Eine Woche vor Weihnachten waren von der CVP wenig besinnliche Töne zu vernehmen. In einem Positionspapier zu «Werten und Rechtsstaat» verlangt die Partei «Verbote und Einschränkungen für Muslime, die nichts mit Fundamentalismus zu tun haben», berichtete die «SonntagsZeitung». Dazu gehört offenbar auch ein Kopftuchverbot an Schulen.
«Kleidungsstücke, welche die Unterordnung der Frau unter den Mann symbolisieren, lehnen wir ab», heisst es gemäss der Zeitung in dem CVP-Papier. Schulen und Kindergärten seien «gesetzliche Schutzräume für das säkulare Gesellschaftsmodell». Andere Kopfbedeckungen auch religiöser Art sind der Partei egal. Ihr geht es um «den Kampf gegen den politischen Islam».
Mit dem Papier, das vom Präsidium genehmigt worden sei und vom Vorstand noch abschliessend behandelt werden müsse, setzt die Partei die Ankündigung ihres Präsidenten Gerhard Pfister in die Tat um. Nach seiner Wahl im Frühjahr 2016 hatte der Zuger Nationalrat wiederholt erklärt, die CVP müsse «eine Art christlich-abendländische Leitkultur» in der Schweiz etablieren.
Davon ist gemäss «SonntagsZeitung» nicht mehr explizit die Rede. Vielmehr gebärdet sich die CVP mit dem geforderten Kopftuchverbot als Schutzpatronin des Säkularismus. In die gleiche Richtung gehen Überlegungen für einen Religionsartikel, der «das Verhältnis zwischen Kultusfreiheit und Rechtsstaat regelt», wie Gerhard Pfister gegenüber der Zeitung erklärte.
Die CVP plant offenbar, diesen Religionsartikel als Gegenvorschlag zur Burkaverbotsinitiative einzubringen. Dabei geht es gemäss Parteipräsident Pfister nicht um die Einschränkung der Religionsfreiheit, sondern allenfalls um eine «Einschränkung von Handlungen, die religiös begründet werden, und die rechtsstaatlich oder gesellschaftlich/kulturell problematisch sind».
Eine interessante Formulierung. Sie liefert den Anstoss für kühne Gedanken. Denn nicht nur der Islam hat in dieser Hinsicht ein Problem. Sondern auch die römisch-katholische Kirche, die ihre Priester mit dem Zölibat zur Ehelosigkeit zwingt und Frauen das Priestertum verbietet. Beides ist in Pfisters Worten «rechtsstaatlich oder gesellschaftlich/kulturell problematisch».
Und das ist noch nett formuliert. Tatsächlich verstösst die katholische Kirche mit diesen Dogmen auf flagrante Weise gegen die Bundesverfassung. In Artikel 14 steht klipp und klar:
Auch Artikel 8 lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:
In der Realität lässt die Umsetzung zu wünschen übrig, insbesondere bei der Lohngleichheit. Das Arbeitsverbot für Priesterinnen, das der Vatikan verhängt hat, geht jedoch weit über das in einer «Grauzone» allenfalls Zulässige hinaus. Es gibt heutzutage Rabbinerinnen und weibliche Imame, auch wenn sie vorwiegend in den liberalen Strömungen ihrer Religion tätig sind.
Noch übler ist das Pflichtzölibat. «Sexualität mit religiösen oder moralischen Geboten zu unterdrücken, ist ein Verbrechen an der Menschheit», meint watson-Blogger Hugo Stamm. Viele Priester befinden sich in einem Gewissenskonflikt. «Sie halten sich eine heimliche Geliebte, was die betroffenen Frauen oft in schwere seelische Not versetzt. Oder sie vergreifen sich an Kindern», schrieb ich vor einem Jahr in einem Kommentar über das unsägliche Niveau der Burkadebatte.
«Ich habe mit verschleierten Frauen erheblich weniger Mühe als mit priesterlichen Kinderschändern. Dennoch finde ich, die katholische Kirche muss dieses Problem selber lösen», schrieb ich damals weiter. Das Papier der CVP lässt mich davon Abstand nehmen. Fragt sich nur, ob die Schweiz eine globale Institution wie die katholische Kirche mit Hauptsitz in Rom dazu zwingen kann, das Zölibat abzuschaffen und Frauen zum Priesteramt zuzulassen.
Ich denke, sie kann! Denn in der Schweiz beansprucht der römische Katholizismus den Status einer Landeskirche, inklusive Steuerprivileg. Geregelt ist dies kantonal. Einzig in Genf und Neuenburg, wo Religion und Staat nach dem Vorbild des französischen Laizismus getrennt sind, müssen sich die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften privatrechtlich organisieren.
Wer aber vom Staat einen privilegierten Status erhält und von ihm Steuern einziehen lässt, der müsste auch das Regelwerk dieses Staates anerkennen. Also die Bundesverfassung.
Natürlich könnte sich die katholische Kirche bei Zölibat und Frauenpriestertum auf das Gewohnheitsrecht berufen. Doch auch das muss kein Hindernis sein. Als die Landsgemeinde in Appenzell Innerrhoden 1990 zum wiederholten Mal Nein zum Frauenstimmrecht sagte, setzte sich das Bundesgericht über dieses Gewohnheitsrecht hinweg und zwang die Innerrhoder mit Verweis auf den Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung, den Frauen das Stimmrecht zu gewähren.
Ich bin kein Jurist, und es ist wie gesagt nur ein Gedankenspiel. Aber es ist eine reizvolle Vorstellung, dass ausgerechnet die CVP mit ihrem Religionsartikel ungewollt dazu beitragen könnte, die Priester – und ihre verdeckt lebenden Partnerinnen und Partner – vom Zwang zur Ehelosigkeit zu befreien und Frauen die Weihe zur Priesterin zu ermöglichen.
Trotz zahlreicher Versuche ist es der CVP nie wirklich gelungen, ihre Wählerbasis über das katholische Milieu hinaus zu erweitern. Was zur Folge hat, dass diese Basis genauso schrumpft wie besagtes Milieu (ich bin selber ein ehemaliger Katholik). Gerhard Pfister versucht diesen Trend umzukehren, indem er auf den Islam einprügelt. Am Ende könnte er das eigene Fundament treffen.
Aber eben, vorläufig sind das nur einige festtägliche Hirngespinste. In diesem Sinne: Frohe Weihnachten, liebe CVP.