Die SVP hat ihren jüngsten Angriff auf die internationale Vernetzung der Schweiz lanciert. Angeführt von Chefstratege Christoph Blocher präsentierte sie am Dienstag den Text ihrer Volksinitiative «Schweizer Recht geht fremdem Recht vor». Darin ist festgehalten, dass die Bundesverfassung «oberste Rechtsquelle» der Eidgenossenschaft sein muss und über dem Völkerrecht steht. Einzige Ausnahme sind die «zwingenden Bestimmungen» des Völkerrechts.
Was aber ist damit gemeint? Die SVP verweist auf das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 1969. Darin ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts definiert als «eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird». Ein oft genanntes Beispiel ist die Charta der Vereinten Nationen und das darin enthaltene allgemeine Gewaltverbot.
Allerdings besteht keineswegs Einigkeit darüber, welche Bestimmungen genau unter zwingendes Völkerrecht fallen. Die SVP hat in ihrer Durchsetzungsinitiative, mit der sie die wortgetreue Umsetzung ihrer 2010 vom Volk angenommenen Ausschaffungs-Initiative erzwingen will, eine eigene Definition formuliert: «Als zwingendes Völkerrecht gelten ausschliesslich das Verbot der Folter, des Völkermords, des Angriffskrieges, der Sklaverei sowie das Verbot der Rückschiebung in einen Staat, in dem Tod oder Folter drohen.»
Kommt nicht in Frage, befand das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Es hat letztes Jahr beantragt, diesen Satz für ungültig zu erklären. Die Schweiz könne nicht von sich aus definieren, was zwingendes Völkerrecht sei, erklärte Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Vor allem die Beschränkung des Rückschiebungsverbots auf Tod oder Folter sei nicht zulässig. Man dürfe ebenfalls niemanden in einen Staat ausschaffen, in dem Verfolgung oder eine grausame und unmenschliche Behandlung oder Bestrafung drohen, betonte die Justizministerin.
Auch wenn eine klare Doktrin fehlt, so gibt es doch eine allgemeine Übereinkunft, was zum zwingenden Völkerrecht zählt: Das Verbot von Angriffskriegen, Völkermord, Folter, Sklaverei, Piraterie, erniedrigender oder unmenschlicher Strafe oder Behandlung sowie das humanitäre Kriegsvölkerrecht. Auffällig ist, das wesentliche Grundrechte nicht als zwingend erachtet werden: Meinungs- und Gewissensfreiheit, das Recht auf ein faires Verfahren oder der Schutz der Privatsphäre.
Enthalten sind sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Sie wurde 1974 von der Schweiz ratifiziert, was der SVP heute nicht mehr in den Kram passt. «Wir haben nichts gegen die Menschenrechtskonvention, so wie sie beschlossen worden ist», erklärte Christoph Blocher im Interview. Störend sei, was daraus gemacht wurde. Gemeint ist die Rechtsprechung des Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die sich zunehmend vom Vertragstext entferne.
Konkret will die SVP verhindern, dass die «fremden Richter» in Strassburg das Minarettverbot aufheben oder die Ausschaffung von kriminellen Ausländern auch bei Bagatelldelikten torpedieren. Die Schweiz müsse deshalb einen Vorbehalt zur EMRK anbringen – was nach Ansicht von Rechtsexperten nicht möglich ist – oder sie ganz kündigen. Die am Dienstag vorgestellte Volksinitiative wäre demnach eine Art Vorgeplänkel, das zu diesem Ziel führen soll.
Mit Folgen, die vielleicht nicht einmal im Sinne der Erfinder sind: Ohne den «Schutzwall» der EMRK könnte das Volk nicht nur ein Minarett- oder Burkaverbot beschliessen, sondern gleich ein Verbot des Islam. Es könnte die Todesstrafe einführen, die Pressezensur oder andere Einschränkungen der Meinungsfreiheit. Auch das Recht auf ein Privatleben könnte massiv beschnitten werden.
Weitere Beispiele liessen sich mühelos finden. Christoph Blocher wiegelt ab: «Das Schweizervolk hat in den vergangenen 150 Jahren keine Katastrophen beschlossen, das kann man von den Politikern umliegender Länder nicht behaupten.» Fest steht: Bei einer Kündigung der EMRK befände sich die Schweiz in der Gesellschaft genau eines anderen Landes: Weissrussland, bekannt als letzte Diktatur Europas.
Und um ehrlich zu sein: Zu einem Volksmehr, was so destruktiv mit Problemen umgeht, wie es sich aktuell zeigt (auch, aber nicht nur mit Veränderungen, die nicht problemfrei verlaufen und mit Verzicht, der sich aus einer Zusammenarbeit ergibt), habe ich nicht wirklich viel Vertrauen.
Aber die Aussage passt ins Parteikonzept.