Es wäre alles so viel einfacher: Die FDP hätte bald zwei frische, unverbrauchte Zugpferde in der Landesregierung. Nicht nur das vernachlässigte Tessin, auch die wehklagende Ostschweiz bekäme eine Chance, wieder im Bundesrat vertreten zu sein. Dafür wäre die Übervertretung des Kantons Bern passé. Und die FDP-Frauen – seit dem Rücktritt Elisabeth Kopps ohne Vertretung im Bundesrat – kämen ebenfalls zum Handkuss.
Seitdem der Neuenburger Didier Burkhalter (57) angekündigt hat, nach acht Jahren im Amt den Hut zu nehmen, werden die Stimmen lauter, die seinen Parteikollegen Johann Schneider-Ammann dazu auffordern, es ihm gleichzutun. Acht Jahre älter als Burkhalter und weitaus häufiger kritisiert, wäre Schneider-Ammann für die meisten Beobachter der plausiblere Rücktritts-Kandidat gewesen.
«Würden Burkhalter und Schneider-Ammann gemeinsam zurücktreten, wäre das für ihre Partei befreiend», schreibt Politikberater Mark Balsiger in seinem Blog. Die FDP könnte sich in dem Fall mit einem «Schaulaufen von Genf bis Rorschach und von Basel bis Mendrisio inszenieren», mit einem neuen Duo und «viel Schwung» ins Wahljahr 2019 starten. «Wie ungleich besser wäre diese Partei beispielsweise aufgestellt mit Ständerätin Karin Keller-Sutter und Staatsrat Pierre Maudet!»
Balsigers Fazit ist bitter für den Wirtschaftsminister: «Der Ball liegt bei Schneider-Ammann. Er könnte Dynamik auslösen – zum ersten Mal als Politiker.» In dieselbe Kerbe schlägt ein Bundeshausredaktor der «Aargauer Zeitung» in einem Kommentar: «Die aktuelle Situation bietet Johann Schneider-Ammann ein kurzes Zeitfenster für einen beherzten Schritt mit grosser Wirkung», schreibt er, um im Anschluss die Vorteile eines Doppelrücktritts für die Zusammensetzung der Regierung aufzuzählen.
Denn: Die FDP machte nach der Rücktrittserklärung Burkhalters unmissverständlich klar, dass sie an der Tradition festhalten will, wonach sie ihre beiden Sitze in der Landesregierung mit Vertretern unterschiedlicher Landesteile besetzt. Dies, obwohl derzeit drei Romands im Bundesrat sitzen – einer mehr als üblich. Dass der neue FDP-Magistrat aus der lateinischen Schweiz stammen muss, schränkt den Handlungsspielraum der Partei entsprechend ein.
Vieles spricht aber gegen die «Durchzugs-These» (NZZ), wonach der von Burkhalter ausgelöste Windstoss gleich auch Schneider-Ammann aus dem Amt fegen könnte. «Ich habe nicht vor, mich zurückzuziehen», sagte Schneider-Ammann bereits im Dezember zum Abschluss seines Jahrs als Bundespräsident vor den Medien. Und trotzte damit den zahllosen Medienberichten, die ihn als «ausgelaugt», «schwächelnd» oder gar «amtsmüde» bezeichneten und auf einen vorzeitigen Abgang spekulierten.
Viele Beobachter gehen davon aus, dass sich Schneider-Ammann nun, angesichts der vielen Rücktritts-Aufforderungen, nur noch fester an sein Amt klammern wird. Schliesslich wolle kein Regierungsmitglied den Eindruck erwecken, unter dem Druck der Medien eingeknickt zu sein, hält die NZZ fest. Der Wirtschaftsminister sei jetzt eigentlich dazu verdammt, die Legislatur zu Ende zu machen, zitiert die Zeitung einen freisinnigen Parlamentarier, der nicht namentlich genannt wird.
Auch in Schneider-Ammanns Departement will man nichts von einem vorzeitigen Rücktritt wissen. An der Absicht Schneider-Ammanns, die Legislatur zu beenden, habe sich «nichts geändert», sagt sein Sprecher Noé Blancpain zu watson. «Es geht ihm gut und er übt sein Amt mit grossem Engagement und Freude aus». Das Departement sei in verschiedenen Bereichen stark gefordert, etwa bei der Digitalisierung oder mit dem Öffnen neuer Märkte im Ausland.