Ein Musikpirat teilt seine Dateien auf einem Google-Konto. Ein Mädchen mobbt ein anderes auf Snapchat. Ein Islamist kommentiert ein Hinrichtungsvideo auf Facebook. Drei Fälle, eine Gemeinsamkeit: Wollen Strafverfolgungsbehörden Details darüber erfahren, sind sie auf Informationen von US-Konzernen angewiesen. Wer hat das Online-Konto registriert? Von welcher IP-Adresse aus wird es benutzt? Zu welchen Zeiten war der User aktiv?
Die meisten Anfragen für die Herausgabe von Nutzerinformationen stellen Schweizer Behörden an Apple und Google. Bei Apple geht es zum Beispiel um die Lokalisierung von iPhones oder um Geldflüsse auf iTunes, bei Google etwa um die Identifizierung von Gmail-Nutzern oder von Youtubern. Beide Firmen weisen für das erste Halbjahr 2017 einen Schweizer Rekord aus: Apple hat 342 Datenanfragen von hiesigen staatlichen Stellen erhalten. Das sind in einem halben Jahr mehr als im gesamten Jahr 2016 und entspricht fast zwei Anfragen pro Tag. Google weist 150 Schweizer Gesuche für das erste Halbjahr aus. Das sind fünfzig Prozent mehr als in der vorangehenden Periode.
In der Mehrheit der Fälle erhalten die Schweizer Behörden zumindest einen Teil der gewünschten Daten. Apple geht auf vier von fünf Gesuchen aus der Schweiz ein. Google akzeptiert zwei Drittel. Die Erfolgsquoten sind stabil oder steigend.
In regelmässigem Austausch stehen Schweizer Ermittler zudem mit Microsoft. Im ersten Halbjahr 2017 registrierte der Konzern 80 Anfragen aus der Schweiz, zu 50 lieferte er Daten. Facebook publiziert die neusten Zahlen erst in den nächsten Tagen, wies zuletzt allerdings eine sehr tiefe Erfolgsquote für Schweizer Behörden aus. Von 50 Anfragen im zweiten Halbjahr 2016 beurteilten Facebook-Juristen nur jede vierte als gerechtfertigt.
Der Absender der Datenanfragen ist in den meisten Fällen das Bundesamt für Polizei (Fedpol). Die Polizeibehörde stellt sie für eigene Ermittlungen, bei denen es um Terror, Staatsschutz, Korruption oder Geldwäscherei geht, sowie als Koordinationsstelle für Verfahren von kantonalen Behörden, zum Beispiel bei Cyberbetrugsfällen. Sprecherin Cathy Maret bestätigt, dass die Gesuche zugenommen haben. Meistens wollten die Ermittler die IP-Adresse zu einem Benutzernamen oder einer Mailadresse wissen, um herauszufinden, wer dahinter stecke.
«Kriminelle kommunizieren wie alle Leute immer öfter digital. Deshalb werden digitale Spuren vor Gericht zunehmend als Hauptbeweismittel verwendet», sagt Maret. Die Fedpol-Spezialisten hätten mit ihren Datenanfragen immer mehr Erfolg, nicht weil die Konzerne besser kooperieren würden, sondern weil die Ermittler mehr Erfahrung hätten: «Sie wissen inzwischen besser, was sie fragen müssen, damit sie eine Antwort kriegen.»
Die Amerikaner geben Daten nur für Delikte heraus, die sowohl in der Schweiz als auch in den USA strafbar sind. Ein Problem ist dies bei Ehrverletzungen, die in der Schweiz strafrechtlich verfolgt werden, in den USA aber auf dem Zivilweg gelöst werden. Zudem ist die Meinungsfreiheit in Amerika umfassender und schützt auch Gewaltverherrlichungen, die in der Schweiz verboten sind.
Die transatlantischen Datenlieferungen waren dieses Jahr zwar so umfangreich wie nie zuvor. Bis die Informationen ankommen, verstreicht aber viel Zeit. Stephan Walder, Leiter des Zürcher Kompetenzzentrums für Cybercrime, sagt: «Heute dauert es mindestens drei Monate, bis wir eine Antwort aus den USA erhalten. Dabei würden wir sie innert Minuten oder Tagen benötigen.» Manchmal dauere es sogar anderthalb Jahre. Wenn die Schweiz eine Chance haben wolle bei der Bekämpfung von Cybercrime, müsse die Rechtshilfe vereinfacht und beschleunigt werden.
Der Zürcher Staatsanwalt fordert: «Am besten wäre für uns, wenn wir die Daten bei einer Schweizer Niederlassung der Social-Media-Konzerne in Echtzeit abfragen könnten. Technisch wäre das wohl schon heute möglich.» Doch das Bundesgericht entschied vor einem Jahr, dass Schweizer Vertretungen von Google und Facebook keine Daten herausgeben müssen. Die Ermittler müssen beim Hauptsitz vorstellig werden. SP-Präsident Christian Levrat reichte darauf einen Vorstoss für eine neue Gesetzesvorschrift ein, die der Bundesrat aber ablehnt. Der Vorschlag sei nicht umsetzbar. Derzeit wird er von der Rechtskommission beraten. Sollte er durchkommen, würden die Rekordwerte von heute weit übertroffen. Aus dem Datenfluss würde eine Datenflut werden.