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Erreicht der Facebook-Skandal die Schweiz? «Alle warten auf die Viral-Partei SVP»

epa06617336 Cambridge Analytica's sign at their offices in London, Britain, 21 March 2018. Britain's Information Commissioner Elizabeth Denham has applied for a warrant to search the offices ...
Bild: EPA/EPA
Interview

Erreicht der Facebook-Skandal die Schweiz? «Alle warten auf die Viral-Partei SVP»

Nach den jüngsten Enthüllungen um die angeblichen Wahlkampfeinmischungen von Cambridge Analytica stellt sich die Frage, ob auch hierzulande Ähnliches passieren könnte. Kampagnenchef Daniel Graf warnt im Hinblick auf die Wahlen 2019 vor einer «Wild-West-Stimmung» und fordert stärkere Regulierungen im Netz.
22.03.2018, 11:3122.03.2018, 11:59
William Stern
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Herr Graf, nächstes Jahr sind nationale Wahlen, ist die Schweizer Demokratie durch Facebook & Co. bedroht?
Lassen Sie mich kurz ausholen: Wahlen katapultieren das Schweizer Politsystem in eine nächste Ära, vor allem Parteien und parteinahe Organisationen investieren grosse Geldbeträge und Budget in technologische Innovationen. 2015 war Social Media Neuland, damals wurde erst zögerlich Geld investiert, Kanäle genutzt. Nur: Im Unterschied zu heute hat man damals nicht systematisch Daten gesammelt, veredelt und für politische Kampagnen eingesetzt. Ich erwarte, dass vor allem grössere Parteien massiv aufrüsten werden und bei kommenden kantonalen Wahlen zum Beispiel die neuen technologischen Möglichkeiten – spricht die Verknüpfung von bestehenden Datensätzen mit Social-Media-Kanälen – testen werden.

Kantonale Wahlen als Testläufe für die nationale Wahl? Das kann man so sagen. Einzelne Parteien, zum Beispiel die SP Schweiz, sind auch schon weiter.  Die SP hat in den letzten Jahren eine nationale Datenbank aufgebaut. Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die gefährlichste Kombination sind Geld und Daten, weil dann der Hebel viel grösser ist. Da geht es dann nicht mehr darum, mögliche Wähler und Sympathisierende zu mobilisieren, wie das zum Beispiel bei der Bernie-Sanders-Kampagne der Fall war, sondern man klotzt mit Online-Werbung, trägt vielleicht gar zur Desinformation bei.

Dani Graf Bild: Eva Stuker
bild: Eva Stuker
Zur Person
Daniel Graf ist Campaigner und Mitbegründer der Online-Plattform Wecollect und Mitglied der Grüne-Partei.

Wie sieht es denn bei den anderen Parteien aus?
Ein Akteur, auf den alle warten, ist die Viral-Partei SVP ...

Die SVP eine Viral-Partei?
Ja, im Netz ist die SVP die mit Abstand stärkste Partei, obwohl sie gar nicht so viel macht. Gerade auf Social Media hat die SVP mit ihrer Themenbewirtschaftung eine massive Überpräsenz. Sie ist fast gleich stark wie alle anderen Parteien zusammen. Und doch kann man sagen, dass die SVP hat den Sprung ins Digitale Zeitalter noch nicht gemacht hat.

Die SVP hat doch schon im letzten Wahlkampf auf digitale Mittel gesetzt ...
2015 hat die SVP vor allem den Gaga-Wahlkampf betrieben, diese helvetischen High-End-Videos. Damals hat es die Partei geschafft, ihr Image zu verändern, sie wurde jünger, offener, urbaner, was ihr niemand zugetraut hätte. Mit Social Media kann sie die Mittel jetzt noch besser nutzen. Die Fussvolkmobilisierung findet dann nicht mehr nur im Sääli und beim Buurezmorge statt, sondern im Netz und insbesondere auf Facebook.

«Die Datenbanken sind hungrig, sie wollen gefüttert werden mit neuen Informationen.»

Sie haben auf Ihrem Blog-Beitrag von den Gefahren von Facebook und Twitter für die Demokratie geschrieben ...
Die Social-Media-Kanäle selber bedrohen die direkte Demokratie nicht, sondern mächtige, teilweise ruchlose Akteure mit viel Geld, die diese Kanäle bespielen. Das ist heute bei den klassischen Abstimmungsschlachten nicht viel anders. Wirtschaftsnahe Parteien schaffen es, die Schweiz bis in den hinterletzten Chrachen mit Plakaten zuzupflastern. Im Netz kann sie intelligenter schalten, indem man nicht nur ein Plakat für die ganze Schweiz, sondern verschiedene Plakate mit unterschiedlichen Sujets schaltet und so unterschiedliche Zielgruppen abholen kann. Kurz: Früher hat man Millionenbeträge für Inserate und Plakate ausgegeben. Heute wird ein immer wachsender Teil für Online-Marketing ausgegeben ...

Relativieren Sie da nicht ein bisschen stark? Das Problem ist doch gerade, dass bei Microtargeting, Dark Ads etc. null Transparenz vorhanden ist, während ein Plakat zwingend wahrgenommen wird, ausser Sie hängen es in der eigenen Stube auf.
Was die Diskussion um Cambridge Analytica aufgezeigt hat ist, dass im Netz eine Wild-West-Stimmung herrscht. Bis jetzt läuft es in der Schweiz so: Wenn die einzelnen Parteien ihr Vorgehen transparent machen, dürfen sie fast alles machen mit Nutzer-Daten. Das ist eine Unsitte. Auf Kampagnenwebseiten kann man zum Thema Datenschutz einen Beipackzettel lesen, der in einem Fachchinesisch geschrieben ist, sodass der normale Bürger keine Chance hat, das zu verstehen. Diese Informationen werden meist weggeklickt in der Hoffnung, dass sich die Nebenwirkungen nicht als so gravierend herausstellen. Darüber müssen wir reden.

Welche Nebenwirkungen?
Die Datenbanken sind hungrig, sie wollen gefüttert werden mit neuen Informationen. Informationen, die personenspezifisch zugeschnitten sind. Skeptisch bin ich bei Social-Media-Matching oder Facebook-Pixeln auf Webseiten, um nach einem Besuch gezielt Werbung zu schalten. Diese Möglichkeiten sind heikel.

Der Datenschutzbeauftragte hat Ende Jahr Richtlinien erlassen. Gehen diese in die richtige Richtung?
Ja, die Dokumentationspflicht ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber ich hätte mir gewünscht, dass der Datenschutzbeauftragte klarere Regeln erlässt. Das Problem ist, dass keine Grenzen gesetzt werden. Das einzige, was eine Partei heute stoppen kann, ist ein Skandal. Mit der technologischen Revolution ist ein Preiszerfall bei den Kampagnenwerkzeugen einhergegangen, der es den Parteien schwierig macht, zum Datenstaubsaugen Nein zu sagen. In dem Sinne ist es wünschenswert, dass jetzt überhaupt mal darüber geredet wird, rechtzeitig vor dem Wahlkampf. Aus meiner Erfahrung sind Behörden und Politik viel zu langsam, die Informationen liegen ja seit Jahren auf dem Tisch.

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Wenn die Behörden und die Politik untätig bleiben: Wer ist jetzt in der Verantwortung?
Eine Lösung wäre aus meiner Sicht eine verbindliche Deklaration von grossen Parteien, eine Art öffentliche Erklärung mit Spielregeln für Online-Kampagnen. À la: ‹Im Wissen darum, was alles möglich ist, verzichten wir auf diese Möglichkeiten und machen diesen Verzicht transparent.› Es gibt durchaus Leute in allen Fraktionen, denen bewusst ist, dass die nächste Wahl nicht alles ist und es längerfristige Konsequenzen zu bedenken gilt.

«Das Online-Publikum hat dazugelernt, es gab auch in der Schweiz einen kulturellen Wandel.»

Aber selbst wenn die grossen Parteien sich darauf einigen, diese Möglichkeiten nicht zu nutzen: Das Beispiel der sogenannten Kampagne 19 hat doch gezeigt, dass man auch als Privatperson im Netz für gehörig Aufmerksamkeit sorgen kann.
Man sollte nicht mit Kanonen auf Spatzen schiesst. Der grösste Effekt dieser teilweise verdeckten Operationen von radikalen Trolls wird durch die Medien erzielt. Indem Journalisten darüber berichten, geben sie diesen Personen eine Bühne. Wenn über Provokationskampagnen nicht berichtet wird, dann erzielen sie auch keine Wirkung.

Sie geben also Entwarnung.
Ich gebe Entwarnung in dem Sinne, dass von keiner politischen Partei in der Schweiz bekannt ist, dass sie eine App eingesetzt hat im Stil von Cambridge Analytica. Ausserdem nehme ich die Bevölkerung hierzulande auch als sehr wachsam wahr. Normale Facebook-User sind keine Schafe und durchaus kritisch, was Inhalte und Quellen betrifft. Niemand will im Freundeskreis unbewusst Falschnachrichten weiter verbreiten. Und das Online-Publikum hat dazugelernt, es gab auch in der Schweiz einen kulturellen Wandel. Die politische Kultur, die Wachsamkeit und Erfahrung hat massiv zugenommen. Jeder kennt den Begriff Fake-News. Man weiss heute, wem man Daten gibt.

«Bei Obama hat man mit grossen Augen zugeschaut, wie digitale Technologie in der Politik eingesetzt werden kann. Bei Trump ist das anders.»

Ist das nicht ein Widerspruch? Vorhin haben Sie von den Nebenwirkungen gewarnt und den in Fachchinesisch formulierten Beipackzetteln.
In Bezug auf Facebook und politische Kampagnentools ist das korrekt. Das ist ein Grundsatzproblem. Auf der anderen Seite ist es eben auch eine Realität, dass Leute nicht aufgehört haben, Parteien freiwillig ihre Daten zu überlassen. Es geht dabei um Vertrauen. Die SP hat beispielsweise meine Handynummer in ihrer Datenbank, obwohl ich nicht Parteimitglied bin. Wenn ich nun plötzlich komische SMS bekommen würde, dann würde ich intervenieren und sofort die Löschung verlangen. Politische Akteure, Parteien, Organisationen leben vom öffentlichen Vertrauen. Und wenn nun eine Partei X eine Plattform aufsetzt, mit der sie massiv Daten absaugt von Facebook, dann hat sie diesen Bonus verspielt.

So wie die Republikaner in den USA?
Die Wahl von Trump hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Obwohl Trump kampagnentechnisch gar nichts anderes gemacht hat als Obama vier Jahre vor ihm, vielleicht mit ein bisschen mehr Geld.

Der Aufschrei hätte also schon bei der Wahl von Obama kommen können?
Ja, nur hat man damals mit grossen Augen zugeschaut, viele waren schlicht fasziniert davon, wie digitale Technologie in der Politik eingesetzt werden kann. Bei Trump ist das anders.

Und in der Schweiz?
Die missbräuchliche Verwendung von Facebookdaten könnte auch in der Schweiz passieren. Vielleicht würde man es schneller merken. Die Schweizer haben sich an Plakatwände von Dübendorf bis Bern gewöhnt, aber noch nicht daran, dass Millionen für Werbekampagnen auf Facebook eingesetzt werden. Wenn nun eine Partei Millionen im Netz investiert und dazu Psychoprofile mit Hunderten von massgeschneiderten Botschaften einsetzt, dann wäre das auffällig. Irgendwann stösst auch Politmarketing an seine Grenzen. Diese Grenze wird im kommenden Jahr wohl ausgelotet.

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