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«Weltwoche»-Autor hat (auch) bei watson abgekupfert

«Weltwoche»-Autor hat (auch) bei watson abgekupfert

Die NZZ hat sieben «Weltwoche»-Beiträge von Tom Kummer bezüglich Plagiate unter die Lupe genommen. Mit beunruhigendem Resultat. Für den «Weltwoche»-Verleger und SVP-Nationalrat Roger Köppel sei die Lage brisant.
09.07.2016, 13:3009.07.2016, 15:55
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Die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) berichtet am Samstag über Plagiate in der «Weltwoche» und dem Magazin «Reportagen». Verfasser der unter die Lupe genommenen Beiträge war immer der Schweizer Journalist Tom Kummer.

Kummer ist kein unbeschriebenes Blatt. Um die Jahrtausendwende hatte er mit fiktiven Prominenten-Interviews einen internationalen Medienskandal ausgelöst. Nach mehreren Jahren Pause kehrte er als Journalist zurück.

NZZ-Redaktor Boas Ruh hat nun sieben in der «Weltwoche» erschienene Kummer-Texte mithilfe von Online-Tools untersucht und bei allen sieben plagiierte Textstellen gefunden.

Im aktuellen NZZ-Artikel schreibt Ruh, dass auch das Newsportal watson vom «Copy-Paste-Journalismus» betroffen sei. Konkret geht es laut dem NZZ-Redaktor um einen Artikel, der in der «Weltwoche»-Ausgabe 35/2014 publiziert wurde. In «Revolution aus der Flimmerkiste» sei ein Abschnitt aus einem Artikel von watson-Autorin Simone Meier übernommen worden.

Der «Weltwoche»-Artikel, erschienen in der Ausgabe vom 28. August 2014

Der Beitrag ist auf der «Weltwoche»-Website verfügbar.
Der Beitrag ist auf der «Weltwoche»-Website verfügbar.

Simone Meiers Original-Beitrag, der im März 2014 bei watson erschien

Bild
screenshot: watson.ch

Hier der Original-Abschnitt ...

«The Sopranos», «Six Feet Under», «The Wire» sind die grossen, wichtigen, gesellschaftskritischen HBO-Erzählungen unserer Zeit. Daneben gibt es aber auch historischen Bombast, von «Rome» bis zum Prohibitions-Epos «Boardwalk Empire», und natürlich Fantasy-Formate von «True Blood» bis zu «Game of Thrones». Und immer wieder wilde Ausreisser wie «Girls», dieser erfrischende Punkrocker unter den Serien. Das ist HBO, wie wir es kennen.

... und so steht's in der «Weltwoche»:

«The Sopranos», «Six Feet Under» oder «The Wire» sind die grossen gesellschaftskritischen HBO-Erzählungen unserer Zeit. Dazu gibt es historischen Bombast, von ­«Rome» bis zum Prohi­bitions-Epos ­«Boardwalk Empire», Fantasy-Formate von «True Blood» bis «Game of Thrones», wilde Ausreisser wie «Girls», den Punkrocker unter den US-Serien ...

Von der «Kunstfreiheit geschützt»

Und wie verteidigt sich der beschuldigte Plagiator?

Auf die übernommenen Textstellen angesprochen, bezeichnet Kummer seine Texte als «Sampling», das von der Kunstfreiheit geschützt sei. «Musiker, Maler und Literaten haben sich schon immer aus dem kulturellen Fundus bedient, zwischen Hommage und Abgrenzung, Zitat und Reformierung.»
quelle: nzz.ch

Und weiter:

Er habe seine Arbeitsweise immer in einem Kunst-Zusammenhang gesehen, sagt Kummer. «Quellenangaben halte ich für ästhetisch störend, und sie hemmen den Lesefluss», erklärt er und zitiert den Soziologen und DJ Georg Fischer (natürlich ohne Quellenangabe): «Das Neue entsteht nicht aus dem Nichts, sondern leitet sich aus dem Fundus des Vorhandenen ab.»
quelle: nzz.ch

Die NZZ erinnert im aktuellen Beitrag daran, dass Kummer schon nach dem Auffliegen der gefälschten Interviews Ende der 90er-Jahre zu einer ähnlichen Rechtfertigung gegriffen habe. Damals bezeichnete Kummer seine Texte «als Kunstform, die nicht den Regeln des Journalismus zu folgen hätten».

Und was sagt Köppel?

Brisant sei die Lage für den «Weltwoche»-Verleger und SVP-Nationalrat Roger Köppel, schreibt die NZZ. Köppel habe bereits in seiner Zeit beim «Tages-Anzeiger»-Magazin Kummers gefälschte Reportagen gedruckt.

«Die ‹Weltwoche› toleriert keine journalistischen Fehlleistungen, sondern sanktioniert sie. Tom Kummer schreibt seit längerem nicht mehr für die ‹Weltwoche›.»
«Weltwoche»-Chef Roger Köppel
quelle: nzz.ch

Tatsächlich liege Kummers letzter «Weltwoche»-Text zwei Jahre zurück, konstatiert die NZZ. 

Weshalb Kummer auch noch in der neusten «Weltwoche» im Impressum als redaktioneller Mitarbeiter aufgeführt sei, habe Köppel nicht beantworten wollen. Auf der «Weltwoche»-Website sei Kummers Name kurz nach Kontaktaufnahme der NZZ verschwunden.

Nicht der erste Fall

Kummers Plagiate seien nicht der erste Fall dieser Art für die «Weltwoche», erinnert die NZZ. Vor einem Jahr habe Auslandredaktor Urs Gehriger für Aufsehen gesorgt. Für seine Analysen habe er sich ebenfalls bei fremden Texten bedient, wie die «NZZ am Sonntag» aufdeckte.

Es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, dass die «Weltwoche» 2005 über das gescheiterte Comeback des Schweizer Journalisten Tom Kummer berichtete ...

Bild
screenshot: weltwoche.ch

Bestürzt über die neu entdeckten Kummer-Plagiate zeigte sich laut NZZ der Chefredaktor des Magazins «Reportagen», das nun ebenfalls mit einem Image-Schaden zu kämpfen hat. Kummers Vorgehensweise sei «absolut unzulässig», wird Puntas Bernet zitiert. Kummer habe ihm versprochen, sich ausschliesslich an die Fakten zu halten. Leider sei er enttäuscht worden.

Journalistische Pflicht

Wenn Journalisten bei anderen Journalisten abschreiben, dann muss transparent zitiert werden. Wer fremde Formulierungen übernimmt, ohne den Urheber zu nennen, begeht hingegen ein Plagiat. Das ist nicht nur branchenintern verpönt, sondern verstösst gegen die journalistischen Pflichten, wie der Schweizer Presserat betont.

«Sie begehen kein Plagiat.»
Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalistenquelle: presserat.ch

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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Shin Kami
09.07.2016 14:05registriert Juni 2016
Die Verteidigung des Herren, dass Kopieren künstlerische Freiheit sei, ist Blödsinn. Ein Journalist ist kein Künstler! Er soll Tatsachen beschreiben und das gefälligst mit eigenen Worten tun.
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Hans Oberlander
09.07.2016 14:44registriert Juni 2016
Dachte Kummers Vorgeschichte würde ihn im journalistischen Umfeld dauerhaft zur Persona non grata machen. Fool me twice, shame on me. Fahrlässiges Verhalten der «Weltwoche» und von «Reportagen».
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Glögglifrösch
09.07.2016 14:48registriert Mai 2015
Ein journalistischer Kummer-Bub sozusagen...
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