Mit 16 beschliesst die Baslerin La Nefera, nicht mehr nur zu tanzen, sondern auch zu rappen. Ein Mann sagt: «Ich hab einen Beat für dich! Ob du den auch wirklich kriegst oder nicht, hängt davon ab, wie gut du beim Blasen bist.» Charmant.
Die Bassistin Rafaela Dieu von Zeal & Ardor hat schon erlebt, dass die Security sie nicht in den Backstage-Bereich lassen oder von der Bühne holen wollte, weil man sie für ein Groupie hielt. Bei einem Openair wurde sie als «Bassschlampe» beschimpft, obwohl sie Jeans und T-Shirt trug. Andere prophezeiten ihr in High-Heels mehr Erfolg.
Es sind die immer gleichen Geschichten, es gibt immer «diesen Mann» oder die sexistische Security, Salome Buser, die Bassistin von Stiller Has hat sie genauso auch schon erzählt. Aber wieso gibt es sie? Weil es an Role Models fehlt, an Selbstverständlichkeit, an Breite, sagt Brandy Butler, die sich bei der Koordinationsstelle Helvetiarockt engagiert. Als sie jung war und sich für Jazz interessierte, war Candy Dulfer die einzige Frau weit und breit, und die war nicht ihr Fall.
La Nefera, Dieu und Butler sitzen auf einem von zwei Panels einer typischen Pflästerli-Veranstaltung. Frauen sind hässig, dass sie an den Swiss Music Awards (SMA) nicht vorkommen und dass Oliver Rosa, der Chef der SMA, sagte, Frauen wollen halt einfach nicht so gerne auf die Bühne. Zur Schadensbegrenzung machen die SMA zwei Abende vor der Awardshow 2018 ein «Side Event» im Zürcher Kulturhaus Kosmos zum Thema «Hat die Schweizer Popmusik ein Frauenproblem?». Okay, aber was sind die SMA schon wieder? Muss man die kennen?
Also, die SMA, die heuer zum elften Mal stattfinden, sind sowas wie das «SRF bi de Lüt» der Popszene. Also massivst uncool. Oder wie die Musikerin Evelinn Trouble auf Facebook schreibt: «Die Show ist, was sie ist. Don't ask a penguin to fly just because she is a bird.» Einmal kamen die SMA auf die irre Idee, Roger Köppel als Laudator von Krokus einzuladen. Gölä ist da immer noch ein Grosser. Und Trauffer.
Zu den Hässigen gehört auch Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch, die den Abend eröffnet: «Vor einem Jahr habe ich an der Jubiläums-Verleihung der Swiss Music Awards 2017 live miterlebt, wie 15 von 16 der Awards 2017 an Musiker gingen. Die einzige Musikerin ist in der Kategorie ‹Best Female Solo Act› – da mussten sie eine Frau nehmen – ausgezeichnet worden. Das hat mich so geärgert, dass ich den Zuständigen einen Brief geschrieben habe.»
Mauch benennt, was der Abend eigentlich leisten müsste, nämlich die grosse Strukturkritik:
Leider passiert das nicht. Sängerin Eliane, die 2012 «Die grössten Schweizer Talente» gewann und aktuell die erfolgreichste Schweizer Musikerin ist, sinniert lieber darüber nach, dass für sie die Kleiderfrage vor einem Konzert so viel bestimmender sei als für Männer.
Und Oliver Rosa, quasi der Bösewicht des Abends, sieht auf dem zweiten Panel keinen Ausweg aus den Statuten der SMA, die verlangen, dass ausgezeichnet werde, was der Markt schon ausgezeichnet hat. Zudem gäbe es da unzählige Kategorien zu berücksichtigen. «Wenn ihr so viele Kategorien habt», fragt Niklaus Riegg vom Zürcher Popkredit, «wieso ist Gender dann keine?»
Womit wir natürlich bei einem nächsten Problem sind: Es gibt genau drei Frauen die auf den Radiosendern SRF 1 und SRF 3 unter den Top 20 der meist gespielten Schweizer Musikerinnen und Musiker sind, nämlich Sina, Stefanie Heinzmann und Francine Jordi. Und betrachtet man sich die Schweizer Popberichterstattungen, dann ist die im Schnitt männlich, nicht gerade jung und auf Bob Dylan fixiert. Weibliche Vorbilder? Wären grossartig. Nachhilfe bieten da die Berner Ladies der Plattform Rockette.
Und was ist mit den Festivals? Stolze 35 Prozent Frauen hat Marion Meier letztes Jahr am Zürich Openair programmiert. Also 65 Prozent Männer. Es gebe zuwenig Frauen als Headliner, klagt Rosa. Ja, aber woher sollten sie denn kommen, wenn sie nicht aufgebaut wurden?
Rosa delegiert alle nötigen Schritte an – die Frauen natürlich. Wenn sie eine «Plattform» bauten, so wäre er der erste an ihrer Seite, aber erst dann. Genau so gut könnte er davon träumen, Lottomillionär zu werden, ohne Lotto zu spielen. Pardon, fragen einige, aber hat nicht er selbst mit den SMA die grösstmögliche Plattform? Ja, schon, aber ... Es ist die Rhetorik einer Gummiwand.
Schade. Schliesslich sind die SMA bei allem Kommerz eine Veranstaltung, die von der Kreativität lebt. Könnte man sie nicht kreativ sabotieren? Am Freitag ein wenig Action ins Hallenstadion bringen? Mal einfach alles anders machen? Mal wieder die Musik, Coolness und Streetcredibility feiern und nicht die – in der Schweiz eh nicht sonderlich bedeutenden – Zahlen? Wär das was? Na?
Denn, wie Brandy Butler sagte: «Vor fünfzehn Jahren war die Schweizer Musikszene ein Baby, heute ist sie etwas Riesiges, Wunderschönes.» Das bekämen wir gern zu hören und zu sehen.