Auf dem Esstisch von Margrit Gräub liegen zwei Ordner, in denen die Burgdorferin einen Teil ihrer Kaffeerahmdeckeli-Sammlung aufbewahrt. Eines der beiden Alben ist aufgeschlagen. Gleich auf der ersten Seite ist die Serie zu sehen, die aktuell in der Schweiz für Aufruhr sorgt. Der Grund: Auf zwei Exemplaren sind die Köpfe von Adolf Hitler und Benito Mussolini abgebildet.
Dass daraus ein solcher Skandal entstanden ist, kann Gräub nicht verstehen. «Als ich die Serie das erste Mal gesehen habe, dachte ich zwar, dass ich Hitler nicht als Sujet ausgewählt hätte, aber in dem Kontext finde ich das nicht schlimm. Es handelt sich ja um eine Sammlung historischer Figuren.» Unter dem von den Medien aufgebauschten Skandal würde nun die gesamte Sammlergemeinschaft leiden.
«Dieses Hobby ist ohnehin schon am Aussterben und diese Aktion hat nun zusätzlich unseren Ruf geschädigt. Jetzt bleibt ein bitterer Nachgeschmack, wenn man an die Kaffeerahmdeckeli denkt», so Gräub. Sie selbst sammelt die kleinen Bildchen seit 30 Jahren. Den Anfang hatte ihre Tochter im Alter von zehn Jahren gemacht. Als diese mit 16 dann die Lust daran verlor, übernahm ihre Mutter die Sammlung und baute sie im Laufe der Jahre immer weiter aus.
Die umstrittene Serie mit den Zigarren-Banderolen-Sujets ist Anfang 2013 herausgekommen. Ursprünglich war sie nur für Sammler gedacht und wurde ausschliesslich als komplette Reihe verkauft. So sollte sichergestellt werden, dass die fragwürdigen Exemplare niemals einzeln in den Umlauf geraten und nur im Gesamtkontext verstanden werden.
Doch mit den Bildchen, die von der Karo-Versand GmbH produziert werden, ist etwas schief gelaufen: Vermutlich durch einen Irrtum sind sie dennoch im freien Handel gelandet. Ein entrüsteter Kunde schickte ein Foto des Hitler-Bildchens an 20 Minuten, woraufhin der Skandal ins Rollen kam.
Wie Peter Wälchli, Inhaber der Karo-Versand GmbH, gegenüber watson erklärte, vertreibt die Migros-Tochter Elsa Mifroma zwar Produkte seiner Firma, diese Motive seien aber nie für den freien Handel gedacht gewesen: «Ich nehme an, das Unternehmen hat einfach Restfolien verwendet – darunter die Banderolen-Folie. Diese war und ist jedoch in unserem Besitz. Ohne Rücksprache mit uns hätte die Elsa Mifroma also keine Kaffeerähmli mit diesen Deckeli verpacken und vertreiben dürfen.»
Dass Gräub im Besitz der umstrittenen Bildchen ist, ist völlig klar: Denn sie ist nicht nur Sammlerin, sondern vertreibt die Kaffeerahmdeckeli auch selbst. So ist sie immer eine der Ersten, die informiert sind, wenn eine neue Serie auf den Markt kommt. Dann bestellt sie entsprechend viele Exemplare für ihre Kunden – und auch für sich selbst.
Während ich bei Gräub zu Besuch bin, klingelt das Telefon: «Das war ein Kunde aus Basel. Viele kenne ich nur vom Telefon. Das ist lustig. Ich versuche mir dann immer vorzustellen, wie die Leute wohl aussehen.» Doch einige Kunden kennt Gräub sehr wohl persönlich. Das Hobby hat ihr einen grossen Bekanntenkreis beschert. «Beispielsweise in Delémont habe ich Kunden, die die neuen Deckeli immer persönlich bei mir abholen. Das verbinden wir dann immer mit einem Zvieri bei mir», erzählt Gräub erfreut.
Bezogen auf die letzten paar Jahre ist Gräubs Sammlung ziemlich komplett. Im Jahr 2013 sind beispielsweise rund 50 Serien herausgekommen – darunter auch die mit den Zigarren-Banderolen-Sujets. Von jeder einzelnen dieser Serien besitzt Gräub ein Exemplar, fein säuberlich sind sie der Reihe nach im Album unter kleinen Schutzfolien einsortiert.
Doch obwohl die gelernte Kinderpflegerin mehr als zehn volle Ordner besitzt, ist die Sammlung nicht komplett. Vor allem in den älteren Jahrgängen klaffen einige Lücken. Und dort fängt der Spass erst richtig an. Regelmässig treffen sich Kaffeerahmdeckeli-Sammler aus der ganzen Schweiz – und teilweise auch aus dem Ausland, um per Tauschgeschäft die eigene Sammlung weiter zu vervollständigen.
Die Tauschbörse in Muhen AG organisiert Gräub selber mit, denn sie ist Vizepräsidentin des Sammler-Klubs «Kaffee Doppelcrème»: «Das Treffen findet fünfmal im Jahr statt. Mit 60 bis 80 Teilnehmern ist es eine recht grosse Veranstaltung.» Bei solchen Treffen kommt es auch für Gräub immer wieder zu spannenden Tauschgeschäften. Denn ihre «Fehlliste», die natürlich auch fein säuberlich geführt wird, ist alles andere als kurz.
«An die richtig alten Deckeli ist es nicht mehr so einfach ranzukommen», erklärt Gräub, «aber ich habe immer mal wieder Glück.» Auf meine Frage, ob es ein Bildchen gibt, das sie unbedingt noch haben möchte, antwortet die leidenschaftliche Sammlerin eher pragmatisch: «Wenn sie meine Fehlliste anschauen, dann gibt es da immer wieder Serien, von denen mir nur noch ein einziges Deckeli fehlt. Wenn ich eines von diesen bekomme, wird die Fehlliste ein bisschen kürzer. Darüber freue ich mich immer.»
Sich im Internet auf die Suche nach den einzelnen Deckeli zu machen, kam für Gräub nie infrage: «Das habe ich schlicht nie gelernt.»
Wie umfangreich Gräubs gesamte Sammlung ist, weiss die Rentnerin nicht. Doch klar ist, dass sich darunter so einige Schätze finden lassen. Eine der wahrscheinlich wertvollsten Serien aller Zeiten ist die Blick-Reihe. «Früher war die mal 6000 Franken wert», erzählt Gräub und zeigt mir eine Broschüre, in der der Preis noch zu sehen ist. Auch sie besitzt eine dieser Serien.
Doch die Zeiten, in denen man mit den Kaffeerahmdeckeli den ganz grossen Reibach machen konnte, sind vorbei: «Heute würde ich für die Blick-Serie vielleicht noch sechs- oder siebenhundert Franken bekommen», so Gräub. Der Grund dafür liegt darin, dass die Szene immer weiter schrumpft: «Die Sammler von früher sterben nach und nach oder werden zu alt und verkaufen ihre Sammlung.» Für eine Sammlung, wie Gräub sie besitzt, würde man heute wohl maximal noch drei- oder viertausend Franken bekommen.
Dass die Szene schrumpft, zeigt sich auch im Sammler-Klub «Kaffee Doppelcrème». Früher habe der Klub mal an die 3000 Mitglieder gehabt, heute seien es vielleicht noch rund 300, erzählt Gräub. «Heute gibt es Internet und Fernsehen, da interessieren sich die jungen Leute nicht mehr für so etwas. Ich kenne eine 30-jährige Sammlerin. Die ist aber wirklich eine Ausnahme.»
Auf den Skandal um die Kaffeerahmdeckeli mit den Konterfeis der Diktatoren hat die Migros folgendermassen reagiert: Via Twitter kündigte das Unternehmen an, sie wolle die Geschäftsbeziehung mit der Karo-Versand GmbH sofort abbrechen:
Kaffeerahm-Deckeli: Wir distanzieren uns von der Karo-Versand GmbH & brechen die Geschäftsbeziehungen per sofort ab. http://t.co/HqARnPbW5J
— Migros (@migros) October 22, 2014
Geschäftsführer Wälchli hatte dies gegenüber watson dementiert: «Wir haben nichts von der Migros gehört, der Vertrag läuft also noch immer. Würde uns die Migros aber tatsächlich kündigen, würde das wohl unser Ende bedeuten.»
Sollte dies tatsächlich der Fall sein, sieht Gräub nicht nur das Aus für die Karo-Versand GmbH, sondern für die komplette Sammlerszene. Der Grund: Wälchlis Unternehmen produziert nicht nur selbst Kaffeerahmdeckeli, sondern betreut auch die gesamte Klassifizierung aller Deckeli, die in der Schweiz produziert werden. Ohne die von der Karo-Versand GmbH erstellten Kataloge und Broschüren würde den Sammlern jegliche Grundlage für das Hobby fehlen.
«Wenn die Migros und der Karo-Versand sich nicht einigen, ist das das Aus für uns Sammler», so Gräub. Doch noch gibt sie die Hoffnung nicht auf. Am Vormittag habe sie einen Anruf von Wälchli erhalten, erzählt sie. «Scheinbar hat sich die Migros mit ihm in Verbindung gesetzt. Was dabei rauskommt, ist noch völlig hoffen. Aber ich hoffe ganz fest, dass die beiden sich einigen können.»