 im neuen
Parteiprogramm der «Diktatur des Proletariats» abschworen und
sich zur Landesverteidigung bekannten, schwand der Widerstand der
Bürgerlichen.
Das Friedensabkommen
in der Metallindustrie von 1937 brachte die Linke der
Regierungsbeteiligung einen weiteren Schritt näher. Als die SP nach
den Wahlen 1943 die grösste Fraktion stellte, trat die FDP ihr
freiwillig einen Sitz ab. Der Zürcher Ernst Nobs wurde erster
Schweizer SP-Bundesrat. Mit der legendären «Zauberformel» von
1959 erreichte sie ihr angestrebtes Ziel von zwei Sitzen, die sie
seither ohne Unterbruch halten konnte.
Nicht immer mit
ihren Wunschkandidaten. 1959 lehnten die Bürgerlichen den
Schaffhauser Walther Bringolf wegen seiner kommunistischen
Vergangenheit ab, sie wählten den Basler Hans-Peter Tschudi. Zu
seinem Nachfolger wurde 1973 nicht der Aargauer Arthur Schmid, sondern
der Solothurner Willi Ritschard gewählt. Nach dessen Tod 1983 wollte
die SP die Zürcherin Lilian Uchtenhagen als erste Frau in den
Bundesrat wählen lassen. Nach einer wüsten Schlammschlacht voller
frauenfeindlicher Klischees machte der Solothurner Otto Stich das
Rennen.
Im Anschluss an
diese «Demütigung» liess die SP-Führung an einem
ausserordentlichen Parteitag über einen Austritt aus dem Bundesrat
abstimmen. Die Basis wollte davon nichts wissen, und seither war von
einem möglichen Exodus nur noch sporadisch die Rede, etwa 2003 nach
der Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat. Umgekehrt wird der
SP-Anspruch auf zwei Sitze im bürgerlichen Lager nur von einigen
Randfiguren bestritten. Seit der turbulenten Wahl von Ruth Dreifuss
1993 wurden nur noch offizielle Kandidatinnen und Kandidaten der SP
gewählt.
Das macht es
schwierig, den Anspruch der SVP auf zwei Sitze zu bestreiten. Cédric
Wermuth verlangt von der Blocher-Partei ein Bekenntnis zum
freiheitlichen Rechtsstaat. Man könnte darin eine Analogie zu 1935
erkennen, als die SP die Landesverteidigung akzeptieren musste.
Seither aber sind 80 Jahre vergangen, die politische Kultur hat sich
verändert. «Entscheidend für ein Regierungsmitglied ist, dass es
die Konkordanz und das Kollegialitätsprinzip respektiert und nicht
Regierungsbeschlüsse hintertreibt», bringt es Rudolf Strahm auf
den Punkt.
Eine ironische
Komponente allerdings enthält der Rückblick auf die SP-Geschichte.
Ausgerechnet jene Bundesräte, die gegen den Willen der Partei
gewählt wurden, sind heute eigentliche Ikonen der Sozialdemokratie.
Hans-Peter Tschudi baute die AHV im legendären «Tschudi-Tempo» zügig aus. Der gelernte Heizungsmonteur Willi Ritschard war wegen
seiner volksnahen Art überaus beliebt. Und Otto Stich trieb mit
seinem sturen Beharren auf einem starken, finanziell gut bestücken
Staat genau jene Bürgerlichen in den Wahnsinn, die ihn gewählt
hatten.
Die SVP könnte
daraus einiges lernen, doch sie geht mit potenziellen Abweichlern auf
eine Art um, die es in der SP niemals gab. Nach der Wahl
von Eveline Widmer-Schlumpf verfügte sie in ihren Statuten, dass
Kandidatinnen und Kandidaten, die gegen den Widerstand der Fraktion
die Wahl in den Bundesrat annehmen, zwingend aus der Partei
ausgeschlossen werden.
Der St.Galler
Rechtsprofessor Philippe Mastronardi bezeichnete diese Klausel in der
NZZ als verfassungswidrig, weil sie in die Wahlkompetenz der Vereinigten Bundesversammlung eingreife. Muss man der SVP deswegen den zweiten Sitz verweigern? Immerhin war es
die SP, die den bereits gewählten Neuenburger Francis Matthey 1993
faktisch zum Verzicht auf das Bundesratsamt gezwungen hatte, worauf
Ruth Dreifuss als Kompromisskandidatin zum Zug kam.
Vielleicht sollte
man die Sache mit der gleichen Gelassenheit wie Rudolf Strahm angehen: «Die Konkordanz, auf die sich die SVP ständig beruft,
wird auch einem SVP-Bundesrat die rechtsstaatlichen Grenzen setzen.»
Leute welche wirklich denken können. Die weiter denken als einfach "SVP ist böse".
Die sich und ihre Politik auch mal hinterfragen.
Und ja: Die auch mal gearbeitet haben und nicht vom Student direkt zum Berufspolitiker wurden.